Abzocke am Wohnungsmarkt: Sei kein Marc
Auf dem Wohnungsmarkt gibt es neben den Ver- und Mieter:innen eine dritte Gruppe. Elite-Mieter:innen, wie Marc, die andere abzocken.
Marcs Blick geht in die Ferne. Die eingestochenen Mosaikmuster auf seiner Halshaut ragen aus dem Shirt-Rand des Streetwearlabels Palm Angels und schließen sauber zwischen Ohr und ausrasiertem Nacken ab. In Marcs Leben gibt es eine Neuigkeit, die er mit mir teilen möchte: „Meine Freundin ist schwanger.“ Der Grund, weshalb Marc mir vom Fertilitätsstatus seiner Cherie erzählt, obwohl wir uns ja gar nicht kennen, ist folgender: Marc zieht um. In eine größere, weil, vermutlich, family-likere Behausung.
Für Marc ist dieser Umzug nicht leicht, denn seine jetzige Bleibe war ihm „jahrelang ein wirklich schönes Zuhause“. Er hängt so sehr an den 30 Quadratmetern „im Herzen Kölns“, dass er das gesamte Inventar, jeden einzelnen Küchenstuhl, ja sogar Barhocker und Stehlampen zurücklassen möchte. Wahrscheinlich, so mutmaße ich, um seiner nostalgischen Erinnerung an jene bedeutsame Zeit in einem Gefühl der Unversehrtheit, der schneekugelhaften Persistenz, den Rücken kehren zu können und den neuen Lebensabschnitt als Babydad mit unbelasteten Neustart-Vibes zu begehen.
Blablabla. Jetzt hier, an einem nass-schwülen Coronasommertag, wie es ihn das Jahr 2021 zum Standard erhoben hat, auf der Erniedrigungsplattform WG-Gesucht.de, auf der ich nun wieder Marcs Profilbild zur Miniatur schrumpfen lasse und in innerer Leere auf die Fünf mit den sich anreihenden drei Nullen im Kästchen Ablösevereinbarung starre, denke ich eine einzige Sache: Marc, Bro. Warum so ein Arschloch-Move?
In der Zweiklassengesellschaft des großstädtischen Mietmarkts hat sich bereits seit einigen Jahren neben dem klassischen Antagonismus von Ver- und Mieter:innen eine dritte Kategorie der, so könnte man sagen, Elite-Mieter:innen oder Pseudo-Vermieter:innen etabliert. Es handelt sich um jenen Typus, der es durch Glück oder soziales Kapital zu den rar gesäten, fair bepreisten Wohnungen in angesagter Lage geschafft hat. Sei es, weil Tante Anja mal den einen Arbeitskollegen mit der schicken City-Immobilie angehauen hat, oder weil der extra zur Besichtigung anSUVte Juristen-Papa bei der Übergabe der Bürgschaftserklärung mit schwerem Moschusduft und festem Händedruck zu überzeugen wusste.
Plötzlich Hoheitsgewalt
Wie auch immer: Wer an das Mietverhältnis einer solchen Diamant-Wohnung gelangt ist, für den hat sich das Miet-Game ziemlich upgelevelt. Denn viele Vermieter:innen sind – insbesondere bei flukturierender studentischer Bewohner:innenschaft – dazu übergegangen, die nervige Nachmieter:innen-Suche den Mieter:innen selbst zu überlassen. Diese verfügen nun über die Hoheitsgewalt, welche der Bewerbungen sie den Vermieter:innen weiterleiten und welche nicht.
Seit einiger Zeit ist dadurch ein Schattenmarkt an Tauschwohnungen entstanden, auf dem Elite-Mieter:innen ihre Diamant-Wohnungen nur noch im Eins-zu-eins-Handel mit anderen Diamant-Wohnungen hergeben und die für Normalo-Suchende somit unerreichbar werden. Die zweite Variante für das Ausspielen des Miet-Trumpfes ist der Marc-Way of Inserat: Den letzten Cent aus der Abschlagszahlung herauspressen – und zwar immer häufiger mit einer bemerkenswert unverhohlenen Big-Dick-Energy, die einer Analyse bedarf.
Nicht das My eines Selbstzweifelchens
Marc beginnt seine Anzeige mit einem Appell, der von derartiger Dringlichkeit ist, dass er ihn zwischen jeweils zwei wuchtige Ausrufungszeichen-Emojis der Sorte Michael-Wendler-Telegrampost klemmt: „Bitte genau lesen“, ist die alarmierende Botschaft, die eskortiert von eben jenen feuerroten Ausrufungszeichen gleich zu Beginn die Herrschaftsverhältnisse zurechtrückt, indem sie in einer Genervt-Rhetorik bereits Dutzende unbrauchbare – weil nicht genau gelesene – Zuschriften insinuiert. Nun aber, in medias res: „Diese Wohnung ist nur mit der kompletten Übernahme des Inventars abzugeben und mit Abschlagszahlung um die Wohnung zu bekommen (5.000 €)“.
