Lastenräder als Alternative zu LKW: Pakete könnten abgasfrei kommen
Online-Handel und Lieferverkehr sorgen für verstopfte Straßen und gefährliche Situationen. Dabei gibt es Konzepte für umweltverträglichen Transport.
Im Bereich B2C, also Gewerbe zu Privatkund:innen, stieg das Aufkommen sogar um 18,6 Prozent. Dazu kommen noch weitere Lieferungen wie für Supermärkte, Drogerien, Restaurants oder Einzelhändler. Und die Prognosen sind weiterhin steigend: Für das Jahr 2025 erwartet der Verband ein Volumen von 5,7 Milliarden verschickten Sendungen. Das heißt: Noch mehr Lieferwaren, die die Straßen verstopfen, noch mehr Unfälle und Beinaheunfälle. Oder?
Nicht unbedingt. Denn Konzepte, um in Städten die sogenannte letzte Meile bis zu den Kund:innen etwas verträglicher für Umwelt, Anwohner:innen und Verkehrsteilnehmer:innen zu gestalten, gibt es durchaus. Tim Holthaus, der an der Bergischen Universität Wuppertal zu dem Thema forscht, nennt drei Kernpunkte, die sich in jedem Fall ändern sollten. Erstens: das Transportfahrzeug.
„Ein Lastenrad ist für die letzte Meile das Mittel der Wahl“, sagt Holthaus: Weniger Emissionen, weniger Platzverbrauch. Zweitens: der Konkurrenzkampf. „Wir müssen dahin kommen, Verkehre zu bündeln.“ Selbst wenn die Auslieferung per Lastenrad erfolgt, sollten nicht Räder von mehreren Anbietern dieselbe Straße bedienen müssen. Und drittens: „Auch die Städte sind in der Pflicht.“ Zum Beispiel Ladezonen für Lastenräder einrichten.
Ralf Bogdanski, Logistikforscher an der TH Nürnberg
Wie groß – oder klein – das Potenzial von Lastenrädern ist, rechnet Ralf Bogdanski vor, Professor an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg, der zu nachhaltiger Stadtlogistik forscht. Demnach kann ein Lastenrad rein gewichtsmäßig ein Viertel der Güter eines Transporters aufnehmen, nach Volumen deutlich weniger. Gehe man von der typischen Sendungsgröße aus, die DHL, GLS und Co auf der letzten Meile zu Privatkund:innen transportieren, passten in ein Lastenrad etwa 100 bis 120 Sendungen. Praktisch, denn: „Das entspricht etwa dem, was ein Zusteller an einem Arbeitstag schafft“, sagt Bogdanski.
Eine größere Hürde seien da die Distanzen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde schaffe ein Lastenrad am Tag nur etwa halb so viel Strecke wie ein motorisierter 3,5-Tonner. Daher kommt die Idee der Mikrodepots, kleiner Umschlagplätze. Das Problem: Gerade in den Innenstädten ist die Flächenkonkurrenz hoch.
Für eine Stadt wie Berlin, schätzt Bogdanski, wären etwa 100 Standorte nötig – und die auch noch so sinnvoll örtlich verteilt, dass sich in Kombination mit den Lastenrädern ein Logistiknetz über die Stadt spannen lässt. „Das limitiert derzeit den Einsatz von Lastenrädern“, sagt Bogdanski. Er forscht daher nun an Konzepten, die ohne Mikrodepots auskommen, zum Beispiel indem direkt vom Transporter auf die Lastenräder umgeladen wird und das an unterschiedlichen Standorten. Oder mit einer Einbindung des öffentlichen Nahverkehrs.
Für den gewerblichen Letzte-Meile-Transport bis nach Hause geht Bogdanski davon aus, dass rund 30 Prozent des Verkehrs durch Lastenräder ersetzt werden können, der Rest der transportierten Sendungen sei zu sperrig oder zu schwer. Das klingt erst mal nicht viel. „Aber jedes Kraftfahrzeug, das wir von der Straße runterkriegen, ist ein Fortschritt“, sagt Bogdanski. Dazu komme: Die KEP-Branche – also Kurier-, Express- und Paketdienste – sei häufig ein Pionier, was neue Lösungen angeht.
Ein Büroartikelhändler macht vor, wie es geht
Und in anderen Branchen könne der Anteil an Sendungen, die sich aufs Lastenrad verlagern lassen, schon ganz anders aussehen. Bei der Belieferung von Supermärkten oder Getränkehändlern etwa sei der Anteil noch mal geringer. In anderen Bereichen, wie bei Lieferungen für Apotheken oder der Wäschelogistik von Hotels, dagegen deutlich höher.
Wie eine Lieferung per Lastenrad aussehen kann, zeigt beispielsweise das Unternehmen Memo. Der Versandhändler für Büroartikel arbeitet bei der Zustellung für die letzte Meile in mittlerweile rund 10 Städten mit Logistikunternehmen zusammen, die Waren per Lastenrad ausliefern. Ein Rad trägt eine Palette, ein Elektromotor unterstützt beim Transport, geladen wird mit Ökostrom.
Der Ablauf: Ein Lkw holt die Ware wie üblich in Memos Logistikzentrum ab und bringt sie zum Standort des Lastenrad-Kurierdienstleisters vor Ort. Der transportiert sie dann weiter bis zum:r Kund:in. „Als wir 2016 damit angefangen haben, wusste praktisch keiner, dass das geht, heute ist es angekommen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Frank Schmähling.
Auch die Qualität der Lastenräder habe seitdem deutlich zugenommen. Räder, die ein Gewicht von 250 Kilogramm aushalten, seien mittlerweile deutlich gängiger. Dennoch ist es auch heute nicht einfach für das Unternehmen, neue Städte dazuzuholen. Ein Dienstleister müsse gefunden werden und mit diesem eine gemeinsame digitale Schnittstelle, um die Daten zu übermitteln. Und manche Stadt, die mal dabei war, flog wieder raus. Stuttgart zum Beispiel – da hat laut Schmähling „die Topografie nicht gepasst“.
Noch sind die Kosten knapp doppelt so hoch
Der Unternehmenschef hofft, dass mehr Versandhändler nachziehen. Was sie derzeit noch davon abhalten könnte: die Kosten. Die Lieferung per Lastenrad auf der letzten Meile lässt laut Schmähling für Memo den Preis für die gesamte Zustellung auf knapp das Doppelte steigen. Kosten, die das Unternehmen selbst trage. Die aber durch Skaleneffekte sinken würden, wenn der Transport per Lastenrad gängig wird.
Doch für einen wirklich breiten Einsatz müssten sich auch die Städte verändern. Sie müssten beispielsweise deutlich mehr Platz für Fahrräder auf den Straßen einräumen – sollen zwei Lastenräder einander überholen können, ist locker eine Autospur fällig. Darüber hinaus Flächen, auf denen die Waren vom Lkw aufs Rad umgeschlagen werden können. Und eine effektive Durchsetzung von Parkverboten und Haltezonen. Denn auch die schönsten Flächen und Wege für Räder helfen nicht, wenn sie von Autos und Lieferwagen zugeparkt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden