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Eurovision Song ContestZwiespältige eurovisionäre Illusion

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Beim ESC wird der Ausschluss Israels gefordert, Vergleiche mit Russland werden gezogen. Doch die greifen zu kurz.

Yuval Raphael präsentiert Israel auf dem 69. ESC in Basel Foto: Harold Cunningham/getty

A ls Yuval Raphael von Israels öffentlich-rechtlicher TV-Station KAN als Act für den diesjährigen ESC in Basel ausgesucht wurde, stand ihr Trainingsprogramm längst fest. Ein zentraler Punkt: Das stark vermutete Buhkonzert während der Liveauftritte aushalten können. Und das mit gutem, beziehungsweise schlechtem Grund: Im Vorjahr war die israelische Kandidatin Eden Golan während ihrer ­Performance mit lärmenden Buhrufen gestört worden. Das sollte Yuval Raphael nicht passieren.

Beim ESC in Malmö im Mai 2024 war dem Mobbing damals eine Kampagne des antiisraelischen Bündnisses BDS vorangegangen, einschließlich lautester Proteste gegen die Israelin, ihr Land und dessen Präsenz beim ESC ­schlechthin. Nicht nur das, auch etliche ESC-KollegInnen – darunter Nemo, später siegreiche Künstlerperson aus der Schweiz – hatten sich dem Bashing angeschlossen, angestachelt durch Millionen Social-Media-NutzerInnen.

Darauf musste sich Raphael also vorbereiten. Dass die 24-Jährige ausgewählt wurde, sei ihr eine Ehre, sagt sie. Ihre Rolle beim ESC verstehe sie als eine Botschafterin. Die Sängerin war am 7. Oktober 2023 beim Supernova-Festival dabei. Sie ist eine Überlebende, weil sie sich während der Hamas-Terrorattacke unter einem Berg von bereits Ermordeten wie leblos zu verhalten wusste. Am vorigen Sonntag beim Gala-Walk über den türkisenen Teppich in Basel überging sie irritationslos, dass einer aus dem Publikum ihr per Geste die Hölle wünschte, als er mit den Fingerspitzen über seinen Hals strich – lächelnd.

Petition fordert Israels Ausschluss

Ebenso wird Raphael wohl auch besonders zwiespältig auf die Illusion vom kollegialen Miteinander beim ESC schauen: Die meisten wünschen einander zwar Glück, so war es immer, so ist es auch dieses Jahr.

Ihre Rolle beim ESC versteht Yuval Raphael als eine der Botschafterin. Die Sängerin war am 7. Oktober 2023 beim Supernova-Festival

Andere frühere SängerInnen, darunter abermals Nemo und auch Salvador Sobral, der portugiesische Gewinner von 2017, unterzeichneten jedoch eine Petition der „Artists for Palestine“, die Israels Ausschluss vom ESC fordert. Die Begründung: Israel führe Krieg gegen seine palästinensischen Nachbarn – und Russland und Belarus seien ja nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine suspendiert worden.

Die EBU, die europäische TV- und Radio-Union der öffentlich-rechtlichen Sender, wies diese Petition zurück – einleuchtenderweise. Denn obwohl es häufig so scheint, nehmen am ESC keine Länder teil, sondern unabhängige TV-Stationen. Das sei in Russland und Belarus spätestens seit dem Krieg gegen die Ukraine nicht der Fall. In Israel jedoch sei KAN vom Staat unabhängig – Raphael trete also nicht als Regierungschanteuse an.

Hält sich die EBU naiv zurück?

Die EBU, mag eingewandt werden, halte sich naiv zurück, um sich politisch nicht einmischen zu müssen und lege dabei unterschiedliche Maßstäbe an – hier das gebannte Russland, dort das geduldete Israel. Doch obwohl sich ein Millionenpublikum den ESC als eine Art politische Europameisterschaft der Pop-Künste vorstellt, kann für die eurovisionäre Oberinstanz nur eine Abwägung gelten. Arbeitet ein TV-Sender vom Staat in, zumindest geringfügiger, Distanz?

Diese Herangehensweise hatte zur Folge, dass Russland etwa nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim nicht verbannt wurde, auch der britische Falkland-Krieg in den frühen Achtzigerjahren führte zu keinen Sanktionen. Fragen wirft allerdings die Teilnahme autokratisch geführter Länder wie Aserbaidschan auf: Auch diese werden nicht sanktioniert, obwohl dessen zur EBU gehörender TV-Sender keinen unabhängigen Journalismus produziert.

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Israel nimmt seit 1973 an ESCs teil, weil die EBU auch viele Mitgliedssender außerhalb der politischen Kartografie hat, nichteuropäische, etwa auch solche aus nordafrikanischen oder nahöstlichen Ländern, die allerdings seit jeher ein Mitmachen davon abhängig machen, dass Israel ausgeschlossen wird, was die Genfer ESC-Verantwortlichen selbstverständlich immer als Ansinnen ignorierten.

Hoffen auf den üblichen Festivalmodus

Die EBU hofft weiter, dass ihr 69. ESC im üblichen Festivalmodus verläuft – und hat dafür verfügt, dass auf der Bühne nur noch die eigene offizielle Landesflagge gezeigt werden darf. Im Publikum sind Länder- und andere Flaggen sexualidentitären Inhalts erlaubt. Auch palästinensische, obwohl der (momentan noch imaginierte) Staat weder einen Sender hat, der EBU-Mitglied ist, noch an einer künstlerischen Teilhabe bislang Interesse zeigte. Für die ESC-Tage raten Baseler Sicherheitskräfte Jüdinnen und Juden, sich unauffällig zu verhalten. Für den Samstag sind antiisraelische Demonstrationen geplant.

Yuval Raphael, die zu den Favoritinnen dieses Jahres zählt, tritt mit einer Botschaft an, die zeitgenössischer nicht sein könnte. „Ich habe diesen Horror nicht überlebt, um nicht mehr zu leben“, sagt sie. Am Donnerstag muss sie sich im Semifinale erst noch mit ihrer Ballade „A New Day Will Rise“ und ihrer klasse Stimme für das Grand Final am Samstag qualifizieren. Landet sie weit vorn, muss dies nichts mit prozionistischem Einvernehmen zu tun haben. Die Israelverwünschenden werden damit leben müssen, am Samstag an den 7. Oktober 2023 erinnert zu werden.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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15 Kommentare

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  • Wenn ich lesen, auf welche Art Raphael u erleben könnte, tut mir mein Herz weh.



    Und das Video, in dem sie von einem Demonstranten bedroht wird, ist grundfalsch, eine Schande.



    Der Rat an jüdische Bürger:innen, sich unauffällig zu verhalten, stößt ebenfalls bitter auf.



    Verkehrte Welt.



    Ich wünsche mir gleichzeitig: Dass wir darüber nachdenken warum dieser furchtbare Überfall am 7. Oktober geschehen ist. Nicht in luftleerem Raum, dafür auf gestohlenem Boden.

    Urteilen wir mit den gleichen Maßstäben heute über Überfälle von natives auf weiße Einwanderer im 18. Und 19. Jahrhundert der heutigen USA?

  • Bleibt der Künstlerin zu wünschen, dass sie dem zu erwartenden extremen Druck unbeschadet Stand halten kann . Vielleicht denkt dann ja doch der Eine oder die Andere unter den Boykottfreund*innen doch mal darüber nach, wie beschämend es ist, die Stimme des Opfers verbieten zu wollen.

  • Ich würde mich übrigens freuen, wenn auch eine Palästinenserin teilnähme. Wenn sie bis dahin überlebt.



    Ansonsten danke für eine ungewohnt sachlich schreibende Darstellung der Sachlage, und was auch für eine Teilnahme der Israeli spricht.



    Russland ist tatsächlich ein ganz anderes Kaliber, und Raphael hat sich meines Wissens nicht von Netanyahu oder den Siedlern einspannen lassen.

    Anders geäußerte Kritik an der jahrzehntelangen Besatzung oder der aktuellen Blockade, Vertreibung, Aushungerung ist völlig natürlich.



    Mensch kann aber auch mal den ESC als viel zu hochgejazztes Randevent auch einfach liegenlassen.

  • Aus meiner Sicht sollten keine Länder ausgeschlossen werden. Mit dem Ausschluss bestraft man die Bevölkerung, die sich eigentlich keinen Krieg wünscht. Und Kultur, auch die des ESC, sollte nicht mit Politik oder Krieg vermengt werden und immer als Brücke zwischen den Ländern/Völkern gesehen werden. Und wie kann "öffentlch-rechtlich" unabhängig vom Staat sein. Auch in den deutschen ÖRR sind deutsche Politiker mit am Tisch und damit ist ÖRR nicht unabhängig vom Staat.

  • Es ist vom Autor natürlich fies zu sagen letztes Jahr wäre Israel gemobbt worden. Da doch Israel die anderen so belästigt hat das zahlreiche Künstler GAR NICHT auftreten wollten und ein Musiker sogar auf Grund einer Lüge ausgeschlossen wurde. Auch dieses Jahr meldeten sich die Ex Musiker und wiesen nochmals darauf hin wie schlimm das Mobbing seitens Israel war.

  • Ja wenn die alle nur ihre Fernsehsender vetreten warum kommen sie dann landesfahnenschwenkend an und nicht mit einer Fahne auf der das Logo ihres Senders ist?

  • "....auch der britische Falkland-Krieg in den frühen Achtzigerjahren führte zu keinen Sanktionen"

    Hä? Warum sollte er auch? Das Nicht-ESC-Teilnehmerland Argentinien griff unprovoziert britisches Territorium an.

  • Dass Yuval Raphael den Terroranschlag am 07.10.2023 überlebt hat, indem sie sich tot stellte, ist natürlich krass; insofern ist ihr Weiterleben als Star wie eine Auferstehung.

    Andererseits kann kein/e Palästinenser/in am ESC teilnehmen, schon gar nicht aus Gaza. Deren Menschen waren schon immer vom ESC ausgeschlossen.

    Was das Argument mit dem unabhängigen Fernsehsender betrifft: da haben irgendwelche Winkeladvokaten wieder mal ihrer Korinthenkackerei gefröhnt. So etwas kann kein Kriterium sein, weil die Israelische Sängerin sicherlich nicht den Fernsehsender vertritt, sondern ihr Land.

    Deshalb sollten und müssen gleiche Maßstäbe gelten und die gelten nicht. Schon früher, bei Boykotts der Sommer-Olympiaden gegen Russland und die USA wurden vor allem die Sportler:innen bestraft.

    Entweder es nehmen sowohl Russland und Israel am ESC teil, oder keiner von beiden.

  • "Für die ESC-Tage raten Baseler Sicherheitskräfte Jüdinnen und Juden, sich unauffällig zu verhalten." Man darf sich schon fragen, in was für einer Welt wir mittlerweile leben, in der man sich als Jude wieder möglichst unsichtbar muss, um schadlos Öffentlichkeit zu überstehen.

    • @Vigoleis:

      diese kommunikation ist teil des problems, entweder unverständnis oder bewusstes framing, die kritik und wut richtet sich nicht gegen jüdische menschen, sondern gegen die regierung israels. dies genau auseinander zu halten, schaffen nur leute, die sich intensiv mit der thematik befasst haben. dazu gehören leider sehr selten politiker oder auch medienvertreter.



      im falle des ESC kann man schon davon ausgehen, dass die sängerin den staat vertritt, und nicht nur eine zufällige bürgerin israels ist - den vorwurf des whitewashing muss sich also israel gefallen lassen.



      was man neben der ganzen inszenierung der opferrolle und verletzter gefühle eben nicht vergessen darf, ist, dass die regierung israels offen ausspricht, dass sie die menschen in gaza vertreiben und aushungern will, dass es keine menschen sondern tiere sind, völkerrecht bricht etc.



      wichtig belibt, diese tatsachen immer in relation zu halten

    • @Vigoleis:

      Das gilt auch für andere, nicht nur für Juden....

  • Natürlich sollte Israel am ESC nicht teilnehnen dürfen. Das ESC als weltoffenes, multikulturales Festival verträgt sich schwer mit einer Repräsentanz einer rechtsextremen Regierung Netanjahu, deren Priorität expliziet nicht die Befreiung der Geiseln ist, sondern eine militaristische Strategie, die die Hamas und den Gaza zerstören, die Bevölkerung vertreiben und damit den Tod der Geiseln biligend in Kauf nehmen will. Nicht nur Amnesty International bezeichnet dieses Vorgehen als Völkermord an den Palästinensern. Massenmord in Gaza und der Überfall auf die Ukraine vertragen sich nun mal nicht mit den Zielen des ESC.

    • @Rinaldo:

      Antisemitismus aber auch nicht.

    • @Rinaldo:

      Seh ich auch so. Gruss Peter