Klimaschutz im Alltag: Mut vor dem Freund

Die ökologische Krise ist riesig. Stellt man aber das Konsumverhalten von Freunden infrage, kommt das einem Tabubruch gleich.

Zeichnung einer Frau mit Einkaufstasche, die sich die Ohren zuhält

Nichts hören, nichts sehen, nur kaufen Illustration: Katja Gendikova

Und dann schlägt immer diese Stille über uns zusammen. Sekundenlang. Peinlich. Dann klopft mir oft das Herz bis zum Hals. Ich weiß, jetzt riskiere ich etwas, eine Beziehung, eine Freundschaft, in jedem Falle die gute Stimmung.

Zunächst ist es einen Moment lang so, als hätte ich laut gerülpst. Erst zeigt sich blanke Überraschung im Gesicht des anderen, dann fällt das Stimmungsthermometer um 15 Grad. Der oder die andere blickt weg. Dann kommen diese peinlichen Schrecksekunden, bevor der andere, die andere zum verbalen Gegenschlag ausholt. Dabei hatte ich nur eine Frage gestellt.

Als Mensch, als Bürgerin, als Journalistin befasse ich mich seit zehn Jahren mit Umweltthemen, dem Artensterben, der Rohstoffausbeutung und dem Klimawandel. Mein Beruf hat es mir erlaubt, mit Expert:innen zu sprechen oder Fachtexte zu lesen, einige wenige Reisen haben mich an Orte geführt, wo ich mir die Auswirkungen unserer Misswirtschaft anschauen konnte. Ich selbst bin dadurch keine Fachfrau geworden. Auch keine Ökoheilige – allenfalls in Teilzeit. Aber vieles habe ich in meinem Leben hin zu einem naturverträglichen Lebensstil geändert. Die Bilanz ist nicht perfekt, aber sagen wir so, ich habe keine Angst, meinen ökologischen Fußabdruck mit dem anderer zu vergleichen.

Ich habe kapiert: Die ökologische Krise hat ein riesiges Ausmaß. Was wir da als globales Experiment betreiben, ist nichts weniger, als das lebendige Betriebssystem der Erde zu löschen. Immer weniger oft kann ich, will ich daher schweigen, wenn wieder mal einer von seiner Reise nach Sri Lanka berichtet, vom geilen Kite­surfing-Trip nach Frankreich schwärmt oder vom Gletscherskitag, dank Schneekanone schon Ende Oktober.

Seltene Erden im Milchschäumer

Ich frage also, welchen Energieverbrauch das Ausnutzen einer Ski-Saisonkarte eigentlich so bedeutet. Bohre nach, warum die Freundin Flugreisen macht, aber zugleich in der Rolle der gütigen Flüchtlingshelferin aufblüht. Weiß sie wirklich nicht, dass sie mit ihrem CO2-Ausstoß Fluchtgründe kräftig mitproduziert? Ich hake bei einem Bekannten nach, woher das Lithium für sein neues E-Bike und die seltenen Erden im schicken Milchschäumer herkommen? Spreche die Frau vor dem Biomarkt an, die ihre Ökoeinkäufe in ihren Riesen-SUV wuchtet.

Meere, Moore, Wälder und Böden funktionieren nach Naturgesetzen. Da gibt’s kein Verhandeln. Schon mal mit der Schwerkraft diskutiert?

Frage die Freundin, die wegen der „positiven Energie“ in ein indisches Yoga-Retreat fliegt, ob ihr klar ist, dass die irren Mengen an klimaschädlichen Gasen, die sie damit gerade Ländern wie Indien aufbürdet, auch nicht durch „ganz viel“ Spiritualität kompensiert werden? Dass der Kurztrip nach New York auch dann Zukunft vernichtet, wenn er der lang gehegte „Herzenstraum“ der eigenen Tochter ist. Was steckt hinter diesem privaten Konsumverhalten – Egoismus, Verdrängung oder geringes Wissen über ökologische Zusammenhänge?

Um das herauszufinden, führe ich Stichproben durch, frage Freundinnen und Freunde immer mal wieder, ob nun der größere Kohlenstoffspeicher der Wald oder das Moor ist; welche die fünf meistbedrohten Arten in Deutschland sind; wie viel Kilo Ackerboden wir täglich hierzulande verlieren; warum in unseren Wäldern die Kiefern verdorren. Die meisten wissen es nicht – und wollen es auch so genau nicht wissen.

Zig solcher Debatten habe ich bereits gewagt, mal zaghaft, mal ganz sachlich, mal persönlich direkt. Die Bandbreite der Abwehrmechanismen ist groß, aber immer landen die Antworten auf der persönlichen Ebene. Gerne werde ich daran erinnert, doch bitte nicht intolerant zu sein, anderen Menschen ihren Lebensstil zu lassen und keinesfalls moralisierend zu werden. Moralisieren, das ist „böse“, altbacken, störend. Oft weht mir kaum verhohlene Aggression entgegen. „Du fährst ja selbst Auto, oder?“, ist der gereizte Auftakt. Nicht selten werde ich von jenen, die wissen, dass ich tatsächlich Hand anlege – wie beim Aufforsten ero­sions­gefährdeter Steilhänge oder beim nächtlichen Krötentragen –, kleingelobt: „Ist ja süß!“

Verdammt! Klima- und Artenschutz sind nicht irgendein Hobby. Sie sind ein ökologischer Imperativ, wobei sich alle beteiligen müssten – und nicht diese Arbeit an andere delegieren können.

Die Bequemen fordern ständig mein Verständnis

Unlängst sagte eine Frau zur mir: „Och, dir geht der Klimawandel ja echt nah. Am liebsten möchte ich dich mal ganz fest drücken.“ Das ist die Erstickungsmethode, sie ist im Grunde genauso gewaltsam wie offene Aggression. Mein Ansatz, Freunde und Bekannte auf Augenhöhe anzusprechen, da also, wo ich sie und ihr Tun und Lassen ganz ernst nehme, mündet meist in der impe­ria­len Strategie, meine Fragen, meine Argumente zu entwerten, abzuwürgen, mich irgendwie unterzubuttern.

Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern, heute verspürt er wegen des Klimawandels vor allem eines: Skischam. Für die taz am wochenende vom 15. Februar nimmt er Abschied von der Piste und fährt ein letztes Mal. Außerdem: Wer gewinnt die Bürgerschaftswahlen in Hamburg? Auf Wahlkampftour mit den Kandidaten der Grünen und der SPD. Und: Waffel kann auch Döner sein, Obstdöner. Über das heilendste Gericht der Welt. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ständig wird von mir Verständnis gefordert für die Freiheiten und privaten Lebensentwürfe anderer. Ich soll, mit anderen Worten, die Klappe halten. Da denke ich mir: What the fuck! Warum soll ich den Trägen und Bequemen, die so tun, als gingen sie Artensterben, Klimawandel und Nahrungsmittelknappheit nichts an, Toleranz entgegenbringen? Denen, die sich nie im Umweltschutz engagieren, aber zugleich vom Ressourcen­kuchen die größten Stücke grabschen und diese Gier dann – „wir sind halt reiselustig!“– um­etikettieren. Ihnen gegenüber den Mund zu halten bedeutet nicht Toleranz, sondern Feigheit und Wurschtigkeit. Diese gesellschaftliche Trägheit ist doch der Grund für den schleichenden Tod unserer Natur.

Oft fordert man von mir, ich und überhaupt die Journalisten sollten mehr positive Entwürfe bieten, als immer nur Negatives aufzulisten. Man möchte also einfach Alternativen und Lösungsansätze konsumieren, für die sich andere Leute den Kopf zerbrochen haben. Ganz ohne sich selbst mit beklemmenden Fakten wie dem Verlust von Ackerboden oder Trinkwasser zu befassen. Die Kernaussage bleibt: Behellige mich nicht!

Wow! Welchen stillen Konsens habe ich da gebrochen? Welches Dogma sorgt dafür, dass wir in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zwar alles Mögliche verachten, aber es für uns tabu sein soll, Freunde anzusprechen, wenn diese dazu beitragen, unser aller Lebensgrundlage zu zerstören? Obwohl jeden Freitag die Jungen auf den Straßen und Plätzen streiken, über Greta Thunberg rauf und runter geschrieben wird, kriegen wir die brennenden Probleme zwar in Bücher, Zeitungsseiten und Podiumsdiskus­sio­nen, aber längst nicht so in die alltägliche Diskussion hinein, wie es nötig wäre, wie es Not wendend wäre. Immer noch herrscht ein Klima, in dem Leute, die sich trauen, drängende Probleme auch mal „in gemütlicher Runde“ zu benennen, dafür keine Anerkennung, sondern eisigen Wind zu spüren kriegen. Ruck, zuck geht es da um Feigheit oder Mut vor dem Freund.

Schön ist das nicht. Aber vielleicht kann man „Mut vor dem Freund“ erlernen. Könnte man streiten und debattieren über Umweltthemen genauso lehren, wie auch kontern gegen politischen Extremismus gelehrt wird? Welche rhetorischen Muster sind in solchen Streitgesprächen zu entdecken? Man muss erkennen, dass sich hinter Sätzen wie: „Das ist ein globales Problem, das muss in Indien gelöst werden“, keine geopolitische Kompetenz verbirgt, sondern die banale Haltung: „Ich klinke mich aus!“ Man muss begreifen, dass hinter dem Anwurf: „Umweltschützer haben so was Verbittertes!“, in Wahrheit die Botschaft steckt: „Ich will die Trauer und Wut dieser Menschen nicht sehen, denn ich bin an ihr beteiligt.“

Hartnäckige Abblocker finde ich unter jenen, die ich die Kosmisch-Spirituellen nenne. Die alles mit höheren Ebenen und tieferen Zusammenhängen erklären, um es dann beim Hoffen und Meditieren zu belassen und ansonsten politisch abwesend zu sein. Die trotz erlangter „Bewusstheit“ zuverlässig in jene Denkfalle tappen, wo sich bereits die neoliberalen Marktapologeten befinden: indem sie anthropozentrische Argumente, also menschliche Wünsche und Befindlichkeiten, den ökologischen Realitäten gegenüberstellen – ganz so, als wöge beides gleich schwer. Bloß: Atmosphäre, Meere, Moore, Wälder und Böden funktionieren nach Naturgesetzen, unerbittlich, egal, was Menschen wollen, fühlen oder meinen. Da gibt’s kein Verhandeln. Schon mal mit der Schwerkraft diskutiert?

Doch ein Silberstreif leuchtet am Horizont. Immer mehr Menschen wird die volle Dimension des Desasters, vor dem wir stehen, klar. Sie klinken sich ein in Protestbewegungen, NGOs und Parteien. Sie entwickeln Argumentationsleitfäden, üben das Kontern, trainieren Rhetorik. Da spannt sich ein starkes Band zwischen all jenen, die bereit sind, den Mund aufzumachen, um mit den Zerstörern und Trägen zu streiten.

Manchmal zitiere ich die SPD-Politikerin Gesine Schwan, die mir mal gesagt hat: „Es gibt eine Ungerechtigkeit gegenüber jenen, die sich im Kampf gegen den Klimawandel bereits engagieren, während die anderen borniert weiterleben wie bisher. Jeder, der sich nicht in Ignoranz und Zerstreuung flüchtet, muss die Ungerechtigkeit darin sehen. Und um die Trägen zu bewegen, muss man eben auch mal die Grenzen der Höflichkeit ausreizen.“ Wenn dann mein Gegenüber komisch guckt, setze ich nach mit der österreichischen Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach: „Nicht jene, die streiten, sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.“

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geboren 1972, freie Journalistin aus München, Bayernkorrespon­dentin für die taz von 2015 bis 2017, schreibt schwer­punktmäßig über Ökologie.

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