Soziale Ungleichheit: Enterbt uns doch endlich!
Es ist an der Zeit zu fragen, ob Erben überhaupt noch legitim ist. Wir müssen darüber reden – und eine gerechte Erbschaftssteuer erheben.
I n meiner Generation gibt es ein letztes Tabu. Während ich mit Freunden beim Kaffee ohne Probleme über den nächsten Besuch beim Psychologen reden kann, über Geschlechtskrankheiten, die sich jemand zugezogen hat, schweigen wir uns über das Erben aus. Dabei gibt es wenig, das meine Altersgruppe in den nächsten Jahren so stark prägen und zerreißen wird.
Vor einigen Jahren ist meine Mutter verstorben und hat mir eine Erbschaft hinterlassen. Heute wohne ich, aus der Erbschaft bezahlt, in einer Eigentumswohnung und vermiete zusätzlich noch eine kleine Wohnung. Schon jetzt habe ich durch meine Erbschaft mehr Vermögen aufgebaut, als ich es durch eine lebenslange Erwerbsarbeit je tun könnte.
Dabei ist mein Fall kein besonderer, sondern spielt sich in Deutschland jeden Tag tausendfach ab. Wenn man sich die derzeitige Einkommensverteilung nach Alter anschaut, dann rollt bald die größte Erbschaftswelle in der Geschichte der Bundesrepublik auf uns zu – und wird unsere Gesellschaft grundlegend verändern. Experten rechnen mit einem jährlichen Erbvolumen von 400 Milliarden Euro. Das ist mehr als der aktuelle Bundeshaushalt.
An meinem Beispiel lässt sich gut illustrieren, wie stark die Herkunft unser Leben bestimmt. Ich war nie ein besonders guter Schüler. Ohne die unermüdliche Hilfe meiner Eltern hätte ich das Abitur mit ziemlich großer Sicherheit nicht geschafft. Mein Leben, so viel kann man prognostizieren, wäre anders verlaufen. Ich bin also schon privilegiert aufgewachsen. Mein Erbe gibt mir in einer beruflich entscheidenden Phase im Leben noch einen zusätzlichen Vorteil.
Eines der ungleichsten Länder in Europa
Das Erben ist etwas, das wir in der Gesellschaft oft unhinterfragt hinnehmen. Doch in den nächsten Jahren werden die Vermögen, die weitergereicht werden, immer größer. Zugleich nimmt die soziale Mobilität in der Gesellschaft ab. Da ist es an der Zeit zu fragen, ob Erben überhaupt noch legitim ist.
Wenn ich meine Generation anschaue, dann bekomme ich immer größere Zweifel, ob das in der Verfassung festgeschriebene Sozialstaatsprinzip und das Erben noch vereinbar sind: Auf der einen Seite die Erben, auf der anderen Seite der Großteil der Gesellschaft, der sich anstrengt, aber kaum Vermögen aufbauen kann.
Am Ende entwickeln wir uns zu einer Gesellschaft der Besitzstandswahrer, die sich an das Gestrige klammert. In meiner Generation ist die eigene soziale Lage nicht mehr durch eigenes Handeln geprägt, sondern vor allem vom Glück oder Pech beim Geburtenbingo. Aber warum halten wir dann bedingungslos am Prinzip des Erbens fest?
Deutschland ist eines der ungleichsten Länder in Europa. In keinem anderen Land ist die Vermögensungleichheit so zementiert wie bei uns. Wir haben ein System geschaffen, das öffentliche Armut fördert und den privaten Reichtum weniger Menschen immer weiter steigert. Das liegt zum größten Teil am Erben. In Deutschland kommt noch der besondere Fakt hinzu, dass Erben einer der Faktoren für die weitere wirtschaftliche Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland sein wird.
Ich hätte gerne etwas abgegeben
Wir müssen darüber reden, wie wir Erbschaften fair besteuern. Ich verstehe nicht, warum ich auf mein reguläres Einkommen, für das ich arbeite, Steuern und Sozialabgaben zahlen muss, aber der Staat sich kaum für mein leistungsloses Erbe interessiert. Ich verstehe genauso wenig, warum die linken Parteien nicht jede Woche eine aktuelle Stunde im Bundestag zu diesem Thema beantragen. Ich hätte gerne etwas von meinem Erbe abgegeben.
Meine Generation ist eine Generation der Unsicherheit. In den letzten 10 Jahren hatte ich sechs unterschiedliche Arbeitgeber, habe mich oft von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag gehangelt. Nach meinem Studium wurde mir ein Job in einer Agentur in Berlin-Mitte angeboten. Der Arbeitsvertrag verlangte eine reguläre Arbeitszeit von 45 Wochenarbeitsstunden, unbezahlte Überstunden, ich hätte nicht schwanger sein dürfen und an keiner schlimmen Krankheit leiden. Gesetzeswidriger kann man einen Arbeitsvertrag kaum aufsetzen.
Obwohl ich kein anderes Jobangebot hatte und mir Hartz IV drohte, habe ich den Arbeitsvertrag dankend abgelehnt. Dies konnte ich aber nur mit der Sicherheit der eigenen Eltern im Hintergrund tun. Hätten wir zu Hause vom Existenzminimum gelebt, hätte ich den Job mit Sicherheit angenommen.
Ich möchte, dass alle meiner Generation die Sicherheit bekommen, die ich genießen durfte. Und dafür müssen wir endlich auch über das Erben reden.
Endlich eine hohe Erbschaftsteuer erheben
Meine eigenen Erfahrungen lassen mich immer grundsätzlicher am Prinzip des Erbens zweifeln. Bevor ich selber geerbt habe, war Erben ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft für mich. Ein Prinzip, das man nicht hinterfragt, weil es schon immer da war. Doch bis heute kann ich mir selbst nicht beantworten, mit welchem Recht ich dieses Geld bekommen habe. Und das fühlt sich nicht gut an.
Es hat natürlich etwas Schönes und Behagliches, wenn Eltern möglichst gut für ihre Kinder sorgen wollen. Aber wir sollten endlich eine hohe Erbschaftsteuer erheben. Keine kosmetische, wie wir sie aktuell verlangen, sondern um die 50 Prozent. Denn ganz ehrlich: Auch mit der Hälfte meines Erbes wäre ich noch privilegiert.
Das durch die Erbschaftsteuer eingenommene Geld sollten wir in eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für junge Menschen stecken. Die Gesellschaft als Ganzes würde erben, die derzeitige Explosion der Vermögensungleichheit wieder eingedämmt. Es wäre ein radikaler Schritt – aber ein Schritt, der notwendig ist, wenn wir weiter eine gewisse Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft behalten wollen. Ein Schritt, ohne den meine Generation zerbrechen könnte.
Natürlich können wir auch über andere Modelle nachdenken. Aber lasst uns endlich über das Erben reden.
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