Klimapolitik und Arbeiterklasse: „Das Klima schützen darf kein teurer Lifestyle sein“
Arbeiter:innen wählen weltweit eher rechts statt grün. Karen Bell, Sozial- und Umweltgerechtigkeitsforscherin, erklärt warum, und was zu tun wäre.
taz: Frau Bell, bei der Bundestagswahl 2025 wählten 38 Prozent der Arbeiter:innen in Deutschland die AfD und nur 5 Prozent die Grünen. Woran liegt das?
Karen Bell: Wir sehen gerade in vielen Ländern dasselbe Phänomen. Menschen aus der Arbeiterschicht fühlen sich von grüner Politik nicht angesprochen. Und das liegt nicht daran, dass Arbeiter:innen die Umwelt egal wäre. Im Gegenteil, zahlreiche Studien zeigen, dass sie es sind, die die Auswirkungen von Umweltverschmutzung und der Klimakrise am stärksten zu spüren bekommen.
taz: Was ist dann das Problem?
Bell: Grüne Politik wird dominiert von den Interessen der Ober- und Mittelschicht. Die Lösungen, die grüne Parteien anbieten, sind oft Lösungen für Menschen, die sich keine Sorgen um Geld machen müssen. Bio-Lebensmittel, E-Autos, Wärmepumpen – das sind Luxusprodukte, deren Kauf heute leider mit Klimaschutz gleichgesetzt wird. Wenn man aber Klimaschutz zu einem teuren Lifestyle macht, den sich die Arbeiterschicht nicht leisten kann, ist es für mich nicht überraschend, dass grüne Parteien sie nicht überzeugen.
Karen Bell
ist Professorin für Sozial- und Umweltgerechtigkeit an der Universität Glasgow. Bevor sie 2008 ihre Doktorarbeit über Umweltgerechtigkeit in Kuba begann, arbeitete sie als Community Organizerin mit benachteiligten Gruppen in Großbritannien. 2020 veröffentlichte sie das Buch: „Working-Class Environmentalism: An Agenda for a Just and Fair Transition to Sustainability.“
taz: Aber werden E-Autos und Wärmepumpen nicht trotzdem gebraucht, um die Klimakrise zu bekämpfen?
Bell: Ich glaube, wir müssen erst einmal einen Schritt zurückgehen. Für mich beginnt das Problem viel früher: bei der Perspektive. Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Vor rund zehn Jahren war ich bei einer Sitzung der Grünen in Bristol, wo ich damals in einer Sozialsiedlung am Stadtrand lebte. Dort gab es das Problem, dass viele Menschen ihre Gartenabfälle einfach im Garten verbannten, weil sie sich die Gebühren für die Abholung des Mülls nicht leisten konnten. Den ganzen Frühling und Sommer brannten kleine Feuerchen, in die die Menschen dann Plastik und anderen Müll warfen. Deshalb wollte ich, dass wir in unserem Manifest fordern, die Abholung der Gartenabfälle kostenlos zu machen.
taz: Wie haben die anderen Parteimitglieder der Grünen reagiert?
Bell: Sie meinten, dann müsste man die Bewohner:innen der Sozialsiedlung halt aufklären und bilden. Ich habe ihnen entgegnet: Es geht hier nicht um Bildung, die Leute wissen schon, dass das mit den Feuern nicht optimal ist. Aber sie können sich die Abholung der Gartenabfälle einfach nicht leisten. Dann haben sie gefragt, warum die Leute die Gartenabfälle nicht einfach kompostieren. In den Gärten von Mittelschichtsfamilien kann man so was vielleicht machen. Aber in einer Arbeitersiedlung ist das anders. Da schauen die Leute auf dich herab, wenn du in deinem Garten Müll verrotten lässt. Man riskiert, aus seiner Wohnung geschmissen zu werden, wenn man seinen Garten nicht sauber hält. Und wenn du jeden Tag darum kämpfst, dass dir im Leben Respekt entgegengebracht wird, dann willst du das einfach nicht. Obwohl ich es war, die ihr ganzes Leben in Arbeitersiedlungen gelebt hatte, haben mir die Parteimitglieder einfach nicht zugehört.
taz: Das klingt nach einem extremen Fall. Glauben Sie wirklich, dass diese Haltung in der Klimabewegung weit verbreitet ist?
