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Parteitag der LinksparteiNach dem Wunder

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Linkspartei muss angesichts einer dramatisch gewandelten Weltlage neue Antworten finden. Friedensfloskeln reichen nicht aus.

Machen die Linkspartei zur Bewegungslinken: Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek Foto: Kay Nietfeld/dpa

R echte Parteien sind global auf dem Vormarsch. Offener Rassismus ist wieder salonfähig, oft kombiniert mit einem entgrenzten Tech-Raubtierkapitalismus und rabiaten Nationalismus. Linke haben dem außer Händeringen, Besserwisserei oder hilflos wirkender Verteidigung des Status quo meist wenig entgegenzusetzen.

Umso spektakulärer war der Erfolg der Linkspartei, die, anstatt wie prophezeit unterzugehen, bei der Bundestagswahl fast 9 Prozent der Wählerstimmen holte. 50.000 neue GenossInnen strömen in die Partei. Die in heillose Machtkämpfe versunkene, überalterte Organisation wandelte sich in kürzester Zeit in eine Bewegung, die sich mit Schwung in einen erfolgreichen Haustürwahlkampf stürzte.

Diese wundersame Rettung war hart erarbeitet und Ergebnis eines glücklichen Timings. Mit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht verschwanden Lähmung und Streit. Ein zentraler Bestandteil der linken Selbstrettung war eine Art Bernie-Sanders-Effekt: Millionen von jungen AkademikerInnen, die unter hohen Schulden ächzten, hatten den US-Linken 2016 und 2020 bei den Vorwahlen unterstützt. Universitäten sind in den USA extrem teuer. Sanders’ Forderung nach kostenlosen Unis fiel bei hoch verschuldeten AkademikerInnen auf fruchtbaren Boden.

Der Erfolg der Linkspartei war ein Sanders-Moment. Bildung ist in Deutschland zwar fast kostenlos. Urbane AkademikerInnen hierzulande bringen die kaum bezahlbaren Mieten in den Metropolen zur Verzweiflung. Die Mietenkampagne der Linkspartei, clever verstärkt durch einen Heizkostencheck, der praktischen Nutzen verspricht, adressiert dieses Problem.

Politik pro domo

Sie unterscheidet sich von anderen Linkspartei-Aktionen, weil hier nicht Mittelschicht-AkademikerInnen als Anwalt der Unterschicht auftreten, sondern auch Politik pro domo machen. In der Regel ist Interessenpolitik soliderer Grund als karitativ oder revolutionär begründete Aktivismus. Ein Bonus ist gewiss die Kampagnenfähigkeit der Linken – etwas, das der blutarmen Machtverwaltungsmaschine SPD derzeit völlig fehlt.

Die neue Spitze aus Ines Schwerdtner und Jan van Aken sendet bislang recht störungsarm auf verschiedenen Frequenzen. Schwerdtner verkörpert sozialistische Tradition ohne DDR-Rost – und ist diskursiv anschlussfähig. Van Aken forderte wirksamere Sanktionen gegen Russland und reinigte die Partei geschickt vom Image der Putin-Versteher. Der neue Social-Media-Star Heidi Reichinnek erreicht jenes junge urbane Publikum, das geschädigt durch die Corona-Isolation bei der Linkspartei auch Gemeinschaftlichkeit zu finden hofft.

Der Wahlerfolg der Linkspartei liegt aber auch an Friedrich Merz, der kurz vor der Wahl mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache machte. Das war ein Adrenalinschub für eine Anti-rechts-Bewegung. Kurzum: Die Linke war so erfolgreich, weil Bewegungs-Hausse und Bundestagswahl günstig zusammenfielen. Es wäre einfältig, diesen glücklichen Zufall und damit auch die Fragilität dieses Erfolges zu übersehen. Bewegungen folgen einer anderen Logik als Parteien. „Bewegungen kommen und gehen, vor allem gehen sie“, so der Soziologe Ulrich Beck. Die komplizierte Aufgabe der Parteiführung ist es nun, die Bewegungsenergie zu institutionalisieren.

Was tun? Und was nicht tun? Vielleicht lässt sich etwas aus dem größten Erfolg der Linkspartei 2009 lernen, als die GenossInnen als Anti-Hartz-IV-Partei fast 12 Prozent bekamen. Lafontaine geißelte danach den Verrat der SPD mit immer schrilleren rhetorischen Volten und manövrierte die Partei in eine Sackgasse. In der Opposition Beton anzurühren, ist gedankenarm.

Außerdem schwankt der Boden. Die Architektur der Bundesrepublik ist brüchig. Die Innenpolitik war dominiert von einer übermächtigen Mitte, meist Mitte-rechts, selten Mitte-links. Diese Trutzburg der Mitte besteht, wie die fast gescheiterte Merz-Wahl zeigte, mittlerweile eher aus Sand. Die Linkspartei kann angesichts dessen nicht nur dagegen sein. Sie trägt Verantwortung für die Demokratie. Dass die Linksfraktion Merz rasch zum zweiten Wahlgang verhalf, war jedenfalls klug. Die Botschaft lautete: Scharfe Kritik an Schwarz-Rot ja, – aber nichts, was der Chaos-Strategie der AfD nutzt.

Auch außenpolitisch braucht die Linkspartei mehr als nur Anti. Die Bundesrepublik war pro Nato, die Linke anti Nato. Diese Spielanordnung ist von gestern. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag beschwört unverdrossen Nato und die „transatlantische Partnerschaft'“. Im Leitantrag zum Parteitag im Chemnitz feiert sich die Linke spiegelsymmetrisch „als Friedenspartei“ und wettert gegen „zunehmende Militarisierung“.

Was ist die linke Antwort?

Trumps möglicher Rückzug aus der Nato, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und die neue Weltordnung kommen im linken Leitantrag der Einfachheit halber nicht vor. Das ist schwer verständlich. Die Rolle der Opposition bietet den Luxus, ohne Sachzwänge denken zu können. Anstatt sich routiniert an Friedensfloskeln zu klammern – und wenn es ernst wird, Aufrüstung halb verdruckst wie in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zuzustimmen –, gilt es, neue Ideen zu suchen. Wie lautet die linke Antwort auf die neue Weltordnung? Gibt es defensive Rüstungskonzepte, um militärischen Schutz für Europa ohne USA zu schaffen?

Das sind schwierige Fragen für eine Partei, der Pazifismus oft als Fetisch dient, um sich von allen anderen zu unterscheiden. Wenn die Linkspartei weiter ihre Nische möbliert, bleibt sie unter ihren Möglichkeiten. Viele WählerInnen der Linken ticken bei der Frage, ob man der Ukraine weiter Waffen liefern soll, übrigens viel realpolitischer als die Partei. Man sollte nicht vergessen: In der Post-Volksparteien-Demokratie sind die Stimmungsschwankungen extrem – nach oben und nach unten.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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38 Kommentare

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  • "Die Rolle der Opposition bietet den Luxus, ohne Sachzwänge denken zu können."

    ...oder es eben nach Belieben einfach zu lassen: Soll doch die Regierung sich mit Problemen herumschlagen, auf die es keine ideologisch saubere UND realitätstaugliche Anwort der Linkspartei geben kann!

  • Guter Kommentar!

  • Folgender Artikel über linksextremistische Teile der Linken ist von 2013, also vielleicht sind diese Altlastenthemen und -gruppen weg, aber ich hätte das nicht mitbekommen.



    www.focus.de/magaz...rt_id_2414816.html

  • Spot on! Mir fehlt lediglich die mittelfristige Perspektive entlang der Frage, was die Linkspartei mit den jetzt zur Verfügung stehenden Ressourcen tun kann, um Widerstand gegen die (FCK)AFD zu stärken. Schließlich gibt es auch in diesem Bereich Bedürfnisse der 50%, und die bisherigen Kanäle der Förderung zivilgesellschaftlicher Organisierung gegen Rechts werden systematisch trocken gelegt. Hier müsste die Linke eine neue Rolle finden, die über die gekennzeichnet parasitäre Haltung zu sozialen Bewegungen hinaus geht.

  • Man sollte vor allem auf den Erfolg bei jüngeren Leuten sehen. Die sind kritisch und wollen kein Dogma, wie es bei der Linken doch bislang noch immer durchschimmerte. Befreit von alten Dogmen kann man durchaus eine linke Realpolitik machen und damit auch indirekt die SPD in Zugzwang bringen.

  • Also da bin ich anderer Ansicht. Zum einen teile ich die Analyse nicht, dass ein "Sanders-Moment" und die Abspaltung von Frau Wagenknecht den neuen Zulauf erbracht hätten - ich denke diese Sicht versteht auch Sanders falsch. Sanders ist so erfolgreich weil er glaubhaft ist - weil er seit Jahrzehnten das selbe(!) fordert und über die selben Themen redet. Und genauso ist es mit der Linkspartei: Sie war erfolgreich (übrigens mit Frau W.) als sie ihre Rolle im Parteienspektrum noch eingenommen hat und Machtkonstellationen sowie die Themen Armut und Reichtum vertreten hat. Erst der identitätspolitische Schwenk hat den Niedergang hervor gebracht. Und just in dem Moment, in dem die Partei statt dieser kulturell linken Themen (die wichtig sein, aber nicht der originäre Markenkern der Linken), wieder materiell linke Themen in den Mittelpunkt gestellt hat, war sie wieder erfolgreich! Man möchte sagen: It's capitalism, stupid! Ähnlich verhält es sich mit NATO oder Aufrüstung in meinen Augen. Kein Mensch braucht eine Linke, die in diesen Fragen das selbe wie alle anderen Parteien predigt - die Linke wird für Antimilitarisierung und Entspannungslogik gebraucht - alles andere gibt es zur Genüge!

  • Die Linke im Bundestag hat die allerallererste Gelegenheit, der CDU in den A… zu kriechen, genutzt und es ihr erspart, sich eine Mehrheit für ihre Kanzlerwahl bei den Faschisten zu besorgen.



    Eine solche Umfallerpartei kann bestenfalls die FDP ersetzen, braucht aber niemand.

  • Die besten Chancen auf weitere Erfolge hat die Linke wahrscheinlich, wenn sie ganz praktische Politik für die "einfachen Leute" macht. Das sind diejenigen 50% der Bevölkerung, die über kein nennenswertes Vermögen verfügen, die zur Miete wohnen, die wichtige, aber schlecht bezahlte Jobs haben und denen es weh tut, wenn Mieten und Lebensmittelpreise stärker steigen als die eigenen Einkommen. Tatsächlich wären linke Lösungen für diese 50% sinnvoller und gewinnbringender als rechte. Aus der rechten Ecke wird man sich um die weniger begüterten 50% der Bevölkerung kaum kümmern, es wird von der AfD keine günstigen Mieten, höheres Bafög oder staatliche Hilfen zum Vermögensaufbau geben. Von CDU/CSU wahrscheinlich auch nicht und auf die SPD sollte man sich diesbezüglich ebenfalls nicht verlassen.



    Dass die Linke gegen Krieg und Rüstung ist - geschenkt. Rüstung ist für fast alle nur ein notwendiges Übel und aus wirtschaftlicher Sicht ein reines Draufzahlgeschäft. Die Römer haben aber bereits erkannt: Si vis pacem, para bellum.



    Erfolgreich ist die Linke vor allem mit ihrer Kommunikation (Social media, persönliche Gespräche etc.) und Angeboten, die alle nutzen können (z. B. Mietwucherrechner).

    • @Aurego:

      Ja, denke ich auch. Konzentration auf die "harten Themen" ist richtig.

      Militarismus-kritisch zu sein gehört auch dazu. Nichts gegen Landesverteidigung, aber der Rüstungsindustrie Milliarden hinterherzuwerfen und gleichzeitig Soziales, Wohnen und Bildung kaputtzusparen?

    • @Aurego:

      Das ist leider einer der absurden Punkte: die AgD wird von den erwähnten "einfachen Leuten" gewählt, obwohl sie gegen Bürgergeld, Mindestlohn, Mietbremse, Mehrbelastung der Reichen ist.

      • @Ciro:

        Die "einfachen Leute" bemerken leider erst, dass sie Rattenfängern hinterhergelaufen sind, wenn es schon viel zu spät ist, manche nicht einmal dann.

      • @Ciro:

        AfD-Wähler kommen aus allen Schichten der Gesellschaft. Ihre Wähler sind vor allem Männer in der zweiten Lebenshälfte.

        • @Andreas J:

          Ja, diese frustrierten Männer nach der Midlife-Crisis: nicht das gewünschte Weibchen abbekommen, die Kids benehmen sich auch daneben ... All das erinnert ein bisschen an Alfred Tetzlaff.

  • Ziemlich vereinfachte Darstellung zum Erfolg der Linkspartei bei der Bundestagswahl.



