Generation-Z und Arbeitsmoral: Niemand will mehr arbeiten!
Jungen Menschen wird von Konservativen vorgeworfen, faul und leistungsschwach zu sein. Die Debatte schießt am Ziel vorbei.
![Eine Person sitzt im Dunkeln vor einem Laptop Eine Person sitzt im Dunkeln vor einem Laptop](https://taz.de/picture/6723890/14/34289128-1.jpeg)
K onservative sagen oft, dass junge Leute nicht mehr richtig arbeiten wollen. Also so richtig arbeiten, mit Blut, Schweiß und Tränen. Fakten wie steigende Produktivität und sinkende Arbeitslosenzahlen überzeugen sie nicht vom Gegenteil. Auch 2023 begleitete uns das Geraune von der faulen Jugend, oft gemischt mit ein wenig Verachtung.
Der Chef des Softwarekonzerns SAP will seine Mitarbeiter*innen künftig nach Leistung einteilen und Jens Spahn findet, dass Deutschlands Arbeitswelt ein „Freizeitpark“ ist. Das ist ärgerlich, denn in Zeiten des Rechtsrucks wird aus einem alten Gag eine kulturkämpferische Parole, die die Gesellschaft in Leistungsstarke und Faulenzer spaltet.
Dem liegt ein Leistungsbegriff zugrunde, der Busfahrer*innen, Alleinerziehende oder Pflegepersonal vergisst. Junge Menschen ecken an, weil sie plötzlich eine Vier-Tage-Woche fordern. Konservative reagieren darauf mit Unverständnis. Statt Klagen bräuchten junge Menschen aber positive Utopien vom Arbeitsleben.
Denn so anspruchsvoll sind sie gar nicht. Sie wollen, wie die Generationen vor ihnen, Sinn in ihrer Arbeit finden. Auch die Erkenntnis, dass Produktivität keine lineare Größe ist und gesunde Arbeitnehmer*innen mit einem funktionierenden Sozialleben weniger krank und weitaus produktiver sind, scheint in Vergessenheit geraten zu sein.
Die enormen Herausforderungen, vor denen junge Menschen in ihrer Zukunft stehen, werden nicht thematisiert. Der Fachkräftemangel und der demografische Wandel werden dazu führen, dass sie länger arbeiten und mehr Care-Arbeit leisten müssen. Da liegt es nahe, sich schon jetzt mit der eigenen Work-Life-Balance auseinanderzusetzen.
Die faule Jugend ist ein Jahrhundertmärchen
Sie starten ins Berufsleben mit dem Wissen, dass es die Rente in ihrer heutigen Form nicht mehr geben wird. Das führt zu Unsicherheit. Die Antwort der Konservativen auf diese Sorgen ist jedoch: Man stellt sich in die Öffentlichkeit, brüllt „Niemand will mehr arbeiten“, zeigt auf eine Werkbank und hofft auf Demut und Ehrfurcht.
Vielleicht geht es gar nicht um die Leistung der jungen Generation, sondern um Leistung als politische Projektion. Oft geht es in der Diskussion tatsächlich darum, unliebsame soziale Gruppen auszuschließen, in dem sie als faul gebrandmarkt werden. Die Frage, in welchem Verhältnis Leistung zu Lohn und Anerkennung steht, wird jedenfalls nicht ernsthaft diskutiert.
Betrachtet man die Geschichte der Arbeit, so lassen sich die Beispiele, in denen das Geschrei nach „Leistung“ bei irgendjemandem irgendein abstraktes „Leistungsbewusstsein“ hervorgerufen hat, an fünf, besser null Fingern abzählen. Die Fälle, in denen die Arbeitswelt von besseren Arbeitsbedingungen profitiert hat, sind dagegen zahlreich. Man könnte zum Beispiel damit beginnen, Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, von der sie leben können. Klingt utopisch, aber für sozialromantische Träumereien schreibe ich ja diese Kolumne.
Man könnte das alles gelassen sehen: Je höher die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und je höher die Produktivität, desto lauter wird offenbar das Jahrhundertmärchen von der Leistungsunfähigkeit der faulen Jugend. Aber so unterhaltsam das aus der Makroperspektive auch sein mag: Es nervt.
Ich wünsche mir, dass wir im Jahr 2024 mehr darüber reden, wie wir die Arbeitswelt verbessern können, wie wir die Menschen glücklicher und zufriedener machen können und wie wir die Leistung derer wertschätzen können, die heute in dieser Debatte nicht vorkommen. Frohes Neues!
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