Debatte um Impfpflicht: Aus der Zeit gefallen
Die Impfstoffe schützen nicht vor einer Infektion mit der Omikron-Variante. Die Kampagnen von Bund und Ländern tun so, als wäre nichts.
W er derzeit an einem Plakat der Impfkampagnen von Bund und Ländern vorbeikommt, muss sich unwillkürlich fragen: Aus welcher Zeit stammen die eigentlich? Sind die noch von letztem Jahr über? Hat man vergessen, neue zu drucken? In Niedersachsen etwa ist „Spritze oder Corona“ die Überzeugungsformel. In einer Zeit, wo sich hunderttausende Menschen trotz Impfung und Booster mit dem Virus anstecken, wirkt das lächerlich, wenn nicht gar irreführend.
Die aus der Zeit gefallenen Kampagnen stehen symptomatisch für eine Coronapolitik, die seit Langem immer nur hinterherhinkt und oft erst dann reagiert, wenn die Umstände der Pandemie sich längst verändert haben. So wird auch jetzt noch über die Impfpflicht diskutiert, als hätte sie noch Chancen in einer Zeit, in einer Zeit, in der eine Impfung in sehr viel geringerem Maße vor Ansteckung und Erkrankung schützt. Von einer Politik, die ihre Bürgerinnen und Bürger nicht für dumm verkauft, würde man erwarten, dass wenigstens einmal in aller Deutlichkeit gesagt wird: Der Stellenwert der Impfung hat sich drastisch verändert.
Es geht nunmehr nur noch um den Schutz vor einem schweren Verlauf. Doch noch immer wird von den maßgeblich Verantwortlichen in der Bundesregierung so getan, als sei die Impfung allein der Ausweg aus der Pandemie und ihre Verweigerung idiotisch und unsolidarisch. Im wahren Leben hingegen hat Corona längst seinen Schrecken verloren. Eltern rechnen – vergleichsweise gelassen – täglich damit, dass eins ihrer Kinder mit der Infektion nach Hause kommt.
Die meisten haben sich damit abgefunden, über kurz oder lang zu erkranken. Was bleibt, sind die vulnerablen Kinder und Erwachsenen, für die das Risiko eines schweren Verlaufs trotz der Impfung noch immer groß ist. Auch eine höhere Impfquote, das wissen wir ja längst, kann sie nicht schützen. Für sie müssen effektive Lösungen gefunden werden, sei es mit wirksamen Medikamenten, die bisher nur eine Nebenrolle gespielt haben, oder mit anderen überzeugenden Strategien.
Anm. der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es, dass die Impfung nicht vor Erkrankung schütze. Das war eine verkürzte Zuspitzung. Die Impfung schützt nicht gänzlich vor einer Infektion mit Omikron und nicht so umfassend wie vor einer mit Delta. Laut jüngsten Daten des Robert-Koch-Institut erkranken Geboosterte je nach Altersgruppe zwischen 65 und 87 Prozent seltener als Ungeimpfte. Bei Delta lag diese Impfeffizienz zuletzt zwischen 80 und 90 Prozent.
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