    Kein Wort dazu, dass die Linke bei den Jungwähler*innen bis 24 Jahre mit 26% stärkste Partei wurde und kein Wort dazu, dass rund jede dritte Frau unter 30 Jahren, sie gewählt hat.



    Zum Leitantrag: Warten Sie doch einfach mal die Diskussionen und Beschlüsse auf dem Parteitag ab.



    Fest steht allerdings, dass die Linkspartei nicht gut beraten wäre, den Bellizismus der Grünen zu kopieren.

  • "Linke haben dem außer Händeringen, Besserwisserei oder hilflos wirkender Verteidigung des Status quo meist wenig entgegenzusetzen."

    Wie wäre es denn mit wenigstens dem Anschein von Objektivität? Die Linke "verteidigt hilflos den Status quo"? In welcher Welt lebt der Autor?



    Die Linke ist die einzige Partei, die endlich vom Status quo weg will! Oder verwechselt er die Linke mit der sPD, auf die diese Kritik deutlich besser zutrifft?



    Tut mir leid, aber das ist so unterirdisch, dass selbst die BILD es nicht schlimmer hätte verzapfen können.



    Man kann ja anderer Meinung sein, und man kann sicher an den Linken Dinge kritisieren, sollte aber trotzdem nicht völlig den Realitätsbezug verlieren.

  • Die Linke hat eigentlich eine riesige Chance, vor allem die SPD hat ihr das Feld links der Mitte fast komplett überlassen. Die klassischen Themen der "kleinen Leute", Mieten, Arbeit, Rente, Gesundheit, Infrastruktur uswusf. sind aktueller denn je.



    Noch zieht der stupid-gestrige Nationalismus, u.a. der AfD, viele in seinen Bann, der Reiz die Uhr zurückzudrehen ist für viele zu groß. Hier eine menschlich-offene, auch gerne mal zuversichtlich-positive Gegenvision zu setzen wäre die Aufgabe einer modernen Linken. Die Themen sind oft noch die gleichen wie vor 50 Jahren, sie müssen aber heute von einer Linken anders beantwortet werden. Schafft sie das, kann sie bis weit in die Mitte ihr Wählerreservoir ausdehnen.

  • Ich bin mal gespannt, ob die Linke mehr kann, als nur „Gegen Amerika -Pazifismus“. Wäre die Partei wirklich willens und in der Lage auch gegenüber politisch befreundeten Bewegungen konsequent den Verzicht auf militärische Lösungen zu verlangen? Oder gäbe es dann im Zweifelsfall wieder einfach prinzipiell „gerechte Krieger“, weil es ja die „sozialistischen Brüder und Schwestern“ sind?

  • Ich habe bisher - nach Ausschlussverfahren - immer grün gewählt, obwohl ich nicht immer mit Allem einverstanden war, insbesondere das Versagen auf lokaler Ebene (Verhindern von Radwegen in Hamburg), aber auch das Versagen der "feministischen Aussenpolitik". Ich hatte da mehr erwartet, aber letztendlich bekamen wir eine schwache, inkonsistente Aussenministerin. Da hat Fischer vorgemacht, wie es auch gehen könnte ("Excuse me, I am not convinced"). So ein klares Statement (und Handeln) hätte ich mir bezüglich des Genozids im Gaza Streifen gewünscht, spätestens nachdem Israel seit März alle Hilfslieferungen verhindert, und den Gaza Streifen aushungert. Aber auch weit vorher gab es gute Gelegenheiten zu Zeigen, dass die deutsche Verantwortung in einem generell humanistischem Ansatz liegt. DAS sollte die Lehre aus dem 2ten Weltkrieg sein. Solidarität mir den Opfern...

    Nach dem Abgang von Wagenknecht tendiere ich erstmals mit ganzem Herzen zur Linken ... ganz sicher eine Leistung Reichinnek!

    Die Grünen in Holland haben eine Modernisierung geschafft, und ich sehe ähnliche Tendenzen bei den Deutsche Linken. Ich hoffe, das bleibt so bis zur nächsten Wahl.

    Meine Stimme haben sie dann!

  • Ich bin mir nicht sicher, wie eine tragfähige Strategie für die Linke (die Partei und die politische Linke insgesamt) wirklich aussehen kann, aber ich habe gewisse Zweifel daran, dass der hier anempfohlene staatstragende Habitus wirklich zielführend ist. Der Artikel spricht ja an, dass der Erfolg der Linken auch einer besonderen Konstellation geschuldet war; darauf, dass man bei den nächsten Wahlen wieder Glück hat, würde ich mich nicht verlassen – und selbst wenn: Wozu braucht man eine Linke, deren Politik sich nur in Nuancen von derjenigen „der Mitte“ unterscheidet (und das in einer Zeit, in der die sogenannte Mitte ihren eigenen Extremismus kultiviert)? Damit lässt man nicht zuletzt eine Luecke für diejenigen, die keine Scheu davor haben, als disruptive Kraft aufzutreten. Der Erfolg der radikalen Rechten ist auch (!) der Tatsache geschuldet, dass eine allzu domestizierte Linke eine virulente (und durchaus berechtigte) Unzufriedenheit mit dem Status quo nicht mehr kanalisieren kann.

  • Gute solidaridche Kritik. Leider wird die linke internationale Solidarität oft ideologisch hierarchisiert, d.h. konkret, die Solidarität mit dem leidenden Palästina hat Vorrang vor der Solidarität mit der überfallenen Ukraine. Wenn aber das Humanitäre Völkerrecht und die allgemeinen Menschenrechte zur Richtschnur für linkes Handeln würden, gäbe es die Hierarchisierung von Solidarität nicht mehr.

  • Und dann die ewige Wirtschaftsfrage: Eine Linke muss in einem dynamischen, kompitativen und innovativen Wettbewerbsumfeld eine Erklärung finden.



    Spoiler: Anderen was wegnehmen oder sich aus dem Wettbewerb ausklinken ist nicht die Antwort!

  • "Gibt es defensive Rüstungskonzepte, um militärischen Schutz für Europa ohne USA zu schaffen?"

    Antimilitarismus ist aktueller denn je. Wie sinnvoll ist es bitte, in Zeiten des Klimawandels, der globale Kooperation erfordert, die Rüstungsblöcke hochzufahren?

    Außerdem haben wir ja gesehen, dass sich die hochgerüsteten Blöcke nach dem "Ende" des Kalten Krieges neue "Spielwiesen" in auch heißer Auseinandersetzung gesucht haben, man denke nur an Irak, Afghanistan und Russlands Abenteuer in Syrien und Afrika, kulminierend im Angriffskrieg gegen die Ukraine.

    Ein erster Punkt der Linkspartei wäre also: Europäische Verteidigung ja, aber keine weltweiten militärischen Interventionen (egal wie verlockend, egal wie moralisch aufgeladen).

    Der zweite antimilitaristische Punkt ist die gute alte Wirtschaftsanalyse: Wer profitiert? Wohin sind die Milliarden aus dem Sondervermögen geflossen? Sollten wirklich private Rüstungsunternehmen staatlich finanziert werden und damit jährliche Milliarden-Dividenden an die Aktionäre?

    Welche Interessenkonflikte birgt das?



    Gibt es hier andere Lösungen?



    Sollte ein systemrelevanter Bereich wie die Rüstung nicht besser staatlich organisiert sein?

  • Ja, die politischen Herausforderungen für die Linke sind schwindelerregend und der politische Abgrund des Scheiterns nach wie vor nah. Und letztlich läuft es auf Außen- und Sicherheitspolitik hinaus, wo sich - anders als in der Innenpolitik - ein Sowohl-als-Auch häufig nicht überzeugend formulieren lässt. Zumal man, wenn man den Druck auf Putins Russland erhöhen will, mit Gestalten, die wahrscheinlich auch nur der Schröder als lupenreine Demokraten bezeichnen würde (Stichwort: Modi) zusammenarbeiten müsste.

  • "Defensive Rüstungskonzepte". Die Sortierung von Waffen in böse Angriffswaffen und liebe Verteidigungswaffen war schon im Zeitalter von Schwert und Schild naiv und faktenfrei. Van Aken reinigt die Linke von dem Putinversteherimage? Widerlegt vom letzten Interview hier in der Taz. Es gibt nur genügend Wähler, denen das egal ist. Da trifft Ossi-Nostalgie auf "Waffen für El Salvador"-Pazifismus.

  • So lange die Linke sich nicht mit den Themen Industrie/Wirtschaft sowie NATO/Bundeswehr proaktiv aussöhnt und auf (durchaus Linkenniveau) Akzeptanz formuliert, die an die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig ist, wird das schwierig mit der dauerhaften Etablierung oder Fortsetzung des aktuellen Höhenflugs.

  • Es wäre sehr wünschenswert wenn auch überaus unwahrscheinlich dass die Linke in der Aussen- und Sicherheitspolitik die notwendigen Konsequenzen aus der realen Bedrohung von Putins Imperialismus ziehen wird. Mehr als Lippenbekenntnisse zur Ablehnung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat es seit 2022 nicht gegeben und allzu schnell schließt sich dann bei allzuvielen Linken die Ausrede an dass die Ukraine, die USA, die NATO irgendwie doch schuld sind. Wer Putins offensichtliches Ziel einer Imperialistischen Vernichtung der ukrainischen Unabhängigkeit nicht als solches erkennen und benennen will weil es nichts in Weltbild passt macht sich selbst blind und mitverantwortlich bei der Desinformationskampagne des Kremls. Auch der im Linken Diskurs vorherrschende Glauben an die Methoden der Friedenspädagogik ist hier gänzlich ungeeignet. An diesem Krieg ist nur einer Schuld. Putin und der will seit drei Jahren keinen Frieden. Wer es ablehnt die Ukraine militärisch zu unterstützen der lehnt das Recht auf Selbstverteidigung ab und liefert die Angegriffenen der nicht vorhandenen Gnade des Aggressors aus.

  • Der Komplex aus Lumpenpazifismus, Kreml-Connection und SED-Vergangenheit ist wahrscheinlich das größte Hindernis für die Linke auf dem Weg zu ernsthaften Mitbestimmungsmöglichkeiten.



    Es ist schön zu sehen, wie sich dieser Knoten nach Wagenknechts Exitus zu lösen beginnt. Hier muss man das Ausbleiben von neuerlichen russisch-imperialistisch geprägten Leitanträgen als Erfolg sehen. Ich hoffe nur es geht in ausreichendem Tempo weiter – die Welt dreht sich unaufhörlich.

    • @metalhead86:

      "Hier muss man das Ausbleiben von neuerlichen russisch-imperialistisch geprägten Leitanträgen als Erfolg sehen."

      Neuerlich? Wann soll es diese Leitanträge gegeben haben?

    • @metalhead86:

      Ich halte es für überaus wahrscheinlich dass die Linke die Realität des Russischen Imperialismus und die daraus folgenden notwendigen verteidigungspolitischen Konsequenzen weiterhin konstant ausblenden und am unbedingten Pazifismus festhalten wird. Dies hat zudem mindestens drei parteipolitische Vorteile: Erstens kein erneuter Grundsatzkonflikt bei dem die Partei in der Gunst der Wählerinnen nur verlieren kann. Zweitens liefert das pazifistische Dogma eine Begründung für den unverzichtbaren Anspruch moralischer Überlegenheit der Linken über alle anderen Parteien. Drittens Die unbedingte Ablehnung aller Militäreinsätze der Bundeswehr, jeder Waffenlieferung oder Rüstungsausgaben ist der einfachste Weg um sicherzustellen dass die Linke niemals im Bund koalitionsfähig wird. Dass Idealbild der Linken wie sie reale politische Entscheidungen beeinflussen können bleibt effektiv dass einer Opposition die von der Regierung immer wieder für Einzelfragen gebraucht wird aber sich nicht selbst die Hände schmutzig machen muss.

    • @metalhead86:

      Exodus, nicht Exitus. Wagenknecht ist nicht gestorben.

  • Also da bin ich ganz anderer Ansicht. Zum einen teile ich die Analyse nicht, dass ein "Sanders-Moment" und die Abspaltung von Frau Wagenknecht den neuen Zulauf erbracht hätten - ich denke diese Sicht versteht auch Sanders falsch. Sanders ist so erfolgreich weil er glaubhaft ist - weil er seit Jahrzehnten das selbe(!) fordert und über die selben Themen redet. Und genauso ist es mit der Linkspartei: Sie war erfolgreich (übrigens mit Frau W.) als sie ihre Rolle im Parteienspektrum noch eingenommen hat und Machtkonstellationen sowie die Themen Armut und Reichtum vertreten hat. Erst der identitätspolitische Schwenk hat den Niedergang hervor gebracht! Und just in dem Moment, in dem die Partei statt dieser kulturell linken Themen, wieder materiell linke Themen in den Mittelpunkt gestellt hat, war sie wieder erfolgreich! Man möchte sagen: It's capitalism, stupid! Ähnlich verhält es sich mit NATO oder Aufrüstung in meinen Augen. Kein Mensch braucht eine Linke, die in diesen Fragen das selbe wie alle anderen Parteien predigt - die Linke wird für Antimilitarisierung und Entspannungslogik gebraucht - alles andere gibt es zur Genüge!

  • "Das sind schwierige Fragen für eine Partei, der Pazifismus oft als Fetisch dient..."



    Den Job macht van Aken doch ganz gut. Er bedient eben nicht diesen Fetisch und bleibt gleichzeitig auf Distanz zur Mitte. Dass jetzt gefordert wird, die Linke müsse realistischer werden, ist das alte Spiel des Mainstreams, einhegen, verwässern und untergehen (lassen).

    • @nutzer:

      Danke, so sehe ich das auch. Im Text wird gar nicht in Betracht gezogen, dass ein Teil der Bevölkerung eben nicht mehr Politik der Mitte mittragen will und der Autor fordert eine Hinwendung zu eben dieser. Welche Partei ausser der Linken verspricht eine Verbesserung der Lebensumstände für die mittleren und unteren Einkommen?



      Er selbst fordert ein neues Denken in der Linken in Bezug auf die Sicherheitspolitik, wobei doch sein eigenes Denken seit dem Amtsantritt von Trump überholt ist.



      Friedensverhandlungen sind in meinen Augen Pragmatismus, anstatt weiterhin vollmundig jede Unterstützung zuzusagen für die eigene Wählerschaft, um dann die Ukraine am langen Arm verhungern zu lassen. Das gehört ja auch zur Wahrheit, die Parteien der Mitte haben nicht, wie versprochen geliefert.

  • Gute Einschätzung.



    Zudem muss die Lücke gefüllt werden, die die spd seit Jahrzehnten gerissen hat.



    Besonders ein gerechtes Steuersystem wurde von ihr zwar im Wahlkampf immer auf Plakaten gefordert, aber NIE angegangen- auch und gerade unter spd Bundeskanzlern nicht.

    DAS ist die eigentliche 'Neue Soziale Frage' die die Linke klug und evidenzbasiert beantworten könnte und muss.



    Denn Reiche und multinationale Konzerne zahlen legal fast keine Steuern.

  • Danke für diesen Kommentar. Die Linke muss sich eindeutig gegen jegliche Art von Faschismus und Imperialismus positionieren. Egal, ob er gerade in den USA, Russland oder sonst wo praktiziert wird. Die alte Ost-West-Welt existiert nicht mehr.

  • "Diese wundersame Rettung (der Linken) war hart erarbeitet und Ergebnis eines glücklichen Timings"



    Wohl wahr, wohl wahr - Schwerdtner, van Aken, Reichinnek und März führt der Artikel ja schon auf, die alle ihren gehörigen Beitrag relativ zeitnah geleistet haben - mir fehlen da aber noch Scholz, Habeck und Baerbock 🤷‍♂️



    Weil Scholz sich als Klimakanzler bewarb, dann aber nichts fürs Klima tat und sich zum Ende hin als Abschiebekanzler gerierte, weil Habeck im Endspurt des Wahlkampfs mit seinem '10-Punkte-Plan' warb, der quasi CDU light war und weil Baerbock statt umweltschonend nur im Regierungsflieger durch die Gegend düste, sich über Nachtflugverbot hinwegsetzte für einen 180km Flug von Frankfurt nach Luxemburg oder durch Barfußphotos in der Südsee und horrende Friseurrechnungen auffiel...



    Da kam schon allerhand Unfähigkeit zusammen - davon profitierte Die Linke - aber auch massiv die AfD - auch das wird im Artikel übergangen.



    Das Versagen und Fehlverhalten der Mitte schwemmte massiv Wähler an die politischen Ränder.

    • @Farang:

      Was hat der März damit zu run? Die BTW war im Februar.

    • @Farang:

      "Das Versagen und Fehlverhalten der Mitte schwemmte massiv Wähler an die politischen Ränder."

      Ihre und die immer wiederkommende Gleichsetzung "der Ränder", Linkspartei und AfD, ebenso die "Verherrlichung" einer angeblichen Mitte, die sich schon lange auf dem Weg nach rechts bewegt, ist apolitisch und falsch.