Bundespolizei sucht nach Linken in Zügen: Schaffner sollten Dreadlocks melden
Nach dem Urteil gegen Lina E. wollte die Bundespolizei Infos über linke Fahrgäste. Nordwestbahn entschuldigt sich für Liste mit Erkennungsmerkmalen.
Die Nordwestbahn bestätigte der taz ein Hilfeersuchen der Bundespolizei, das am Mittwoch vor Demonstrationen anlässlich des Urteils gegen die Antifaschistin Lina E. verbreitet wurde. Das Eisenbahnunternehmen entschuldigt sich für problematische Formulierungen. Die Bundespolizei antwortet bis Redaktionsschluss nicht.
Bekannt gemacht hatte die Aufforderung die Bremer „Basisgruppe Antifaschismus“, die über Twitter eine interne Mitteilung der Nordwestbahn veröffentlichte. Das Eisenbahnunternehmen fährt unter anderem auf Strecken zwischen Osnabrück und Bremen sowie zwischen Oldenburg und Bremen.
In der internen Anweisung an das Zugpersonal heißt es wörtlich: „Laut Bundespolizei sind linke Personen an folgenden Merkmalen bzw. Aussehen zu erkennen: Alternatives Auftreten bzw. Aussehen, evtl. mit Dreadlocks, links orientiert, besonders häufig auch Studenten, Personen, die der ‚Öko-Szene‘, ‚Grünen-Szene‘ oder Generation-Z zuzuordnen sind.“ Das Zugpersonal sollte demnach Personen an die Betriebsleitzentrale melden, auf die diese Beschreibung passt und die in Richtung Bremen unterwegs waren.
Empfohlener externer Inhalt
Rechtswidriges Handeln der Polizei
Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam aus dem erweiterten Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins nennt die Aufzählung der Merkmale „absurd“, „gefährlich“ und „diskriminierend“. Er hält bereits die Frage der Bundespolizei an die Nordwestbahn für empörend und sieht gleich mehrere Grundrechte beschnitten, etwa den Gleichheitsgrundsatz und die Versammlungsfreiheit. „Niemand ist per se verdächtig aufgrund seines Aussehens“, sagte Adam der taz. Und: „Wenn die Personen sogar noch auf dem Weg zu einer Versammlung sind, greift zusätzlich der Schutz aus Artikel 8 des Grundgesetzes, der auch die ungehinderte Anreise schützt.“
„Diese Aufforderung der Bundespolizei ist daher in mehrfacher Hinsicht rechtlich hochproblematisch“, sagte Adam. Zugpersonal würde aufgefordert, zu Hilfspersonen rechtswidrigen Handelns der Bundespolizei zu werden. „Zugbegleiter*innen haben keine hoheitlichen Aufgaben und das ist auch gut und richtig so“, sagte Adam der taz.
Ein Sprecher der Nordwestbahn bestätigte der taz das Hilfeersuchen der Bundespolizei und entschuldigte sich gleichzeitig für die getätigten Äußerungen in der internen Mitteilung. „Die Bundespolizei hat am vergangenen Mittwoch die Eisenbahnverkehrsunternehmen in Bremen darum gebeten, über das Aufkommen von Demonstrant:innen in den Zügen zu informieren“, erklärte der Sprecher.
Die in den sozialen Medien veröffentlichte E-Mail der Betriebsleitzentrale sei durch einen Mitarbeiter versendet worden. Woher die vermeintlichen Erkennungsmerkmale für die Demonstrant:innen stammten, werde derzeit ermittelt. Der Mitarbeiter sei am Donnerstag bis zur abschließenden Klärung von seinen Aufgaben entbunden worden.
Die Nordwestbahn distanziert sich von „Diskriminierung“
„Die Nordwestbahn distanziert sich ganz klar von den Ausführungen in der E-Mail.“ Diese entsprächen in keiner Weise den Leitideen und Grundwerten des Unternehmens. „Die Nordwestbahn steht für die Ablehnung jeglicher Form von Diskriminierung, insbesondere gegenüber Mitarbeitenden und Fahrgästen.“
Bundesweit war es am Mittwochabend zu Demonstrationen der linken Szene gekommen, nachdem gegen die AntifaschistInnen Lina E. sowie drei Mitangeklagte in Dresden mehrjährige Haftstrafen verhängt worden waren. In Bremen war es bei Protesten zu Würfen mit Steinen und Glasflaschen auf PolizistInnen gekommen, laut Polizei seien acht Einsatzkräfte leicht verletzt worden. 70 Menschen seien festgenommen worden, mittlerweile aber wieder frei.
Für Samstag hat die Linke Szene zu Protesten und einer bundesweiten Demonstration in Leipzig aufgerufen. Die Polizei dort rüstet sich für einen Großeinsatz, die Stadt verhängte ein Demonstrationsverbot. Die Anmelder legten noch in der Nacht zu Freitag Rechtsmittel dagegen ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern