piwik no script img

Schwarz-Rot und das RichterdebakelWas, wenn der Riss viel zu tief ist, um geflickt zu werden?

Pauline Jäckels
Kommentar von Pauline Jäckels

Egal ob das Richterdebakel Unfall oder Absicht war, Spahn muss weg. Das entscheidende Problem zwischen Schwarz-Rot wäre damit trotzdem nicht gelöst.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn ist entweder inkopetent oder topedierte mutwillig die Wahl der Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen Foto: Christian Mang/Reuters

D as Rich­te­r*in­nen­wahl­de­sas­ter ist angerichtet, und die schwarz-rote Koalition, die alles besser machen wollte als die Streitampel, steht wenige Monate nach den Bundestagswahlen zerstritten vor einem Scherbenhaufen. Während die einen noch mit (berechtigten) Vorwürfen und Rücktrittsforderungen gegen den CDU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn um sich schmeißen, bemühen sich andere schon darum, die Scherben wieder aufzusammeln und das Mitte-Zwangsprojekt Schwarz-Rot irgendwie noch zusammenzukitten. Aber was nur, wenn die Risse viel zu tief liegen, um sie einfach mit etwas Sekundenkleber zu flicken?

Das Scheitern der Wahl lässt sich auf zwei Arten erklären. Entweder war es tatsächlich ein Unfall. Spahn hatte unterschätzt, wie groß die Opposition gegen die SPD-Kandidatin Frauke ­Brosius-Gersdorf in seiner eigenen Fraktion ist, hat es erst am Freitag begriffen und musste das Votum kurzfristig absagen. Er wäre also ein Stümper, der die wichtigste Aufgabe seines Amts nicht beherrscht. Dafür spricht: Es ist kaum vorstellbar, dass er sich freiwillig einer solch großen und, für seine ohnehin umstrittene Position, riskanten Blamage aussetzt. Dagegen spricht: Jens Spahn ist ein erfahrener Parlamentarier, der seit 2002 den Bundestag von innen kennt. Dass die von AfD, Nius und Co betriebene Hetzkampagne gegen ­Brosius-Gersdorf die Zustimmung in seiner Fraktion zum Kippen bringt, hätte er wissen müssen – aber er hat trotzdem nicht gehandelt.

Hier also die zweite Erklärung: Spahn hat das Desaster passieren lassen, um sich vom links­liberalen Lager abzugrenzen. Oder, das wäre der schlimmste Fall, um bewusst die Koalition zu torpedieren. Nicht wenige sagen ihm nach, auf die nächste Kanzlerschaft mit schwarz-blauer Koalition zu schielen.

Die Brandmauer kaschiert den entscheidenden Riss

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Sicher lässt sich nicht sagen, welche Variante nun stimmt. Das Debakel konfrontiert uns aber mit einem viel grundsätzlicheren Problem, das mit einem – überfälligen – Rücktritt Spahns nicht gelöst wäre: In entscheidenden Punkten sind sich CDU und AfD viel näher als Schwarz-Rot. Sei es in der Migrationsfrage, der Sozial- und Verteilungspolitik oder eben in Sachen Grundrechte für Frauen, queere Menschen und Rassismus­betroffene.

Der Vorfall bestätigte lediglich eine Entwicklung, die sich schon beim gemeinsamen Votum von AfD und CDU im Februar zeigte: dass die Brandmauer den entscheidenden politischen Riss – zwischen denen, die an einer durch das Grundgesetz geleiteten und liberalen Ordnung festhalten, und denen, die an ihr vorbeiregieren wollen – nur künstlich kaschiert.

Will die CDU wirklich das Mittekonstrukt aufrechterhalten, muss die Unionsspitze nicht nur kurzfristig ihre Fraktion in den Griff kriegen, sondern sich langfristig dem Mitte-links-Lager annähern. Passiert das nicht, gibt es bei der nächsten Wahl wohl nur zwei Optionen: Schwarz-Blau oder, deutlich unwahrscheinlicher, Rot-Rot-Grün.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Pauline Jäckels
Meinungsredakteurin
Redakteurin im Meinungsressort seit April 2025. Zuvor zuständig für die parlamentarische Berichterstattung und die Linkspartei beim nd. Legt sich in der Bundespressekonferenz gerne mit Regierungssprecher:innen an – und stellt manchmal auch nette Fragen. Studierte Politikwissenschaft im Bachelor und Internationale Beziehungen im Master in Berlin und London.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Der offensichtliche Unterschied zwischen der Ampel und der aktuellen Koalition scheint mir die Ausrichtung zu sein. Die Ampel hat durchaus progressive, zumindest aber zeitgemäße Projekte umgesetzt, die jetzige Regierung kennt nur eine Richtung: rückwärts.

    • @Flix:

      Yes - und an das Thema Klimaschutz denkt keiner mehr unter den Regierenden. Die Ampel war diesbezüglich wirklich fortschrittlich im Denken, in der Kommunikation leider katastrophal - garniert mit dem Störfaktor Lindner. Außenwirkung: mangelhaft. Das (rückwärtsgewandte) Ergebnis liegt vor...........