Grüne Migrationspolitik: Lieber investieren als kapitulieren
Auch die Grünen-Chefin fordert jetzt weniger Migration. Damit vollzieht die Partei eine gefährliche Diskursverschiebung mit.
D ie Grünen sind nervös, und sie haben auch guten Grund dazu. Die letzten Landtagswahlen sind schlecht gelaufen, die Umfragewerte deuten weiter nach unten. Die Zustimmung zur Ampelregierung ist bundesweit mies, die AfD dagegen kann Rekordwerte verbuchen. Inhaltlich sind die Grünen in der Defensive, was zwar nicht nur, aber auch an der aktuellen Migrationsdebatte liegt. Und die ist scharf nach rechts abgebogen.
Der Beitrag, den Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Parteichefin Ricarda Lang dazu nun im Berliner Tagesspiegel gemeinsam veröffentlicht haben, ist ein Versuch, wieder in die Offensive zu kommen. Und er ist auch ein Signal in die eigene Partei, sich bei diesem Thema nicht auseinandertreiben zu lassen – deshalb schreiben der Oberrealo und die Linke gemeinsam. In dem Text steht viel Bekanntes, aber auch der bemerkenswerte Satz: „Wenn die Kapazitäten – wie jetzt – an ihre Grenzen stoßen, müssen auch die Zahlen sinken.“
Damit vollziehen die Grünen eine gefährliche Diskursverschiebung mit: dass die Anzahl der Schutzsuchenden auf jeden Fall reduziert werden muss. In der öffentlichen Debatte ist das längst zum obersten Ziel geworden; Teile der Politik liefern sich einen Wettbewerb, wer dabei die härtesten Maßnahmen fordert. Ob diese sinnvoll oder machbar sind? Spielt kaum noch eine Rolle.
Das muss aufhören, sonst treibt man der AfD noch mehr Wähler*innen in die Arme. Ohnehin ist zu befürchten, dass sich die gesellschaftliche Stimmung durch den Krieg in Nahost und Antisemitismus auf deutschen Straßen weiter verschärft.
Grüne machen längst mit bei härterer Migrationspolitik
Nun sind die Grünen in einer schwierigen Lage. Sie müssen Handlungsfähigkeit zeigen; von ihren Koalitionspartnern stehen sie unter Druck. Und nur zu gerne heften die anderen Parteien ihnen das Label an, dass sie tief im Herzen weiter für komplett offene Grenzen seien. Doch die Grünen haben sich davon längst verschiedet. Europäisches Asylsystem, Krisenverordnung, Abschiebungen – sie haben zuletzt Verschärfungen bis an die eigene Schmerzgrenze mitgetragen.
Jetzt werden sie dringend auf der anderen Seite gebraucht: die nach ehrlichen Lösungen sucht, wie das Land die aktuellen Herausforderungen in der Migrationsfrage stemmen kann. Und die der Bevölkerung signalisiert: Wir können das zusammen hinkriegen. Dazu wären etwa Investitionen notwendig, in Wohnungen, Schulen, Kitas. Die Kapazitäten sind ja nicht nur wegen der Geflüchteten knapp – sondern weil die Infrastruktur kaputtgespart worden ist. Was nicht hilft: das Gerede, dass man jetzt sofort die Anzahl der Geflüchteten verringern müsse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?