Bäm. Was ein Flex im ersten Satz, wenn auch syntaktisch etwas holprig. Egal, lässt er doch keinen Spalt an Verhandlungsspielraum, nicht das My eines Selbstzweifelchens offen, schafft es – im Gegenteil – im Laufe seiner 20 Wörter sich matroschkahaft immer weiter zu entpuppen („nur mit der kompletten Übernahme des Inventars“; „mit Abschlagszahlung“; „5.000 €“) bis nur noch sein unausgesprochener Geist zurückbleibt: Gib cash, schnell!
Nur harte Facts
Keinerlei Spuren von Zurückhaltung, keine Nuancen von Zögerlichkeit oder Verschämtheit, die man empfinden könnte bei einem geforderten Abschlag, der beinahe der Jahreswarmmiete des Inserats entspricht. Wohlgemerkt, als jemand, dem diese vier Wände ja gar nicht gehören, der also die Übernahme seines gesamten Inventars zur notwendigen Bedingung einer Wohnung macht, deren Verfügungsmacht er de jure gar nicht besitzt. Doch nein, hier gibt es keinen Konjunktiv, keinen Relativsatz, keine Emojis, nur harte Facts, nur Ansagen, nur Schellen links-rechts, paffpaff – nur Marc und mich und 5k, die zwischen uns stehen.
Aber keine Zeit zum Luftholen, Marc ist jetzt im Modus: „Die Miete beträgt nur 500€ warm und liegt mitten im Herzen von Köln.“ Keinen Zweifel lässt er daran, sich über den sozioökonomischen Wert seines Objekts genauestens im Klaren zu sein. Er vermag sowohl den vergleichsweise niedrigen Mietpreis, als auch die attraktive Lage so in Komplizenschaft für seine Monetarisierungspläne zu nehmen, dass Vonovia-Anwälte glänzende Augen bekommen dürften.
Der Lach-Smiley killt alles
Es folgt die Inventarliste. Hier finden sich unter anderem neben Barhocker und Stehlampen auch Kaffeemaschine, Toaster und Geschirr („alles was man braucht“), die in Rechnung gestellt werden. Chillig. Marc schließt seine Annonce mit einem Hauch Privatheit, einem zarten Pflänzchen von Rechtfertigung, deren familienplanerische Pointe wir bereits kennen: „Die Wohnung war jahrelang ein wirklich schönes Zuhause. Da meine Freundin nun schwanger ist, sind wir zusammen gezogen in eine größere.“
Danach jedoch noch einmal die Hauptmessage für die wirklich Superdoofen, die Nix-Checker, die es immer noch nicht gerafft haben: „Die Übernahme des Inventars ist ein muss sonst gebe ich die Wohnung nicht her.“ Der Lach-Smiley am Ende killt natürlich nochmal alles, daher der Ausfall mit dem Arschloch-Move vorhin. Sorry, not sorry.
Nur Symptome des Marktes
Nun ist es sehr einfach, so eine Polemik zu schreiben. So einen 6.000 Zeichen langen Rant wegen 5.000 Euro unverschämter Abschlagsforderung eines Marc, der auch Diana oder Giuliano heißen könnte. Das ist an sich ein ziemlich lowes Teil. Die Wahrheit ist natürlich: Diese Perversitäten sind nur Symptome eines Marktes, der, wie es mein Nachbar Rainer zu sagen pflegt: „völlig am Rad dreht“. Der aufgrund einer massiven Wohnungsknappheit in den Ballungsgebieten einen informellen Sektor an gesetzlosen Tausch- und Abschlagsmärkten erst ermöglicht hat. Und der, wenn ein schwarzes Schaf erst mal den Anfang gemacht hat, einen Domino-Effekt in Gang setzt, der nur schwerlich aufzuhalten ist.
Denn wer einmal 5.000 Euro Abschlag zahlen musste, der will sie vom nächsten Mieter:in natürlich wieder; ist unter Umständen sogar darauf angewiesen. Keiner ist davor gefeit. Alle, die der eigentumslosen Klasse angehören, können in diese Situation geraten. Und auch, wenn die Verrohung, ja die Arroganz derartiger Anzeigen teilweise kaum auszuhalten ist, so sollte dennoch der Blick immer zunächst auf die großen Linien gerichtet bleiben, auf die Strukturen, die solch ein Handeln nicht unbedingt erzwingen, aber begünstigen.
Vielleicht jedoch kann die Systemkritik mit einem Gedankenstrich versehen werden. Einem kleinen Appell, einer kurzen Selbstnotiz, einer leisen Bitte, für den Fall der Fälle doch einmal selbst in so eine privilegierte Lage zu geraten, denn für diese Fälle gilt – bitte genau lesen – ! Sei kein Marc !
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste