Verfassungsklagen gegen die Notbremse: Kein Ersatzgesetzgeber

Beim Bundesverfassungsgericht trudeln nun Verfassungsbeschwerden gegen die Notbremse ein. Die Kläger scheinen das Gericht für eine gute Fee zu halten.

Schriftzug Bundesverfassungsgericht

Die Gegner der Corona-Notbremse klagen vor dem Bundesverfassungsgericht Foto: dpa

Damit war zu rechnen. Kaum ist die Bundesnotbremse am Freitag in Kraft getreten, trudeln beim Bundesverfassungsgericht Dutzende von Verfassungsbeschwerden ein. Wer die Freiheit verteidigt, will dabei sein: die Freien Demokraten (FDP), die Freien Wähler und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Viele sehen sich schon als sichere Sieger:innen. Doch die Klä­ge­r:in­nen rennen hier keineswegs offene Türen ein.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Geschichte bisher nur in einer Handvoll Fällen ein Gesetz vorläufig außer Kraft gesetzt. Vermutlich wird das Gericht auch hier feststellen, dass der Ausgang der Hauptsache offen ist und dann im Rahmen einer Folgenabwägung die Eilanträge ablehnen. Damit sind die Bür­ge­r:in­nen nicht schutzlos gestellt. Verwaltungsgerichte können auch gegen ein Gesetz vorläufigen Rechtsschutz gewähren. Das hat Karlsruhe schon 2004 im Zuge der BSE-Rinderwahnsinn-Krise festgestellt.

Die Verfassungsbeschwerden wirken aber auch in der Sache nicht zwingend. Welche Maßnahmen die Politik gegen die Pandemie ergreift, ist keine rein wissenschaftliche Frage. Der Bundestag hat hier einen weiten Beurteilungs- und Prognosespielraum. Er muss nicht einfach die Vorschläge der Epi­de­mio­lo­g:in­nen umsetzen, sondern darf und soll sie mit einer Vielzahl von Interessen der Bür­ge­r:in­nen und Unternehmen abwägen. Am Ende stehen mehr oder weniger überzeugende Kompromisse. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Abwägungen durch ein neues „Gesamtkonzept“ zu ersetzen, das den Klä­ge­r:in­nen stimmiger erscheint. Karlsruhe ist kein Ersatzgesetzgeber und keine gute Fee für politische Wünsche – zumal sich wohl auch jede Klä­ge­r:in etwas anderes wünschen würde.

Ein Jahr lang wurde der Bundestag massiv kritisiert, er habe sich vor der Verantwortung gedrückt und den Landesregierungen mit ihren Coronaverordnungen das Feld überlassen. Doch kaum entscheidet der Bundestag mal selbst über die Pandemiebekämpfung, rufen alle nach Karlsruhe. Sieht so das Demokratieverständnis der Freiheits­freund:in­nen aus?

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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