Angriff auf den Sozialstaat: Nicht die Butter vom Brot nehmen

„Rente oder Rüstung?“ wird zur zentralen Frage. Doch die Attacken auf den Sozialstaat lenken davon ab, dass auch ein Gegenangriff möglich wäre.

Soldaten hinter einem Kanonerohr, vergilbte Aufnahme

Fuests Faustregel: Abwehrkanone statt Aufstrich (Symboldbild) Foto: picture alliance

Wussten Sie, dass es im Schlaraffenland schweres Geschütz gibt? Clemens ­Fuest, der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts IFO, saß am Donnerstag bei Maybrit Illner. Dort verkündete er ohne Scham, dass Deutschland seinen Sozialstaat zusammenkürzen müsse, um die Aufrüstung zu bezahlen. Wörtlich sagte er: „Kanonen und Butter, es wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht.“

Findige Internetuser machten sofort darauf aufmerksam, dass Fuest damit Nazipropaganda ausspreche, denn der Gegensatz von Butter und Kanonen kam gerne in Reden von Hess und Goeb­bels vor.

Dass Ökonomen Naziparolen von sich geben, ist ekelhaft, aber wir sollten uns nicht von der Symbol­ebene ablenken lassen. Denn was hier vorgespurt wird, ist ein Angriff auf den Sozialstaat und die Lebensbedingungen der Mehrheit.

In derselben Sendung schlug Finanzminister Lindner vor, die Sozialleistungen drei Jahre lang einzufrieren. Auch von ganz oben kommen solche Töne. Die meisten würden verstehen, wenn man nach dem Auslaufen des Sondervermögens an anderer Stelle sparen müsse, um den Wehr­etat zu finanzieren, sagte Kanzler Scholz kürzlich der Süddeutschen Zeitung.

Wir werden dafür bezahlen

In seiner wöchentlichen Videobotschaft äußerte Scholz dann dieses Wochenende: „Die wichtigsten Waffensysteme und vor allem auch Munition müssen kontinuierlich vom Band laufen.“ Das freut die Aktienmärkte. Seit der Zeitenwende hat sich der Börsenwert des Waffenherstellers Rheinmetall vervierfacht. Wer wird die Gewinne der Rüstungsunternehmen und die Dividenden ihrer Anleger bezahlen?

Sie und ich werden das bezahlen. Die Aufrüstung wird eine Umverteilung von unten nach oben werden. Wir werden es bezahlen mit geringeren Renten, längerer Lebensarbeitszeit und schlechterer Absicherung von Arbeitslosigkeit und Armut, was dazu führen wird, dass mehr Leute gezwungen sind, schlechte Arbeitsbedingungen oder zu niedrige Löhne zu akzeptieren.

Denn man darf nicht vergessen, dass der Sozialstaat keine milde Gabe ist, sondern ein Mittel, die Verhandlungsmacht der arbeitenden Mehrheit gegenüber den Bossen zu stärken. Darum hassen die Lindners und Fuests den Sozialstaat. Und deswegen benutzen sie jede Ausrede, um ihn anzugreifen, der russische Angriff auf die Ukraine ist da willkommene Gelegenheit.

Die Gegenüberstellung von Rüstung und Rente konstruiert ohnehin eine falsche Alternative. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich Aufrüstung und Sozialstaat nicht gegenseitig ausschließen müssen. Im Kalten Krieg gab die BRD für den Wehretat zu Spitzenzeiten fast 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Trotzdem wurde damals der Sozialstaat rapide ausgebaut.

Kapitalgewinne besteuern wie Arbeit

Es ist offensichtlich also möglich, sowohl einen aufgeblähten Militärapparat als auch einen starken Sozialstaat zu finanzieren, ohne dass wir bluten müssen. (Ob Aufrüstung in dem Ausmaß heute überhaupt sinnvoll ist, wäre auch noch zu diskutieren, aber das soll an anderer Stelle geschehen.)

Saskia Esken widersprach in den Blättern der Funke Mediengruppe ihrem Kanzler: „Die Sozialdemokratie steht nicht dafür bereit, die soziale Sicherheit zu beschneiden, um notwendige Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung zu finanzieren“, sagte sie. Die Grünen wiederum verweisen auf die Möglichkeit weiterer Sondervermögen oder eine Aussetzung der Schuldenbremse. Schon wieder ein falscher Gegensatz: Schmerzhafte Sparrunden oder Schulden. Dabei kann sich der Staat das Geld, das er braucht, auch einfach holen. Darauf verweist auch Esken.

Als Allererstes sollte man die bizarre Bevorteilung von Beamten und Spitzenverdienern beenden, die aus der Solidargemeinschaft entlassen sind. In Österreich oder der Schweiz zahlen alle ins Rentensystem ein, sodass es auch der Umverteilung von oben nach unten dient. Vermögensabgabe, Erbschaftssteuer und eine Reform der regressiven Steuerprogression würden ebenfalls Milliarden einbringen, die man dringend benötigt, um gegen die Armut im Land vorzugehen.

Und wenn an den Börsen wegen Rheinmetall und Co. die Korken knallen, warum nicht endlich Kapitalgewinne mindestens so hoch besteuern wie Arbeit? Statt das Thema Aufrüstung den Sparfetischisten zu überlassen, könnte es endlich Gelegenheit sein, diejenigen zur Kasse zu bitten, die viel zu lange ihren Beitrag nicht geleistet haben.

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Redakteur taz2, zuständig für Medienthemen. Interessiert sich auch für Arbeitskämpfe und sonstiges linkes Gedöns, aber auch queere Themen und andere Aspekte liederlichen Lebenswandels. Vor der taz einige Jahre Redakteur im Feuilleton der Zeit und als freier Journalist in Europa, Nordamerika und dem Nahen Osten unterwegs gewesen. Ursprünglich nicht mal aus Deutschland, aber trotzdem irgendwann in Berlin gestrandet. Mittlerweile akzentfrei.

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