Israels Krieg im Gazastreifen: Hunderte Tote nach zwei Tagen israelischen Bombardements
Israel setzt seine neuen Angriffe im Gazastreifen fort. Ihre arabischen Verbündeten stoßen Netanjahu und die USA damit vor den Kopf.
Neben Luftangriffen hat Israels Armee eigenen Angaben zufolge am Mittwoch auch wieder eine Bodenoffensive im Gazastreifen begonnen. Ziel sei es, eine Pufferzone zwischen dem Norden und dem Süden des Gebiets zu schaffen, teilte das israelische Militär mit. Diese „begrenzte“ Operation im Norden des Küstengebiets diene dazu, den sogenannten Netzarim-Korridor wieder einzunehmen, so die Streitkräfte am Mittwoch.
Die Waffenruhe ist Geschichte, seit Israel am Dienstag damit begonnen hat, den Gazastreifen erneut zu bombardieren. Während die israelische Armee von „Hamas-Zielen“ spricht, die sie ins Visier nimmt, gehen andere Bilder um die Welt. Sie zeigen überforderte Krankenhäuser in Gaza, in die zahlreiche schwer verletzte Kinder eingeliefert werden. Wieder werden ganze Familien ausgelöscht, und erneut befinden sich Tausende auf der Flucht, die meisten zum wiederholten Male. Seit 18 Tagen lässt der israelische Premier Benjamin Netanjahu zudem alle Hilfslieferungen in den Gazastreifen blockieren. Menschen drängen sich wieder bei der Essensausgabe und winken mit leeren Schüsseln, in der Hoffnung, etwas zu ergattern.
Waffenstillstands-Deal ist Makulatur
Netanjahu spricht davon, dass das „nur der Anfang“ sei. Er halte an seinem Ziel fest, die letzten israelischen Geiseln zu befreien und die Hamas zu „vernichten“. Damit kündigt Netanjahu das Waffenstillstandsabkommen auf, das er selbst und die Hamas unter arabischer Vermittlung und mit US-Garantien unterschrieben hatten und das am 19. Januar in Kraft getreten war. Dessen Umrisse lagen bereits seit letztem Sommer vor – der damalige US-Präsident Joe Biden hatte es zusammen mit Israel erarbeitet und als „US-Vorschlag“ bezeichnet. Die Hamas hatte damals nach erstem Zögern zugestimmt.
Der Deal lautete: eine Waffenpause, in deren ersten beiden Phasen die israelischen Geiseln mit palästinensischen Gefangenen ausgetauscht werden sollten. In einer dritten Phase sollte der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen. Die erste Phase wurde vor zwei Wochen mit der Freilassung von 25 israelischen Geiseln und den sterblichen Überresten von 8 weiteren im Austausch mit fast 2.000 palästinensischen Gefangenen abgeschlossen. Für die zweite Phase waren ein vollständiger Rückzug der israelischen Armee und ein permanenter Waffenstillstand verabredet. Als die Verhandlungen über diese zweite Phase ins Stocken gerieten, bot die Hamas an, alle Geiseln auf einen Schlag freizulassen, wenn sich Netanjahu zum Rückzug und einem Ende des Krieges verpflichtete.
Darauf wollte sich Netanjahu nicht einlassen: Er fürchtete, seine ultrarechte Koalition könnte auseinanderfallen. So begann er, mit Steven Witkoff, dem US-Gesandten des US-Präsidenten Donald Trump, der Hamas neue Bedingungen zu diktieren: Die erste Phase des Waffenstillstands sollte verlängert werden, weitere Geiseln sollten in dieser Zeit freigelassen werden. Als Gegenleistung bot er nicht einmal die Freilassung von palästinensischen Gefangenen an. Und die zweite Phase des Abkommen wollte er auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.
Arabische Staatschefs sind düpiert
Es war klar, dass die Hamas diese Bedingungen nicht annehmen würde; sie sprach von Sabotage. Israelische Medien bestätigen, dass es Netanjahu nicht ernst meinte. Denn der Beschluss, die Offensive wieder aufzunehmen, wurde schon vor einer Woche gefällt – also in einer Zeit, in der die arabischen Unterhändler mit Vertretern der Hamas, Israels und den USA in Katar verhandelten, um zu retten, was noch zu retten schien.
Die arabischen Unterhändler sind darüber mehr als verärgert. Ägypten bezeichnet die neuen israelischen Angriffe als „eklatante Verletzung“ des Waffenstillstandsabkommens. Auch Katar und Saudi-Arabien und selbst die Arabischen Emirate – Israels derzeit wohl engste arabische Verbündete – verurteilen die Angriffe scharf. Hinter den Kulissen dürften noch deutlichere Worte fallen. Erst vor zwei Wochen legten sie bei einem arabischen Gipfeltreffen in Riad einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens vor, in dem die Hamas keine Rolle mehr spielen sollte.
Doch dieser Plan ist nun erst einmal hinfällig, und die arabischen Staatschefs fühlen sich düpiert – auch von Trump, der im Voraus von Israels Angriffen informiert war und sie nicht verhindert hat. Israel bringt damit jene arabischen Länder gegen sich auf, mit denen es diplomatische Beziehungen unterhält, und auch Trump stößt seine wichtigsten US-Verbündeten in der Region damit vor den Kopf. Das dürfte sich langfristig als großer Schaden erweisen.
Was die Hamas erst groß gemacht hat
Und was kann Netanjahu damit erreichen, dass er zum Krieg zurückkehrt? Außer seine ultrarechten Koalitionspartner wieder an Bord zu bringen, darunter den Rechtsaußen Itamar Ben-Gvir, der nun wieder „Minister für Sicherheit“ ist und dessen ultranationale Partei ihm die nötigen Mehrheiten verschaffen kann? An die Befreiung der Geiseln glaubt er wohl selbst nicht. Ihre Angehörigen fürchten nun wieder aufs Neue um deren Leben. Hätte sich Netanjahu auf die zweite Phase des Waffenstillstands eingelassen, wären sie wohl kampflos freigekommen.
Und wie will Netanjahu es erreichen, dass die Hamas kapituliert oder „vernichtet“ wird? Dieses Ziel hat er nach 15 Monaten Krieg nicht erreicht. Zwar wurde die Hamas zweifelsohne geschwächt. Sie wird in Zukunft, wenn es nach dem arabischen Wiederaufbauplan geht, in Gaza wahrscheinlich keine tragende Rolle mehr spielen. Doch alle Militärgewalt kann nicht verhindern, dass sie im Untergrund weiterlebt und sich sogar neu organisiert. Denn solange in Gaza die Bedingungen herrschen, die zu ihrer Gründung geführt haben, und Israel womöglich zu einer direkten Besatzung des Gazastreifens zurückkehrt, wird die Idee eines militanten Widerstands florieren.
Unter diesen Bedingungen ist die Hamas entstanden und groß geworden, und dieselben Bedingungen werden ihr weiter Zulauf bescheren. Selbst wenn Israel jetzt noch einmal Tausende Palästinenser tötet und noch einmal Tausende zum wiederholten Male aus ihren Häusern vertreibt: qualitativ verschiebt sich damit nichts, solange nicht ernsthaft über die Rechte der Palästinenser verhandelt wird. Daran wird auch Netanjahus neueste Offensive nichts ändern.
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