Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­ von Lkw angefahren: Selbstjustiz in Stralsund okay

Ein Lkw-Fahrer hat in Stralsund bei einer Blockade ei­ne:n Kli­ma­ak­ti­vis­t:in angefahren. Nun werden für ihn Spenden von rechter Seite gesammelt.

Dresden: Ein Mitglied der Protestgruppe Letzte Generation wird bei einer Sitzblockade an der Autobahnabfahrt am Elbepark von einem Autofahrer (M) beiseite gezogen. Die Demonstranten tragen Masken mit den Portraits von Bundeswirtschaftsminister Habeck und Bundeskanzler Scholz

Im ganzen Land, hier in Dresden, ist die Letzte Generation aktiv; ein Autofahrer wird handgreiflich Foto: dpa/Robert Michael

Selbstjustiz ist okay, wenn sie Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation gilt: Die Botschaft der Spendenaktionen für den Lkw-Fahrer, der vergangene Woche in Stralsund bei einer Blockade ei­ne:n Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­ angefahren hat, lässt sich kaum anders lesen. Weil der Mann infolge des Vorfalls Job und Führerschein verlor und ihm zudem ein Verfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung droht, starteten gleich mehrere Un­ter­stüt­ze­r:in­nen Spenden­ak­tio­nen für den Mann. Allein die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit sammelte nach eigenen Angaben über 25.000 Euro für den 41-Jährigen.

Am vergangenen Mittwoch veröffentlichte ein Reporter des Lokalblatts Ostseezeitung ein Video auf Twitter, das den Übergriff dokumentiert. Der Lkw-Fahrer reagiert vom ersten Moment an hochaggressiv auf die beiden Ak­ti­vis­t:in­nen, die die Fahrbahn blockieren. Zunächst steigt er aus, zerrt eine Person weg, schubst die andere so stark, dass sie fast mit dem Kopf auf den Asphalt knallt. Anschließend droht er ihr Schläge an, gefolgt von den Worten „Verpiss dich hier“. Der Mann steigt wieder in den Lkw, fährt los und schleift einen der Ak­ti­vis­t:in­nen noch einen halben Meter mit, bevor er zum Stillstand kommt.

Schon für sich betrachtet wirft der zornige Lkw-Fahrer einige Fragen auf: Woher kommt der Hass auf Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen, die mit verzweifelten Mitteln gegen die voranschreitende Zerstörung der Lebensgrundlagen hinweisen, die der Mann ja auch teilt? Widersprüchlich scheint auch, dass der Lkw-Fahrer lieber seine gesamte berufliche Existenz aufs Spiel setzt, als seinem Ausbeuter ein paar Minuten Verspätung zuzumuten.

Doch noch fragwürdiger ist die Reaktion auf den Vorfall: Derart hingebungsvoller Untertanengeist gehört belohnt, dachten sich gleich mehrere Akteure und sammelten Spenden für den Fahrer. Neben der Jungen Freiheit rief auch die rechtspopulistische Kleinstpartei Bürger für Stralsund zu Spenden auf, indem sie den Lkw-Fahrer als „König der Herzen“ bezeichnete.

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Rechte trafen einen Nerv

Die provokanten Aktionen der Rechten trafen einen Nerv in der bürgerlichen Mitte: Innerhalb weniger Tage kamen 10.000 Euro zusammen. Bei einer Umfrage der Ostseezeitung befürworteten zwischenzeitlich 62 Prozent der Lese­r:in­nen die Sammelaktion. Das ansonsten von Konservativen so hochgehaltene staatliche Gewaltmonopol wird ohne Bedenken über den Haufen geworfen, sobald es gegen die Letzte Generation geht.

Fundament dieser bürgerlichen Enthemmung, die sich als Rückendeckung für Selbstjustiz lesen lässt, bilden übrigens auch Aussagen liberaler Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Verkehrsminister Volker Wissing, dem ein Tag nach dem Vorfall nichts Besseres einfiel, als der Letzten Generation vorzuwerfen, „die Gesellschaft zu spalten“, und sie als „kriminell“ zu bezeichnen.

Tatsächlich offenbaren die Aktionen der Letzten Generation eine gesellschaftliche Spaltung: zwischen jenen, die die physikalische Realität der Klimakrise mit ihren drastischen Folgen anerkennen. Und jenen, die diese Realität mit aller Kraft verdrängen. Dass die Gesellschaft immer weiter zu Team Verdrängung kippt, beweisen die Spendenaktionen eindrücklich. In kollektiver Realitätsverweigerung formiert sich gerade eine gesellschaftliche Al­lianz der Arschlöcher, die die Klimabewegung vor neue Herausforderungen stellt.

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Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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