Thunberg für AKW-Weiterbetrieb: Der Greta-Schock
Es wäre ein Fehler, Atomkraftwerke abzuschalten und auf Kohle zu setzen, sagt Greta Thunberg. Das bringt Weltbilder ins Wanken. Müssen wir umdenken?
Stell dir vor, du warst schon immer gegen Atomkraft – und auf einmal kommt die große Heldin der Klimabewegung daher und sagt, Atom sei besser als Kohle. Und das mitten in der ohnehin aufgeheizten Diskussion über längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke.
„Wenn sie schon laufen, glaube ich, dass es ein Fehler wäre, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden“, hat Greta Thunberg in der Maischberger-Sendung gesagt und mit diesem kurzen Satz ein ganzes Weltbild mit all seinen sicheren Gewissheiten ins Wanken gebracht. Jedenfalls meins.
Muss ich jetzt umdenken und alles über Bord schmeißen, woran ich seit meiner Jugend am Bauzaun von Wackersdorf geglaubt habe? Müssen wir den Widerstand gegen eine extrem gefährliche Technik und gegen die zukunftsfeindliche Anhäufung von Atommüll doch aufgeben, nur weil die Galionsfigur von Fridays for Future Kohlekraft noch gefährlicher findet? Das wäre ziemlich niederschmetternd.
Also erst mal durchatmen und nachdenken. Ist immer gut. Also, schauen wir genauer hin: Greta Thunbergs Äußerung wird jetzt natürlich von interessierter Seite übertrieben einseitig aufgebauscht. Da die junge Schwedin klüger ist als ihre neuen Fans von der FDP, hat sie keineswegs gesagt, dass die Atomkraft die Lösung all unserer Energieprobleme darstellt. Diese Lösung kann, da sind sich die meisten Aktivist*innen der Klimabewegung einig, nur im Ausbau der erneuerbaren Energien liegen. Und das bleibt auch richtig.
Das große „Aber“
Aber, und dieses Aber wird die Debatten der nächsten Wochen prägen, es gibt trotzdem ein Problem. Wenn es darum geht, wie wir mittelfristig unter dem Druck von Putins Krieg die Energieversorgung sichern, bis die Erneuerbaren das irgendwann vielleicht allein schaffen, ist Thunberg im Zweifel eher für längere Atomkraftnutzung als für noch mehr Kohleverheizung. Und das könnte reichen, um auch in Deutschland eine neue Dynamik auszulösen und die Anti-Atom-Haltung ins Kippen zu bringen.
Denn Thunberg ist ja nicht irgendjemand. Jahrelang wurde sie, insbesondere auch von den Grünen, als wichtigste Sprecherin jener neuen Generation gefeiert, die sich ernsthaft und zu Recht um den Fortbestand der Menschheit sorgt und auf wissenschaftlich fundierter Basis radikale Maßnahmen zum Klimaschutz einfordert. Da kann man es jetzt schwer als abwegig abtun, wenn Thunberg etwas sagt, was ihren bisherigen Bewunderern nicht in den guten alten Kram passt.
Da hilft es auch wenig, auf die skrupellose Verlogenheit eines Christian Lindner hinzuweisen, der den jungen Leuten von FfF einst empfahl, die Weltrettung gefälligst den Profis zu überlassen, und der jetzt ausgerechnet Greta Thunberg als Kronzeugin für seine Pro-Atom-Forderungen im Ampelstreit missbraucht. Natürlich macht Lindner das, weil es ihm jetzt einen Vorteil verschafft. Jeder andere würde das an seiner Stelle auch so machen. Wenn sich ein Arbeitgeberchef für mehr Einwanderung ausspricht, nehmen das auch Linke gerne auf, um ihre Pro-Asyl-Haltung zu untermauern, obwohl sie sonst nie auf Arbeitgeber hören. Das ist Politik.
Keine Lösung
Und weil Thunberg eben einen immensen Glaubwürdigkeitsbonus in den linksgrünalternativen Milieus genießt, schlägt ihre Äußerung so ein. Auf überzeugte Atomgegner wirkt das so verstörend, als hätte die Chefin der WHO plötzlich verkündet, dass Rauchen gar nicht so schlimm ist. Und, noch krasser: Auch in anderen, eigentlich ganz netten Ländern wie Frankreich oder Finnland fangen sie auch wieder mit dem Rauchen an! Mit staatlicher Förderung!
Die Versuchung, da mitzumachen, ist groß. Die Atomlobby hat in der Politik noch viel mehr Freunde als die Tabaklobby. Der Kampf wird schwer. Sicher gibt es nach wie vor gute Argumente gegen längere Atomlaufzeiten. Aber die müssen überzeugend vorgetragen werden. Einfach „Weder Atom noch Kohle“ ist in der aktuellen Krise keine Lösung, weil das Massenarbeitslosigkeit und Blackouts riskieren würde.
Und was sicher nicht reicht, ist zu sagen: Greta irrt hier ausnahmsweise – bei der Atomfrage hatten wir schon immer recht. Da muss schon mehr kommen.
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