Politologe über AfD-WählerInnen: „Sie sehen sich als Teil einer Elite“

Philipp Rhein hat die Endzeit-Vorstellungen von AfD-WählerInnen untersucht. Abstiegsängste und nostalgische Sehnsüchte spielen bei ihnen keine Rolle.

Ein mann mit schwarz-rot-goldenem Hut auf dem Parteitag der AfD

Beim Landesparteitag der AfD in Celle, 19. August 2023 Foto: Julian stratenschulte/dpa

Wochentaz: Sie haben detailliert die Zukunftsvorstellungen von AfD-WählerInnen analysiert. Warum haben Sie diesen Ansatz gewählt?

Philipp Rhein: Wissenschaft und Öffentlichkeit haben sich in den letzten Jahren stark auf die Ideologie der AfD und ihre Politiker fokussiert. Die handlungsleitenden Orientierungen und Selbstbilder, Biografien und kollektiven Erfahrungen ihrer WählerInnen gerieten aber kaum in den Blick. Für meine Studie habe ich daher 17 mehrstündige, narrative Interviews mit sozio-demografisch sehr verschiedenen Personen geführt: mit Frauen, Männern, mit Wohlsituierten sowie Prekarisierten, die meisten aus Baden-Württemberg.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Kassel.

Was treibt Menschen an, die AfD zu wählen – wo die Partei kaum durch inhaltliche Konzepte auffällt, sondern vor allem durch interne Zerstrittenheit und destruktives Auftreten?

Zunächst hatte ich als Motive Ängste vor Abstieg oder Deklassierung erwartet. Doch letztlich hat das keine Rolle gespielt. Genauso wenig wie die nostalgischen Sehnsüchte nach einer verklärten Vergangenheit. Mit Zuordnungen wie „Ewiggestrige“ würde man die AfD-WählerInnen nur verharmlosen. Das zentrale Charakteristikum meiner InterviewpartnerInnen ist eine nihilistische Wut. Sie entzündet sich an einem Unvermögen, sich eine Zukunft vorzustellen.

Können Sie das genauer ausführen?

Die Zukunftsvorstellungen meiner InterviewpartnerInnen umfassen keine konkreten politischen Visionen oder Utopien, sondern sind äußerst bilderarm. Sie sind eigentlich nur definiert durch eine sehr abstrakte Negation des Status quo. Die Jetzt-Zeit wird durchweg als Katastrophe wahrgenommen. Für meine InterviewpartnerInnen ist die „Normalität“, die meist auf die Lebensform einer heterosexuellen Kleinfamilie bezogen ist und auf weißen, deutschen Identitätsprivilegien beruht, abhandengekommen; Krise ist zum Dauerzustand und Zukunft zu einem Bedrohungsszenario geworden. Sie blicken auf die Welt mit apokalyptischen Bildern und vertreten Endzeitdystopien.

Zukunftsvorstellungen dieser und ähnlicher Art finden sich aktuell allerdings nicht nur unter Rechten. Zudem sind gegenwärtige Gesellschaften insgesamt kaum durch lebhafte, vorwärtsgerichtete Visionen geprägt. Was genau versprechen sich Ihre InterviewpartnerInnen von ihrer Entscheidung für die AfD?

„Rechte Zeitverhältnisse. Eine soziologische Analyse von Endzeitvorstellungen im Rechtspopulismus“. Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2023, 401 Seiten, 45 Euro

Auf narzisstisch hohle Weise begreifen sie sich als Teil einer Elite, die als vermeintlich auserwählte Gruppe den Untergang der Gesellschaft durchschaut. Das lesen sie vor allem daran ab, dass sie glauben, beständig Opfer von Ausgrenzungen und Anfeindungen zu werden, nur weil sie nonkonformistisch unterwegs seien. Gerade dieses Erleben aber ist es, das sie als eine Art Vorherbestimmung dafür deuten, nach dem erwarteten Untergang als auserwählte Elite das Ruder an sich reißen zu können. Streng genommen passt deshalb der Begriff des Populismus nicht mehr. Denn meine InterviewpartnerInnen verstehen sich nicht als „schweigende Mehrheit“, sondern als Elite inmitten einer Endzeit.

Welche Rolle spielen dabei die Idee eines Ausnahmezustands sowie Gewalt- und Reinheitsfantasien?

Gerade wegen ihrer zukunftsverschlossenen Endzeitvorstellungen und Untergangserwartungen könne aus ihrer Sicht auf „Befindlichkeiten“ wie Demokratie sowie Pluralismus keine Rücksicht mehr genommen werden. Notfalls müsse mit Gewalt „durchregiert“ werden. Einer meiner Interviewpartner bemühte ein Bild, wonach unsere Gesellschaft mit Booten auf einen Wasserfall hinzurudere. Ein Boot aber fange an, gegen den Strom zurückzurudern. Darauf, dass „ausgerechnet“ in diesem Boot Rechtsextreme und Gewaltbereite sitzen, könne keine Rücksicht genommen werden – wo das Boot doch das einzige ist, das das Unheil vorhersieht und Rettung verspricht. Wozu sind Menschen bereit, die in solchen Zukunftsbildern denken?

An dieser Stelle drängen sich Parallelen zu Vorformen des Faschismus des 20. Jahrhunderts auf. Gibt es bei ihren InterviewpartnerInnen auch die Sehnsucht nach einer starken, charismatischen Führungsfigur, die für den Eintritt in die ersehnte neue Welt sorgt?

In der Tat hat etwa bei Autoren der Konservativen Revolution die Sehnsucht nach einem chiliastischen Ausbruch aus der Gegenwart eine wichtige Rolle gespielt. Politische Eschatologie ist anschlussfähig an grundlegende Dynamiken des Autoritarismus. Doch die AfD zeichnet sich aktuell nicht durch charismatische Führungsfiguren aus. Womöglich liegt die Bedrohung woanders. Besonders besorgt mich, dass mit der AfD eine Partei in der politischen Institutionenordnung vertreten ist, die destruktive und elitär-abgesonderte Geisteshaltungen versammelt und damit den Verlust geteilter Welterfahrungen und Realitäten salonfähig macht. Damit laufen nicht nur Routinen des sozialen Ausgleichs und der politischen Konfliktbewältigung beständig ins Leere, sondern auch die politisch-demokratische Gestaltung von Zukunft. Das ist eine große Gefahr für die deliberative Demokratie, in der wir eine gemeinsame Zukunft politisch aushandeln müssen.

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