Aufrüstung in Deutschland: Der Coup des Kanzlers

Bei SPD und Grünen formiert sich zaghaft Widerstand gegen Olaf Scholz’ Aufrüstungspläne. Manche fürchten, dass das Geld woanders fehlen könnte.

Portrait von Olaf Scholz mit schwarzer Maske

Mit seiner Rede am Sonntag im Bundestag läutete Olaf Scholz eine sicherheitspolitische Wende ein Foto: Fabrizio Bensch/reuters

BERLIN taz | Am Sonntag hat Olaf Scholz im Bundestag eine Zeitenwende verkündet. Deutschland liefert nun Waffen in die Ukraine und unterstützt harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Vor allem aber will Scholz ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bilden, das im Grundgesetz verankert wird. Dafür braucht die Ampel eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – und damit das Ja der Union.

Doch manche in der SPD und bei den Grünen fühlen sich vom Kanzler überfahren. Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, nannte Scholz’ Idee, sich in der Verteidigungspolitik faktisch von der Union abhängig zu machen, „schräg“. Auch in der SPD sind viele Abgeordnete über Scholz Reißschwenk not amused. Ralf Stegner, SPD-Linker und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sieht den rabiaten Kurswechsel kritisch. „Zeitenwende heißt, dass wir auf den russischen Überfall mit scharfen Sanktionen und einer Ertüchtigung der Bundeswehr antworten. Aber nicht mit einer Militarisierung des eigenen Denkens und Handelns“, so der SPD-Linke zur taz.

Noch entschiedener klingt die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal. Sie kündigte an, die Pläne von Bundeskanzler Scholz, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auszustatten, nicht zu unterstützen. Deutschland brauche eine wehrhafte Bundeswehr. Es bringe aber nichts, weitere Milliarden Euro in einem „schwarzen Loch“ zu versenken, so Rosenthal zur Süddeutschen Zeitung. Auch sei das Grundgesetz auch nicht der Ort, an dem auf alle Zeiten Militärausgaben festgeschrieben werden sollten.

Manchen SPD-Linke stößt besonders Scholz’ Verfahren und Informationspolitik sauer auf. Denn vor Scholz’ Regierungserklärung tagte am Sonntag die SPD-Fraktion. Dort haben der Kanzler kein Wort über den Plan verloren, die Union ins Boot zu holen und 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr locker zu machen. FDP-Finanzminister Christian Lindner war offenbar eingeweiht, die Spitze von Scholz’ eigener Fraktion nicht. Die Grünen kannten die Konstruktion des Sondervermögens, aber nicht die Zahl 100 Milliarden Euro.

Aus Scholz’ Umfeld ist zu hören, dass nach dem russischen Überfall schnelles Handeln nötig war. Die Pro-Scholz-Sozialdemokraten argumentieren, dass der Kanzler mit dem 100-Milliarden-Euro-Programm ein doppeltes Signal senden wollte. Richtung Nato, dass Deutschland eine verlässliche und aktive Rolle spielt, und Richtung Russland, dass Berlin die Zeitenwende ernst meine.

Angst vor Aufrüstung statt Diplomatie

Doch das überzeugt manche SPD-Linke nicht. Das Argument der Zeitnot sei bei dem Schwenk der Bundesregierung in Sachen Waffenlieferungen und den Sanktionen bei Swift völlig nachvollziehbar. Doch bei der von Scholz angekündigten langfristigen Umorientierung der deutschen Verteidigungspolitik, die sogar eine Grundgesetzänderung nötig macht, habe es keinerlei Zeitnot gegeben, so SPD-Linke. Manche Sozialdemokraten fürchten, dass Scholz’ Zeitenwende das Kind mit dem Bade ausschüttet und Aufrüstung künftig Diplomatie ersetzen soll.

Vieles ist auch noch unklar: Wird der Bundestag damit entmachtet? Oder hat das Parlament via Haushaltsausschuss noch Einfluss auf die Ausgaben aus dem Sondervermögen? Inwiefern werden die Tilgungen der 100 Milliarden Euro Sonderschulden den Bundeshaushalt belasten? Vor allem Letzteres macht in der SPD vielen Sorgen. Finanzminister Lindner hatte angekündigt, bei den Ausgaben mehr Prioritäten setzen zu wollen. Auch SPD-Abgeordnete, die Scholz’ Coup am Sonntag unterstützen, schwant da Böses. Wenn de facto soziale SPD-Lieblingsprojekte wie Kindergrundsicherung, Bafög und Bürgergeld aufgekündigt werden, wird die Zahl der Skeptiker in der SPD-Fraktion rasant steigen.

Auch die Grüne Jugend ist skeptisch, ob die langfristige Aufrüstung der Bundeswehr die richtige Antwort auf den russischen Angriffskrieg ist. Die SPD-Fraktion traf sich am Dienstagnachmittag zu einer Sondersitzung, die bei Redaktionsschluss noch nicht beendet war.

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