Bell: Viele Arbeiter:innen, die ich für meine Forschung interviewt habe, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie werden kritisiert für das, was sie essen, wohin sie in den Urlaub fahren, was sie anziehen – obwohl sie viel weniger Möglichkeiten haben als Mittelschichtler. Wenn Politiker in Städten Umweltabgaben erlassen oder pauschal die Benzinpreise anheben, dann trifft das am härtesten die Arbeiter:innen, die in die Randbezirke gedrängt wurden und schlechten Zugang zum öffentlichen Nahverkehr haben. Genau wie etwa auch die Straßenblockaden von Extinction Rebellion, die vor allem Menschen aufgehalten haben, die nicht einfach im Homeoffice bleiben können. Es fehlt jedes Verständnis dafür, dass Arbeiter:innen oft keine zweite Chance bekommen, wenn sie zu spät bei der Arbeit sind. Oder schauen Sie sich den Umgang der Regierung mit den Romani-Gemeinschaften im Süden Spaniens an …
taz: … zu deren Umweltpraktiken Sie vor Ort in Almería gerade forschen.
Bell: Ich kenne die Gegend noch aus den 90ern. Da haben die Romani hier in Höhlen am Meer gelebt. Das waren sehr ökologische Behausungen, im Sommer waren sie kühl, im Winter warm. Für die Menschen hat das gut funktioniert. Aber dann hat die Regierung die Höhlen gesprengt und sie in normierte Legoland-Apartments neben einer Müllhalde umgesiedelt. Daraus spricht für mich der pure Unwille, wirklich auf Menschen und ihre Bedürfnisse, ihre Lebensweisen einzugehen.
taz: Wie könnte sich an dieser Haltung etwas ändern?
Bell: Der erste Schritt ist, anzuerkennen, was die Arbeiter:innen für den Umweltschutz geleistet haben. Denn auch wenn grüne NGOs und grüne Parteien heute vor allem von Mittelschichtlern angeführt werden, waren es die Gewerkschaften und Arbeiter:innen, die sich über das ganze 20. Jahrhundert hinweg gegen den Einsatz von gefährlichen Chemikalien am Arbeitsplatz und die Verschmutzung der Umwelt durch sie eingesetzt haben. Nur weil sie ihre eigenen Studien durchführten, um die schädlichen Auswirkungen von Giftstoffen wie Arsen, Radium und Asbest nachzuweisen, konnten sie Politik und Unternehmen dazu zwingen, endlich zu handeln.
taz: Wie lässt sich dieser Respekt in ganz konkretes Handeln übersetzen?
Bell: Wenn ich mit Politiker:innen aus der Ober- und Mittelschicht spreche, dann sage ich immer: Stell dir den stressigsten Tag vor, den du je erlebt hast. Wirklich alles, was schief laufen kann, läuft schief. Für Menschen, die hart für ihr Überleben arbeiten, die in Armut leben, ist jeder Tag genau so. Und wenn du dein Programm auflegst, dann frag dich: Wie würden unsere Vorschläge für jemanden funktionieren, der jeden Tag mit diesem Stress lebt?
taz: Gerade Grünenwähler:innen wird Heuchelei vorgeworfen, weil sie einerseits Klimaschutz fordern und andererseits oft einen großen CO2-Fußabdruck haben.
Bell: An dem Vorwurf ist etwas Wahres dran und trotzdem hilft es uns nicht weiter, mit dem Finger auf Individuen zu zeigen. Ich spreche Grünenwähler:innen nicht ab, dass sie gute Absichten haben. Aber um Mehrheiten für den Klimaschutz zu gewinnen, müssen sie mit ihrer Politik klarer bei den wirklich Verantwortlichen ansetzen.
taz: Und die wären?
Bell: Die Superreichen, die Ölkonzerne und das Militär. Die Rüstungsindustrie und das Militär des Vereinigten Königreichs stoßen zum Beispiel mehr CO2 aus als 60 andere Länder zusammen. Hinzu kommen die Desinformationskampagnen der Ölindustrie und der enorme Ressourcenverbrauch der Superreichen. Wenn wir die Emissionen dieser Akteure in den Griff bekommen würden, müssten wir nicht ständig darüber diskutieren, ob man noch mit dem Flugzeug in den Mallorca-Urlaub fliegen darf. Klima- und Umweltdebatten als individuelle Schulddebatten zu führen, hilft uns nicht weiter.
taz: Wie sähe eine Klimapolitik der Arbeiterklasse denn nun aus?
Bell: Klimalösungen für die Arbeiterklasse setzen kein riesiges Reservoir an finanziellen, zeitlichen oder mentalen Ressourcen voraus. Sie erleichtern den Alltag, nehmen einem Arbeit ab. Zum Beispiel könnten wir einen komplett kostenlosen öffentlichen Nahverkehr haben. Glasgow geht da gerade mit einem Programm für kostenlose Busse voran. Ein weiterer Punkt sind aus meiner Sicht großflächige Hausdämmungsprogramme, die Mieter:innen zugute kommen. Gleichzeitig würden sie wiederum viele Jobs für Arbeiter:innen schaffen. Und ohne deutlich höhere Steuern für reiche Menschen geht es auch nicht.
taz: Warum?
Bell: Weil wir eine Klimapolitik brauchen, die auch auf mehr Gleichheit zielt. Ungleichheit führt zu Statusunsicherheit, führt zu dem Gefühl, nicht gut genug zu sein und sich beweisen zu müssen. Viele versuchen diesen Mangel an Status dann mit Konsum auszugleichen.
taz: Und was, meinen Sie, würde dagegen helfen?
Bell: All die kleinen Dinge im Leben, die uns Verbundenheit und Sinn spüren lassen. Zeit mit unseren Kindern und Freunden. Musik. Tanzen. Lebhafte Gemeinschaften. Und die Infrastruktur, die so ein Leben möglich macht. Schöne Gemeindezentren, Sharing-Bibliotheken, einladende Parks – für mich sind das die Elemente einer positiven Zukunft, die die Grünen aufbauen sollten.
taz: In Deutschland hat sich Fridays for Future in den vergangenen Jahren an einem Bündnis mit den Gewerkschaften versucht. Das Motto: Wir fahren zusammen. Ist das in Ihrem Sinne?
Bell: Ja, das sind die Bündnisse, die wir brauchen. Wichtig ist nur, dass sie auf Augenhöhe stattfinden. Dass auch Arbeiter:innen führen. Denn oft übernehmen dann wieder direkt die Mittelschichtler. Ein Negativbeispiel aus unserer Sozialsiedlung: Wir haben einmal eine Demo für eine Grünfläche organisiert. Und dann, genau als die Medien Fotos machten, kam plötzlich eine Mittelschicht-Organisation dazu und rollte ganz vorne ihr Transparent aus, um es so aussehen zu lassen, als wären wir alle Teil ihrer Gruppe. Vorher haben die sich noch nie bei uns blicken lassen.
taz: Im Bundestagswahlkampf haben die Grünen sich den Konservativen angebiedert. Jetzt sind sie wieder in der Opposition. Was würden Sie ihnen für eine mehrheitsfähige Klimapolitik raten?
Bell: Die Strategie, grüne Politik mit der Oberschicht zu machen, ist spätestens seit der Wiederwahl Donald Trumps endgültig gescheitert. Wenn progressive Parteien die Interessen der Arbeiterschicht nicht mit in ihr Programm nehmen, dann sammeln die Rechtspopulisten diese Stimmen ein. Mein Rat an die Grünen wäre also: Entwickelt endlich eine grüne Agenda, die für die Mehrheit der Menschen funktioniert.
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