Petition der Woche: Die Versyltung von Rügen
Auf der Ostseeinsel Rügen soll ein großes „Eco-Resort“ gebaut werden, als Vorzeigeprojekt für den Tourismus. Naturschützer:innen schlagen Alarm.
Im Mai 2021 schlägt Hans Knapp einen Artikel in der Ostsee-Zeitung auf und schüttelt den Kopf. „Das kann doch nicht wahr sein“, denkt er sich, und widmet sich wieder seinem Leben. Doch mit der Zeit reden immer mehr Leute davon, sein kleiner Heimatverein Insula Rugia bekommt etliche Anfragen: Ist was dran, an dem geplanten Tourismus-Resort mit 300 Ferienhäusern- und Apartments, 2.000 Betten und 400 Liegeplätzen in einem Wassersporthafen?
Soll der 2,2 Quadratkilometer große ehemalige Militärstandort auf der Halbinsel Bug im Norden von Rügen wirklich bebaut werden? Der Verein beschließt, aktiv zu werden, am 5. Juni startet eine Petition: „Stoppt den Größenwahn des Mega-Projekts ‚Baltic Island Eco Resort‘ auf Rügen“.
Lothar Kuhn, Bürgermeister der Gemeinde Dranske auf Rügen, glaubt an das Bauprojekt. In einem Interview mit dem NDR spricht er von neuen Arbeitsplätzen und davon, dass viele Leute in Dranske darauf warteten, dass es vorangehe im Ort.
Für Hans Knapp sind das „leere Versprechungen, Seifenblasen“. Mehr Tourismus brauche die Insel nicht, sie stehe jetzt schon an der Belastungsgrenze. Das statistische Landesamt Mecklenburg Vorpommern verzeichnete 2020 sechs Millionen Übernachtungen auf Rügen und Hiddensee, manch einer spricht von „Versyltung“. Und auch Arbeitsplätze gebe es genug. Was fehle, sagt Knapp, seien Arbeitskräfte. Tatsächlich lebten im Jahr 2018 54.902 Menschen weniger im Landkreis Vorpommern-Rügen als noch 1990.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„Das ‚Eco‘ im Namen ist ein Feigenblatt“
Zu dieser Zeit wurde der Grundstein für das Bauprojekt gelegt. Kurz nach der Wende ließ die Bundesvermögensanstalt den Militärstandort abrüsten und schrieb das Gelände für die touristische Nutzung aus. Zwei Bebauungsplanverfahren liefen durch alle Gremien. 1999 griff ein Bauunternehmer aus Oldenburg zu, wollte aber nicht selbst bauen. Er suchte einen Investor, 20 Jahre lang. Bis sich eine israelische Investorengruppe meldete, mit einem Volumen von 860 Millionen Euro. Diese Nachricht liest Hans Knapp im Mai 2021 in der Ostsee-Zeitung.
Ein großer Fisch, der da anbeißt – für die Unterzeichner:innen der Petition aber wohl eher ein Hai, ein Raubtier des Kapitalismus. Die Naturschützer:innen unter ihnen sehen das Areal zudem nicht als tote Brache, sondern als eine sehr lebendige. Auf dem ehemaligen Flugfeld sei ein neues Habitat entstanden, zum Beispiel für die vom Aussterben bedrohte Fledermausart „Kleine Hufeisennase“, schreibt ein Unterstützer der Petition in der Kommentarspalte.
Der Architekt und Planer des Eco Resorts, Tom Krause, versucht solchen Bedenken mit einem Nachhaltigkeitskonzept zu begegnen. Sein Büro leitet Großprojekte von Malls in Chile bis zu Golf Resorts auf den Bahamas. Auf Rügen möchte Krause nun ein „Vorzeigeprojekt für Ganzjahrestourismus“ umsetzen und zieht dafür das gesamte Nachhaltigkeitsregister.
Mit Bio-Thermie, Photovoltaik und Windkraft will Krause „ein visionäres Projekt in Sachen ökologisches Resort“ für ganz Europa schaffen, sagt er im Juni dem NDR. Hans Knapp erwidert: „Das ‚Eco‘ im Namen ist ein Feigenblatt“. Durch das Projekt würde mehr CO2 ausgestoßen und Energie verbraucht, als wenn es gar nicht erst gebaut würde. Daran ändere auch ein vermeintlich nachhaltiger Ansatz nichts.
Knapps Engagement scheint zu wirken. Auf einer Info-Veranstaltung in Dranske vergangene Woche habe es geheißen, die Investorengruppe sei abgesprungen. Trotzdem will sich Knapp bald mit dem Landrat zusammensetzen. Über 14.300 Online-Unterstützer:innen weiß er auf seiner Seite.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe