Habecks Suche nach Gaslieferanten: Schmutzige Realpolitik
Gewiss, es ist ein Trauerspiel, dass ein grüner Minister mit Autokraten am Golf über Erdgas verhandelt. Doch es ist das kleinere Übel.
E s ist wie bei der berühmten Wahl zwischen Pest und Cholera: Wenn Deutschland sich bei den Gaslieferungen möglichst rasch aus der Abhängigkeit von Russland lösen will, dann müssen andere Lieferanten her. Und dazu zählen eben nicht nur so honorige Länder wie etwa Norwegen, dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bereits einen Besuch abgestattet hat. Sondern auch Diktaturen wie Katar.
Die Menschenrechtslage in diesem Golfemirat ist notorisch schlecht. Ein aktueller Bericht von Amnesty International zeigt auf, dass angebliche Verbesserungen für die dort beschäftigten ausländischen Sklavenarbeiter nur auf dem Papier stehen. Weder können sie ihren Job frei auswählen noch kündigen und eine neue Arbeit suchen. Über die Vereinigten Arabischen Emirate, Habecks Besuchsstation an diesem Sonntag, schreibt die Menschenrechtsorganisation in ihrem letzten Jahresbericht: „Die Behörden duldeten weiterhin keine politische Opposition und inhaftierten Andersdenkende.“
Es ist ein Trauerspiel, dass nun ausgerechnet ein Minister der Grünen – einer Partei, die stets besonderen Wert auf die Einhaltung der Menschenrechte gelegt hat – mit den Autokraten am Golf über die Lieferung von Erdgas verhandelt, einem Energieträger, den die Partei doch so schnell wie möglich verbannen wollte. In einem Drecksland um die Lieferung von Schmutz zu betteln – kann ein Grüner noch tiefer sinken?
Doch ein solcher Vorwurf ist allzu billig. Auch wer das Wort „alternativlos“ ablehnt, muss erklären, woher die Energie denn bitte sonst kommen soll, um deutsche Wohnstuben zu heizen. Die Abhängigkeit von Russland ist jedenfalls nicht den Grünen anzulasten. Eine Umstellung auf klimaschonende Energiequellen ist nicht in sechs Monaten zu bewerkstelligen. Schnell gehen mit dem Abschied vom russischen Erdgas sollte es aber schon, wenn man nicht länger Russlands imperiales Machtstreben unterstützen will.
Katar und die Emirate sind seit Jahrzehnten finanzstarke und gerne gesehene Geschäftspartner deutscher Unternehmen. Kaum jemand hat sich bisher daran gestört, sieht man einmal von Debatten über die kommende Fußball-WM dort ab. Wenn Robert Habeck nun zum Kauf von Erdgas auf die Reise geht, bedeutet das, dass die Grünen zu beschissenen Zeiten in einer schmutzigen Realpolitik angekommen sind.
Sie haben sich ihre Regierungsverantwortung vor ein paar Wochen gewiss anders vorgestellt – mit Windrädern, Solarzellen und einer eingeschränkten Rüstungsexportpolitik. Es ist anders gekommen als erträumt. Schuld daran trägt nicht Robert Habeck, sondern ein gewisser Wladimir Putin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen