Offener Brief an Parteispitze: Die Grüne Basis protestiert

Über 400 Mitglieder der Grünen fordern vom Bundesvorstand eine Rückkehr zu den Grundwerten: offener Dialog statt Wegmoderation.

Menschen halten Schilder mit "Alle Stimmen Grün" hoch, auf der Bühne davor stehen Katharina Schulze, Ludwig Hartmann und Ricarda Lang

Alle Stimmen Grün? Die Basis meldet Protest beim Vorstand an Foto: Peter Kneffel/dpa

BERLIN taz | Kurz vor dem Bundesparteitag der Grünen fordern mehrere hundert Mitglieder von der Parteispitze eine Kurskorrektur. In einem offenen Brief sprechen sie sich für eine „wertegeleitete bundnisgrüne Politik und gelebte Basisdemokratie“ aus. Der Titel des Briefes: „Zurück zu den Grünen“. Unterschrieben haben innerhalb von zwei Tagen bundesweit mehr als 400 Mitglieder.

Nach der Bundestagswahl hätten sie darauf gehofft, dass die Beteiligung der Grünen wirklich einen Unterschied mache, heißt es in dem Brief. „Dann kam die Entscheidung zu Lützerath, kamen die 100 Milliarden für die Bundeswehr, kam GEAS. Es kam eine Kindergrundsicherung, die effektiv keinem Kind aus der Armut helfen wird, ein Bundeshaushalt, der insbesondere an der Jugend sparen wollte. Es kam ein zu kompliziertes, zu niedriges Bürgergeld. Die Sektorziele im Klimaschutzgesetz sollen abgeschafft werden. Abschiebegesetze werden verschärft.“

Natürlich müssten in einer Koalition Kompromisse gemacht werden, heißt es weiter. Schockiert aber sei man darüber, dass die getroffenen Kompromisse von den Grünen – „bei jedem dieser Themen“ – als Erfolg verkauft worden seien. „Manchmal erscheint es uns, als ob die Grünen von einer Partei für echte Veränderung zu einer Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden sind.“ Das ist ein harter Vorwurf an die eigene Spitze.

Besonders besorgniserregend sei diese Entwicklung mit Blick auf den gesellschaftlichen Rechtsruck. „Statt die Narrative der Rechten zu entkräften, machen wir das, wofür wir die CDU und SPD immer kritisiert haben. Wir gehen die Schritte der Verschiebung mit.“ In der Migrationsdebatte übernehme man gefährliche, teils verdeckt rassistische Diskursmuster. „Wir sind bereit für Kompromisse, wir sind aber nicht bereit, unsere Grundwerte aufzugeben“, heißt es weiter.

Wollen uns nicht wegmoderieren lassen

Initiiert haben ihn acht Parteimitglieder aus Thüringen und Berlin. „Wir sind frustriert“, sagte Thomas Schaefer, einer von ihnen, der taz. „Wir stecken viel Energie in diese Partei und im kommenden Jahr haben wir hier schwere Wahlkämpfe vor uns.“ Schaefer studiert in Erfurt, in Thüringen wird 2024 der Landtag neu gewählt. Die AfD könnte stärkste Kraft werden, die Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Schaefer ist über die Klimaproteste von Fridays For Future zu den Grünen gekommen. Die Resonanz auf den Brief zeige, dass es vielen Mitgliedern so gehe wie den Initiator*innen, sagt er.

Zur inhaltlichen Kritik kommt auch eine am Umgang der Grünen-Spitze mit der Basis. „Wir wollen uns nicht mehr wegmoderieren lassen“, so Schaefer. Es brauche eine ernsthafte Diskussion über den Kurs der Partei. Immer seltener gebe es Raum für Kritik oder konstruktive Debatte, heißt es dazu in dem Brief. Immer häufiger werde verlangt, Kompromisse im Nachhinein zu schlucken. „Wenn der Druck doch einmal zu groß wird, gibt es ein moderiertes Zoomformat mit Fragen“ und „ein paar beschwichtigenden Worten“.

Die Bundesdelegiertenkonferenz, wie der Parteitag bei den Grünen heißt, findet in der kommenden Woche in Karlsruhe statt. Dort wird der Bundesvorstand inklusive der Parteivorsitzenden neu gewählt, Ricarda Lang und Omid Nouripour stellen sich beide der Wiederwahl. Auch der Parteirat wird neu bestimmt, zu diesem gehören mit Robert Habeck und Annalena Baerbock die wichtigsten Mi­nis­te­r*in­nen der Grünen. Zudem wollen die Grünen ihre Liste und das Programm für die Europawahl im kommenden Jahr beschließen.

Der Bundesvorstand hat zuletzt einen Dringlichkeitsantrag zur Migrationspolitik eingebracht. Damit schafft er Raum für eine Diskussion, die er ohnehin nicht verhindern kann. Der Antrag wird bereits zu Beginn des Treffens am Donnerstagabend diskutiert. Es könnte eine sehr grundsätzliche Debatte werden.

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