WG-Suche in Berlin: „Oh, du bist ja schwarz“
Eine WG suchen ist wie Dating, wir müssen da alle durch. Und sagen wir es mal wie es ist: Die meiste Zeit ist beides unangenehm und erfolglos.
I ch sag es jetzt mal, wie es ist: WG-Besichtigung und Dating haben dann doch so einiges gemeinsam: Wir müssen da alle durch, ob wir wollen oder nicht.
Man zeigt sich beim ersten Kennenlerntreffen immer von seiner besten Seite und arbeitet von da an nur noch auf den Tag hin, an dem man sich einfach so geben kann, wie man wirklich ist, ohne deswegen mit schwerwiegenden Konsequenzen und Sanktionen rechnen zu müssen.
Ich war gerade mal ein halbes Jahr in Berlin und musste aus meiner WG raus und mir eine neue Wohngemeinschaft suchen. Ich las mich durch verschiedene WG-gesucht-Anzeigen. Eine Anzeige, die sich später als Scam herausstellte, bat um ein Skype-Gespräch, bevor man sich dann richtig treffen würde.
Unangenehme Stille
Mir kam das extrem gelegen, da ich mich ohnehin ungern bewegte. Ich saß alleine im Büro und starrte auf den Bildschirm und wartete darauf, dass er nun endlich mal abnahm. Als er dann ranging und seine Kamera sich aktivierte, reagierte er auf mein fake-freundliches Hallo gar nicht. Stattdessen schaut er mich ungläubig an und sagte: „Oh, du bist ja schwarz.“
Ich: …
Er: …
Am liebsten und im Nachhinein hätte ich so regiert, als ob ich das auch gerade zum ersten Mal erfahre: Ach, was. Krass. OH MEIN GOTT. Das haben mir meine Eltern nie gesagt.
Leider war ich nicht schlagfertig und, gelinde gesagt, etwas irritiert und stammelte stattdessen: Ehm, ja. Ja, bin ich. *nervöses Lachen*
Übereifer und Verzweiflung
An das restliche Gespräch kann ich mich kaum noch erinnern. Ich weiß nur, dass der Typ irgendwas von einer Überweisung sprach und plötzlich nicht mehr in Berlin war, sondern den Schlüssel aus London verschicken wollte. Am Abend dachte ich immer noch an dieses merkwürdige Gespräch zurück, als ich eine WG-gesucht-Nachricht von einem Florian bekam.
Noch am selben Abend schaute ich mir die Wohnung an, und in einer Mischung aus Übereifer und Verzweiflung sagte ich sofort zu. Denn das Zimmer war groß, günstig und hatte einen Balkon. Da störte mich der SPD-Toaster in der Küche nicht weiter.
Erst nachdem ich eingezogen war, zeigte er mir auch sein Zimmer. Da waren Räucherstäbchen, eine Hängematte und viele Ordner mit stressigen Namen wie „Versicherungen“ und „Verträge“.
Er erzählte mir von seinen Reisen nach AAAAfrika, machte eine Handbewegung, und ich sah eine Fotowand voller Schwarzer Menschen. So viele Bilder von Schwarzen Menschen hatte selbst ich nicht und meine gesamte Familie ist Schwarz.
Zu spät. Ich hatte den Vertrag schon unterschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service