Klimachef des Nabu wirft hin: Ende des „Vogelfriedens“
Stürmische Zeiten beim Naturschutzbund: Der bisherige Leiter des Klimafachbereichs geht. Grund ist die Kritik des Verbands zum Windkraftausbau.
Der 49-jährige Schäfer hat in der Klimapolitik viel Erfahrung: von 2006 bis 2016 war er energiepolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus; anschließend arbeitete er für den Thinktank Agora Energiewende und leitete mehrere Jahre lang die Abteilung Klimapolitik beim WWF. Zum Nabu-Bundesverband war er erst vor gut einem Jahr gewechselt, nachdem dort sein früherer WWF-Kollege Jörg-Andreas Krüger Präsident geworden war. Einen neuen Job hat er nach eigener Aussage nach seiner Kündigung beim Nabu noch nicht in Aussicht.
Das Thema Windkraft hat für den Nabu schon länger große Sprengkraft. Während die Bundesebene den Ausbau der Windkraft aus klimapolitischen Gründen generell unterstützt, sehen viele Landes- und Ortsgruppen des Verbands, der bis 1990 „Deutscher Bund für Vogelschutz“ hieß, Windräder extrem kritisch. In zahlreichen Fällen haben sie neue Anlagen durch Klagen verhindert, was zu vielen Konflikten geführt hatte, nicht nur mit Vertretern der Windkraftbranche, sondern auch mit den Grünen.
Ende 2020 hatte es einen Versuch gegeben, den Streit zu entschärfen: Der neue Nabu-Chef, Jörg-Andreas Krüger, hatte gemeinsam mit Robert Habeck, damals Grünen-Chef, und Oliver Krischer, dem Energieexperten der Grünen-Bundestagsfraktion, ein Papier erarbeitet. Darin hieß es, dass in Windvorranggebieten mehr Ausnahmen vom Naturschutz möglich sein sollten, wenn der Bestand der betroffenen Arten insgesamt stabil sei, und im Gegenzug andere, ökologisch wichtige Gebiete von Windrädern verschont würden.
Protest gegen Regierungskurs angekündigt
Doch statt wie erhofft einen „Vogelfrieden“ einzuläuten, hat das Papier den Streit über die Windkraft zusätzlich befeuert. Viele Landes- und Ortsverbände waren so empört, dass das vom Bundesverband im Alleingang ausgehandelte Papier nie offiziell beschlossen wurde. Und als die neue Bundesregierung – vertreten durch Umweltministerin Steffi Lemke und Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (beide Grüne) – Anfang April Eckpunkte vorstellte, die zum Teil in eine ganz ähnliche Richtung gehen, begrüßte der Nabu dies nicht, sondern ging auf die Barrikaden. „Naturschutz bremst Windenergieausbau nicht aus“, behauptete der Verband in einer Pressmitteilung. Doch bei einer solchen Stellungnahme will es der Nabu nicht belassen.
Wenn die Regierung den entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt, sollen die Ortsgruppen mit Musterbriefen an Bundestagsabgeordnete dagegen protestieren. „Wir sind die Naturschutzmacher“, sagt Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller dazu und verweist auf die rund 70.000 Aktiven, die sich in den lokalen Gruppen für den Naturschutz engagieren: „Wir müssen unsere Leute vor Ort mitnehmen.“
Michael Schäfer hält dieses gegeneinander Ausspielen von Klimaschutz und Artenschutz für falsch. „Die größte Gefahr für die Biodiversität geht im Energiesektor von der Erderhitzung durch die fossilen Energien aus“, sagt er. „Je schneller wir davon wegkommen, desto besser ist es für den Artenschutz.“ Er habe großen Respekt für die engagierte Arbeit der Artenschützer im Verband, sagt Schäfer. Denn der Artenschutz habe in Deutschland sonst keine starke Lobby.
Aber bei der Konzentration auf die Rettung einzelner Tiere könne die größere Entwicklung übersehen werden. „Das klassische Naturschutzrecht hat den Rotmilan im Blick, der vom Windrad gefährdet ist, aber nicht das Alpenschneehuhn und viele Tausend Arten, die durch die Erderhitzung auszusterben drohen.“
Nabu will eine naturverträgliche Energiewende
Den Klimawandel aufzuhalten gelinge aber nur durch einen schnellen und massiven Ausbau der erneuerbaren Energien – und da wiederum sei Windkraft ein viel kleineres Problem für den Naturschutz als die Nutzung weiterer Flächen für Biomasse oder neue Wasserkraftwerke.
Nabu-Geschäftsführer Miller setzt dem entgegen, dass der Verband die Windkraft ja keineswegs generell ablehne, sondern nur den Plan, für ihren Ausbau das Naturschutzrecht aufzuweichen. „Wir wollen mehr Windräder, aber wir werden dafür unsere Artenschutzpositionen nicht aufgeben“, sagte er der taz. Und das schließe sich nicht aus. „Mit besserer Planung ist eine naturverträgliche Energiewende möglich.“
Genau diese Position hält Schäfer aber für ein Problem. Es sei strategisch schwierig, wenn die Umweltverbände einerseits kritisieren, dass die Energiewende nicht schnell genug vorankomme, andererseits aber durch Kompromisslosigkeit beim Naturschutzrecht selbst daran mitwirken, sie abzubremsen. „Das schwächt unsere Position“, meint der bisherige Nabu-Klimachef. Es braucht aber starke Umweltverbände, damit die Bundesregierung nicht weiter Tankrabatte statt Tempolimits beschließt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten