Debatte zur Sprache: Alle #mitgemeint
Die geschlechtergerechte Sprache ist Mittel im Kampf gegen Gender-Pay-Gap oder Gewalt gegen Frauen und trans Personen.
V iel war von Friedrich Merz in jüngerer Zeit nicht zu hören – es sei denn, es ging um „Gendersprache“. Merz, mehrfach erfolgloser Kandidat für den CDU-Vorsitz, ergatterte ein paar Schlagzeilen, indem er sich als Sprachpolizist gerierte und laut über ein Verbot von geschlechtergerechten Formen nachdachte: Ein Verfechter der inneren Sicherheit verspricht Kontrolle auch auf dem Feld der Identitätspolitik. Dieser Mechanismus, obschon leidlich ausgeleiert, funktioniert.
Wer auch immer ein wenig Aufmerksamkeit braucht – Friedrich Merz, Jan Fleischhauer, Birgit Kelle oder jemand von der AfD – wirft die Worte „Gendersprache“ oder „Gendergaga“ in die öffentliche Arena, polemisiert über zu viele Geschlechter, bei denen niemand mehr durchblickt, und beschwört die gute alte Zeit, die für uns alle einfacher, beruhigender und lebenswerter gewesen sei. Einfach, beruhigend und lebenswert: So wollen wir die Welt doch alle.
Die Sache ist nur: Das Versprechen, alles werde wieder besser (für wen?), wenn wir nur stur das generische Maskulinum verwenden, stimmt nicht. Genau genommen hat beides – die gute alte Zeit und das Gendern – gar nichts miteinander zu tun. Was hier geschaffen wird, ist ein Konstrukt: Über Codewörter wie „Gendersprache“ oder „Gendergaga“ wird eine emotionale Übereinkunft hergestellt, die besagt: Die, die unsere schöne und seit Jahrhunderten gleiche Sprache durchs Gendern verhunzen, sind anmaßende Banausen und lächerliche Freaks.
Verknüpft wird diese Übereinkunft mit dem Versprechen, in eine imaginäre Wohlfühlrealität zu finden – ganz ohne sich mit Zumutungen wie dem Gendern auseinandersetzen zu müssen. Gendern greift Identität an. In einer Sprache des generischen Maskulinums scheinen sich die Geschlechter übersichtlich und in traditionellen Rollen wohlgeordnet zu befinden.
Schöne, heile, maskuline Welt
Dass dies schon lange nicht mehr der Fall ist, dass das binäre Geschlechtersystem und sogenannte traditionelle Rollen aufgebrochen sind, dazu trägt Sprache bei. Dass es dabei „nur“ um Sprache geht und wir insofern doch Besseres zu tun hätten, was gern als Argument gegen das Gendern vorgebracht wird, stimmt nicht: Sprache ist ein Handlungsinstrument. Sprache prägt Gesellschaft. Es mag zunächst paradox klingen – aber natürlich gibt es gleichzeitig erst mal Wichtigeres als Sprache.
Wichtiger wäre zum Beispiel, dass in Deutschland nicht jeden dritten Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umbringt. Dass der Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen nicht mehr rund 1.200 Euro monatlich beträgt. Oder dass trans Menschen nicht gefährlich leben, nur weil sie trans sind. Gegen all dies allerdings lässt sich besser mit angemessener Sprache kämpfen: mit der Anerkennung neuer Wörter und Kategorien wie „Femizid“ zum Beispiel.
Mit dem Binnen-I, das die Verschiedenheit von Männern und Frauen benennt. Oder mit dem Sternchen oder Doppelpunkt, mit dem kenntlich gemacht werden kann, dass trans Menschen etwa als Patient:innen im Gesundheitssystem oft diskriminiert werden. Das eine hängt mit dem anderen zusammen – und wer nun welchen Kampf zuerst führen will, diese Entscheidung sollten wir den Kämpfenden überlassen. Gendern verändert Sprache.
Anders als oft behauptet, verändert es Sprache von unten. Aus den Communitys heraus entstand der Wunsch, eine respektvolle Sprache zu erfinden und zu verwenden, die Menschen anspricht, die sich mit dem generischen Maskulinum unsichtbar gemacht fühlen. Erst von dort aus erobert sich das nicht-maskuline Gendern langsam seinen Platz bei den üblichen Verdächtigen: den linksgrün versifften Gutmenschen, den Unis, manchen Stiftungen und einigen grün geführten Landesregierungen – nach und nach also in der Gesellschaft.
Gesetzentwurf im generischen Femininum
Dass Verordnungen dabei nicht einfach „von oben“ kommen, zeigte etwa die hübsch aufgescheuchte Reaktion des männlich geführten Bundesinnenministeriums (BMI), als das weiblich geführte Bundesjustizministerium tatsächlich einen Gesetzentwurf im generischen Femininum verfasste – und diesen, nachdem das BMI schwere Geschütze auffuhr und den Entwurf aufgrund der durchgängig weiblichen Form gar als „höchstwahrscheinlich verfassungswidrig“ beschoss, zurückziehen musste.
Immerhin sind die Kämpfe um geschlechtergerechte Sprache auch auf Ebene der Bundesregierung angekommen. Ein Fortschritt. Das Wesen von Veränderung ist, dass sie nicht aufhört. Das gilt auch fürs Gendern: Seit Jahrzehnten werden neue Formen ausprobiert, zum Teil und mittlerweile auch fürs Deutsche neue Pronomen erfunden, Sprechakte verändert. Unverrückbare Regeln fürs Gendern gab es dabei nie – auch Leitfäden sind dazu da, herausgefordert, diskutiert und immer mal wieder angepasst zu werden.
Im Alltag werden sich manche mit Sprache wenig auseinandersetzen und deshalb nicht gendern. Anders wäre es schöner, aber das ist schon okay. Wer sich jedoch damit auseinandersetzt, wer darum gebeten wird und sich trotzdem dagegen entscheidet, muss damit leben, dass die, die in der Sprache auch gern ihren Platz hätten, das nicht sonderlich respektvoll finden.
Friedrich Merz dürfte so ein Fall sein: einer, der ein emotional besetztes, weil Identität betreffendes Thema bewusst gegen die Linksgrünversifften in Stellung bringt, indem er vom „Zwang“ zum Gendern spricht und damit zuverlässig ein paar Empörungsklicks kassiert, auch wenn er nichts anderes versucht, als den Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit mittels Polemisierung zu führen.
Schade ist das Ganze aber doch – weil durch diese Instrumentalisierung von geschlechtergerechter Sprache eine etwas unaufgeregtere Herangehensweise und Annäherung ans Thema verhindert wird. Die würde dem Gendern gerechter, das nichts anderes will als gleiche Präsenz für alle. Und täte uns sicher gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften