Nach dem Ende der Fraktion: Neue Chance für die Linke
Ja, Sahra Wagenknecht stiehlt derzeit ihrer Ex-Partei die Show. Aber für die geschrumpfte Linke dürfte sich eine Marktlücke auftun.
![Sahra Wagenknecht in der Kulisse der Talkshow "Maischberger" Sahra Wagenknecht in der Kulisse der Talkshow "Maischberger"](https://taz.de/picture/6649512/14/Linke-Wagenknecht-Fraktion-1.jpeg)
N un ist es klar: Die Linksfraktion wird sich Anfang Dezember offiziell auflösen. Damit steht das Datum für den endgültigen Exitus, die Einleitung der Begräbniszeremonie und die Nachlassregelung fest. Für tot erklärt hatte Fraktionschef Dietmar Bartsch den Patienten schon zuvor. Trocken hatte Bartsch erklärt, warum er nur wenig Wehmut verspüre: „Das ist wie mit der Oma, die unheilbaren Krebs hat. Man weiß, dass sie stirbt. Aber wenn sie dann wirklich tot ist, ist man doch traurig.“ Oder insgeheim froh, dass die Qualen endlich vorbei sind.
Kaum zu glauben, dass es erst drei Monate her ist, seit Jan Korte seiner Fraktion noch eine „stabile Seitenlage“ diagnostiziert hatte. Doch mit ihrem Austritt haben Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger der Bundestagsfraktion den Todesstoß verpasst. Auch der Linkspartei insgesamt? Das eher nicht. Zwar sonnt sich Wagenknechts Projekt in guten Umfragewerten. Aber bislang ist es nicht mehr als eine Briefkastenfirma mit undurchsichtigem Finanzierungskonzept.
Klar, Wagenknecht hat Glamour und ist häufiger Talkshow-Gast. Sie ist ein Medienprofi, der scharf und griffig formuliert und mit Ressentiments zu spielen weiß. Die Linkspartei aber hat mehr Substanz, politisch wie personell. Sie ist an drei Landesregierungen beteiligt, stellt Bürgermeister und einen Ministerpräsidenten. Wagenknecht kann sich zwar vorstellen, in Sachsen mit Michael Kretschmers CDU zu koalieren, wie sie sagt. Ihre Partei existiert bisher aber nur auf dem Papier und hat noch keine Wahl gewonnen.
Entscheidend ist die Bundestagswahl
Beide werden jetzt ihren Neubeginn inszenieren: die Linke in dieser Woche mit ihrem Parteitag in Augsburg, bei dem sie ihre Leute für die Europawahl küren wird, Wagenknecht mit ihrer Parteigründung und einem Parteitag im neuen Jahr. Die Europawahl im Juni 2024 und die Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern werden erste Bewährungsproben. Das entscheidende Ziel aber ist die Bundestagswahl in zwei Jahren. In sozialpolitischen Fragen werden sich Linkspartei und Wagenknecht künftig Konkurrenz machen, was hoffentlich das Geschäft belebt.
Aber in der Migrations- und Klimapolitik hinterlassen SPD und Grüne eine immer größer werdende Lücke, während Wagenknecht diese Flanke aufgegeben hat, um sich an AfD-Wählern anzubiedern. Die Linkspartei könnte diese Lücke füllen. Denn es bräuchte eine Opposition nicht nur gegen den sozialpolitischen Kahlschlag, sondern auch gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck, etwa gegen die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Seenotrettern, Klimaschützern, Migranten und anderen Minderheiten. In den nächsten zwei Jahren wird sich zeigen, ob in Deutschland noch Platz dafür ist.
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