Greta Thunberg und der Nahostkonflikt: Die Schubladen klemmen
Sind die Guten plötzlich die Bösen und die Bösen die Guten? Vielleicht sind unsere Kategorien einfach nicht mehr zeitgemäß.
D er Nahostkonflikt wirbelt gerade alte Gewissheiten gehörig durcheinander. Da stellt sich Greta Thunberg in Amsterdam auf die Bühne einer gigantischen Klimademo und ruft, es gebe keine Klimagerechtigkeit in einem besetzten Land – trägt dazu nicht nur ein Palästinensertuch, sondern umgibt sich auch noch mit zweifelhaften Mitstreiter:innen.
Nahezu zeitgleich reiht sich Marine Le Pen mit ihrem rechtsextremen Rassemblement National in Paris bei einer Demo gegen Antisemitismus ein.
Wird Thunberg damit endgültig zur „Persona non Greta“, die die von ihr maßgeblich angestoßene Klimabewegung in die Krise stürzt? Und gehört Marine Le Pen jetzt plötzlich zu den Guten?
Eins ist sicher: Die alten Schubladen klemmen, sie passen nicht mehr richtig. Aber hilft es, dann alle möglichst schnell in neue zu stecken?
Im Gegenteil. Das zeigt ja schon der Blick nach Paris. Rechtsextreme werden nicht zu Gutmenschen, bloß weil sie sich als Antiantisemiten gerieren, um so ihren antimuslimischen Rassismus zu begründen. Das ist mehr als durchschaubar.
Puh. Schwierig
Und Thunberg? Puh. Schwierig. Ihre Parole „No climate justice on occupied land“ ist heftige Israel-Kritik, die man nicht teilen muss. Aber antisemitisch?
Nein. Sie ist vielmehr ihre Konsequenz aus einem anderen Slogan, den Fridays for Future weltweit vor sich herträgt: „System change, not climate change“. Systemwechsel statt Klimawandel. Was ja nichts anderes heißt als: Für den Kampf für eine gerechtere Welt und gegen den Klimawandel müssen Machtverhältnisse neu geordnet werden. Weltweit. Also auch in Israel. Auch in Gaza.
Dennoch ist Thunbergs einseitige Positionierung fatal. Denn sie führt in der aktuellen Lage überhaupt nicht weiter. Das Problem ist ja: Klimawandel ist nun wahrlich nicht der entscheidende Punkt im Nahostkonflikt.
Auf die ohnehin kaum zu beantwortende Frage, wie angemessen das militärische Vorgehen Israels in Gaza ist, bietet Klimapolitik keine Antwort. Und um zu wissen, dass das antisemitische Pogrom der Hamas am 7. Oktober in Israel zweifelsohne zu verurteilen ist, braucht es auch kein Klimaengagement.
Thunberg treibt mit ihrer Positionierung einen Keil in die Klimabewegung, statt ihr eigentliches Potenzial zu nutzen. Denn wer sonst außer genau diese junge, global denkende Bewegung könnte der Motor für eine von allen Seiten akzeptierte Antikriegsbewegung sein, weil sie nicht vergisst, dass die Menschheit ein alles überschattendes Problem hat: den sich weltweit beschleunigenden Anstieg der Temperaturen.
Keine Klimagerechtigkeit ohne Frieden. Aber dabei helfen keine einseitigen Gewissheiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch