„Rheinmetall entwaffnen“ über Abrüstung: „Profiteure von menschlichem Leid“
Das antimilitaristische Bündnis „Rheinmetall entwaffnen“ ist auch im Ukraine-Krieg für Abrüstung. Diese Woche wollen sie Rüstungsstätten blockieren.
taz: Frau Lenert, Frau Kemper, „Abrüstung“, „weniger Waffen“ – das war einmal breiter gesellschaftlicher Konsens, ist mit dem Ukrainekrieg aber sehr ins Bröckeln gekommen. Viele sagen: Waffen werden zur Verteidigung gebraucht. Ist Ihr antimilitaristischer Kampf für Abrüstung noch zeitgemäß?
Conni Lenert: Es ist zeitgemäß und auch extrem wichtig, gerade in den aktuellen Begebenheiten. Wir haben im Zuge des Ukrainekriegs nochmal offen miteinander diskutiert: Wie gültig sind eigentlich unsere Forderungen? Die richten sich ja gegen Produktion und Export von Rüstung in und aus der Bundesrepublik. Wir denken, das ist weiterhin eine gültige Forderung. Rheinmetall zum Beispiel ist ein global agierendes Unternehmen, das an 139 Staaten Waffen liefert. Es gibt insgesamt 193 Staaten weltweit. Waffen von Rheinmetall werden in Kriegen eingesetzt – und zwar auf beiden Seiten. Krieg ist ein riesiger Sektor, in dem Profit gemacht wird. Dagegen wenden wir uns.
Nina Kemper: Hinzu kommt die Doppelmoral, die von westlichen Regierungen an den Tag gelegt wird. Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg wird jeden Tag aufs Neue verurteilt, während die Türkei dasselbe völlig unkommentiert in den kurdischen Autonomiegebieten tut. Seit April wieder mit massivem Beschuss, teilweise auch mit Giftgas. Man muss sich einfach von der Illusion lösen, dass Kriege aus positiven Gründen geführt werden. Kriege für den Frieden gibt es nicht. „Mehr Waffen“ bedeutet „mehr Tod“ und verlängert jeden Krieg – auch den in der Ukraine.
Was kann man dann den Menschen in der Ukraine konkret raten?
sind Pressesprecherinnen des antimilitaristischen Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“. Ein Protestcamp des Bündnisses läuft bis 4. September in Kassel.
Lenert: Was man tun kann, wenn man angegriffen wird, ist natürlich eine Entscheidung der Einzelnen. Wichtig ist zu unterstreichen: Es geht um die Menschen und nicht um Staaten. Linke sagen gerade oft: „Wir müssen Waffen an die Ukraine liefern“, und dann reden sie plötzlich aus der Perspektive der Bundesrepublik. Gleichzeitig ist das eine schwierige Frage, auf die wir keine zufriedenstellende Antwort haben. Wir verweisen aber darauf, dass wir rausmüssen aus der militärischen Logik insgesamt.
Wie?
Lenert: Frieden innerhalb des kapitalistischen Systems kann es nicht geben. Wenn man innerhalb dieses Systems versucht, die militärische Logik zu durchbrechen, könnte das sein: Druck aufzubauen auf die Regierenden, sodass Verhandlungslösungen überhaupt möglich oder vorstellbar werden.
Kemper: Die sogenannte Zeitenwende, die von Olaf Scholz vermeintlich wegen des Krieges in der Ukraine ausgerufen wurde, die war ja überhaupt keine Zeitenwende. Die ganzen Vorbereitungen auf die Erhöhung des NATO-Beitrags, der Einsatz von bewaffneten Drohnen, Überlegungen zu einer europäischen Armee, usw.: Das alles war sowieso eine Tendenz, und dieser 100-Milliarden-Deal für die Bundeswehr ist eine extreme Beschleunigung dieser Tendenz.
Manchen gibt diese Aufrüstung ein Gefühl von Sicherheit.
Lenert: Als Antifaschistinnen ist es für uns sehr bedrohlich, dass die Bundeswehr, die von einem Rechtsextremismus-Skandal in den nächsten stolpert, so viel Waffen und Ausrüstung bekommt. Auch für die Konzerne geht es da überhaupt nicht – die verpacken das ja immer unter diesen zwei Wörtern – um Sicherheit und Verteidigung. Es geht da ganz klar um Profite. Rheinmetall ist in manchen Fällen nicht erlaubt worden, Waffen und Munition nach Saudi Arabien zu liefern. Das ist ein diktatorisches System, das Krieg im Jemen führt. Was macht Rheinmetall? Es umgeht die Exportbeschränkungen der Bundesregierung über Tochterfirmen auf Sardinien und in Südafrika, um diesen Ländern trotzdem Munition und Waffen liefern zu können. Solche Firmen sind Profiteure von menschlichem Leid. Diese Leute tragen Anzüge und haben ihre Büros am Pariser Platz. Das sind einfach richtige Schweine.
Wie kann denn umgekehrt Ihrer Meinung nach eine Politik der Abrüstung aussehen?
Lenert: Wichtig sind Abkommen zur Abrüstung. Statt den Militäretat auf 2 Prozent des BIP jedes NATO-Landes festzulegen, bringt man ein globales Abkommen auf den Weg, wo die Nationen und Staaten sich verpflichten, den Rüstungsetat um 10 Prozent zu kürzen. Die Verhältnisse bleiben zwar erst mal gleich. Es wird aber insgesamt weniger Rüstung hergestellt.
Kemper: Wir müssen grundsätzlich aus dieser militärischen und kapitalistischen Logik herauskommen. Krieg ist eben eines der profitabelsten Geschäfte auf dieser Welt. Gleichzeitig machen Rüstungskonzerne ja nicht nur Profite mit Kriegen, sondern auch mit den Folgen des Krieges. Menschen, die sich auf die Flucht machen nach Europa, werden mit Drohnen und Waffen von Rheinmetall und Co abgewehrt.
… gemeint ist Frontex?
Kemper: Genau, Krieg und Flucht sind ein tödlicher Kreislauf, der durch mehr Waffen immer weiter befeuert wird. Deswegen ist es für uns keine Möglichkeit, dieses staatliche Verlangen nach mehr Aufrüstung in irgendeiner Form zu unterstützen. Gleichzeitig sind wir mit allen Protestierenden und Kriegsgegnern, sowohl in der Ukraine als auch in Russland solidarisch.
Würden Sie auch Menschen in Rojava empfehlen, zu desertieren?
Lenert: Aber wer desertiert denn in Rojava? Es ist ja nicht so, dass es da eine Wehrpflicht, wie wir sie kennen, gibt. Menschen schließen sich dort zusammen, um die emanzipatorische Gesellschaft, die sie aufbauen, zu verteidigen, gegen den IS oder die türkische Armee, die ja auch von islamistischen Kräften durchsetzt ist. Das ist etwas ganz anderes. Und natürlich sind wir mit jedem türkischen Soldaten, der desertiert, solidarisch.
Kemper: Man kann Ukraine und Rojava nicht miteinander vergleichen. Das eine ist ein neoliberales Staatsgebilde, das seine Bevölkerung unter Zwang dazu verpflichtet zu kämpfen. Und Rojava ist eine emanzipatorische Bewegung, die sich selbstverwaltet und auf Gleichberechtigung abzielt.
In der Ukraine dürfen Männer unter 60 Jahren nicht ausreisen. Trotzdem ziehen viele von ihnen auch freiwillig und aus Überzeugung für eine emanzipatorische Gesellschaft in den Kampf, gegen eine Übermacht, die für sie genauso bedrohlich ist wie in Rojava der IS. Wer entscheidet, welcher Kampf ausgefochten werden darf?
Kemper: Diese Einschätzung teilen wir nicht. Wir entscheiden nicht, was jemand tun darf oder nicht. Als Bündnis richten sich unsere Proteste gegen die Produktion von Kriegswaffen in und den Export aus der Bundesrepublik. Krieg beginnt hier – und deswegen bekämpfen wir ihn hier. Unsere Solidarität ist organisiert, internationalistisch und findet auf der Straße statt.
Diese Woche will das Bündnis „Rheinmetall entwaffnen“ die Rüstungsproduktion „entern“.
Lenert: Wir haben in der Vergangenheit schon mit Aktionen des zivilen Ungehorsams protestiert und mit unseren Körpern die Rüstungsproduktion gestört. Das ist gerade wichtiger denn je. Wir werden unsere Proteste auch zuspitzen. Und das „Entern“ ist etwas, was zum Beispiel bei den Klimaprotesten von Ende Gelände erfolgreich war.
Kemper: Daneben geht es aber auch darum, die Kasseler Anwohner*innen aufzuklären, was in ihrer Stadt passiert. Produktionsstandorte von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann liegen zentral in der Stadt.
Apropos Ende Gelände. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Antimilitarismus und Klimaschutz?
Lenert: Zum einen verschärfen sich Konflikte durch den Klimawandel weltweit, also der Wettbewerb um verbleibende Ressourcen. Das wird die Häufigkeit von militärischen Konflikten verstärken. Außerdem führt die Klimakrise zu Fluchtbewegungen weltweit, die mit militärischen Mitteln bekämpft werden.
Kemper: Es gibt eine Studie von der Boston University, die zeigt, dass zwischen 2001 und 2018 allein das US-Militär 1,3 Milliarden Tonnen CO₂ in die Atmosphäre gepustet hat. Schätzungsweise werden 5 % der weltweiten CO2- und Treibhausgasemissionen vom Militär verursacht.
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