Reaktionen auf #allesdichtmachen: Schauspieler in die Notaufnahme
Während sich einige Schauspieler*innen von ihren Videos distanzieren, schwurbeln andere Rechtfertigungen. Im Netz nimmt die Kritik weiter zu.
„Ihr habt eine Grenze überschritten“, sagte Holzner, Leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Essen, zur Aktion #allesdichtmachen am Samstagabend in einem Instagram-Video. „Und zwar eine Schmerzgrenze all jener, die seit über einem Jahr alles tun.“
Kritik kommt auch von Menschen, die selbst Satire machen und die Aktion, die häufig als Satire verteidigt wird, nicht als solche sehen: es sei „immer besser, die Komödie erst dann zu machen, wenn die Tragödie hinter einem liegt“, sagt Schriftsteller Thomas Brussig. Eine Mauerkomödie zu machen, solange die Mauer steht, sei „heikel, danach kann man es machen“, so Brussig, der unter anderem mit dem satirischen Roman „Helden wie wir“ über den Fall der Berliner Mauer bekanntgeworden ist: „Mit Corona ist es ähnlich.“
Brussig sagt weiter: „Ich glaube, es war als Satire gemeint und geplant, es ging dann aber in die Hose“. Er sei zugleich froh, dass es noch keine vergleichbare Aktion von Schriftstellern gegeben habe, betonte der Autor: „Das wäre vermutlich noch peinlicher geworden.“
Brüggemann macht weiter
Dem Fernsehregisseur Dietrich Brüggemann scheint hingegen nichts peinlich. Dieser hat die umstrittene Video-Aktion #allesdichtmachen gerechtfertigt, aber auch Verständnis für die Kritik geäußert. Die Aktion sei missverstanden worden, womit er aber auch gerechnet habe, sagte Brüggemann am Wochenende zu „ntv.de“. „Unser Land ist momentan so zwiegespalten, dass die Aktion von einem Teil der Leute überhaupt nicht verstanden werden kann. Sie fühlen sich davon ungeheuer vor den Kopf gestoßen, ins Gesicht geschlagen und so weiter.“
Brüggemann verwies darauf, dass es neben viel Kritik auch Zuspruch gebe. „Die E-Mail-Adresse der Seite wird überschüttet mit Nachrichten, 98 Prozent davon sagen ‚Danke‘“, sagte Brüggemann, der bei vielen ARD-„Tatorten“ Regie führte. Er kritisierte den Umgang mit dem Coronavirus in Deutschland grundsätzlich. „Das, was wir mit Corona machen, können wir mit allem machen“, sagte er. „Wir können den Autoverkehr komplett einstellen, dann haben wir keine Verkehrstoten mehr.“ Und „wir könnten alle möglichen drakonischen Maßnahmen treffen, damit niemand mehr Krebs kriegt“.
Dem Fernsehregisseur zufolge gebe es „keine großartige Korrelation zwischen Maßnahmen und Pandemieverlauf“. „Da kommen immer mehr Studien, die sagen, Lockdown bringt wenig bis gar nichts.“ In der Presse stehe wenig davon. „Aber wenn man ein paar internationalen Wissenschaftlern auf Twitter folgt, dann sieht man da schon einiges. Wenn man das in Deutschland sagt, wird man wieder gleich als Querdenker beschimpft.“
Ulrich Matthes ist „einigermaßen fassungslos“
Die Protest-Aktion hatte am Freitag vielfach Empörung ausgelöst. Den Beteiligten wurden unter anderem fehlende Empathie und Zynismus vorgeworfen. An der Kampagne hatten sich mehr als 50 Schauspieler und Schauspielerinnen beteiligt, darunter Jan Josef Liefers, Heike Makatsch und Meret Becker. Zuspruch erhielt die Aktion aus dem rechten Lager, von AfD-Politikern und aus der „Querdenker“-Szene. Einige Künstlerinnen und Künstler distanzierten sich inzwischen von der Aktion und löschten ihre Beiträge.
Der Präsident der Deutschen Filmakademie, Schauspieler Ulrich Matthes, sagte, er sei nach Bekanntwerden der Kampagne „einigermaßen fassungslos“ gewesen: „Ich empfinde sie nur als zynisch.“ Manche der Beiträge seien „absoluter Querdenker-Szene-Jargon“. Dass danach Applaus aus dieser Richtung komme, „das liegt auf der Hand“. Die Beteiligten hätten sich deutlichen Gegenwind „mit ihrer Aktion wirklich verdient“, sagte Matthes dem NDR.
Die Schauspielerin Ulrike Folkerts erklärte inzwischen auf Instagram, ihre Teilnahme an der Aktion sei „ein Fehler“ gewesen. Die als Diskussionsbeitrag gedachten Videos seien „vielleicht falsch zu verstehen“.
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