Kampf gegen die vierte Coronawelle: Alle in die Impfpflicht nehmen
Freiwilligkeit ist super. Doch die Befindlichkeiten von Ungeimpften sollten nicht mehr über das Leben anderer Menschen gestellt werden.
Die vierte Corona-Welle macht vielen klar: Es funktioniert nicht, Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, aus der Verantwortung zu nehmen. Inzwischen spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine allgemeine Impfpflicht aus. Insbesondere bei ungeimpftem medizinischen Personal findet wegen der aktuellen Todesfälle in Pflegeheimen ein Umdenken statt. Letztlich lebt aber kaum jemand so isoliert, dass er oder sie garantieren kann, im Supermarkt, Bus oder Familienkreis wirklich niemanden anzustecken.
Zuvor wurde eine Impfpflicht oft als Ultima Ratio dargestellt, die auf jeden Fall vermieden werden sollte. Doch ist es langsam an der Zeit zuzugeben, dass es sie braucht.
Freiwilligkeit und Eigenverantwortung sind super, wenn auch von genug Menschen freiwillig Verantwortung übernommen wird. Es ist nicht abzusehen, dass ein relevanter Teil der Ungeimpften mit Blick auf die Realität ihre Meinung ändern wird. Es liegt in der Verantwortung der Regierung, sicherzustellen, dass die Gesundheit der Bevölkerung geschützt wird. Besonders aber ist es ihre Verantwortung, die unfreiwillig Ungeimpften zu schützen. Und das heißt eben, dass sich alle impfen lassen müssen, die können – insbesondere jene, die beruflich Kontakt zu ihnen haben.
Gegen die Impfung ist ein Schaden für die Bevölkerung
Die Entscheidung eines so großen Teils der Bevölkerung gegen die Impfung ist auch eine Entscheidung dafür, der Gesundheit von schwächeren Gruppen zu schaden und ihre Freiheit einzuschränken. Schulpflichtige Kinder müssen in die Schule gehen, Pflegeheimbewohner*innen können sich ihre Pfleger*innen nicht aussuchen. Tumorpatient*innen haben ebenfalls ein Recht auf zügige medizinische Versorgung. Menschen in prekären Jobs mit viel Menschenkontakt können nicht einfach kündigen. Diese Menschen haben auch Rechte. Und die Rechte der Schwächeren zu schützen ist ebenso Aufgabe des Staates.
Die Konsequenz der aktuellen Versäumnisse ist, dass viele Menschen schwer und dauerhaft erkranken oder gar sterben. Das Motto der vergeigten Impfkampagne lautet gewissermaßen: Wer sich impfen will, soll es tun, und wer nicht, hat Pech gehabt. Jedenfalls werde alles ganz schnell wieder normal. Vergessen wird, dass sich Kinder und Immunschwache nicht einfach selbst schützen können. Selbst wer geimpft ist, stirbt im Zweifel an etwas anderem, wenn die Krankenhäuser durch ungeimpfte Covid-19-Patient*innen überlastet sind.
Die Konsequenzen tragen andere
Wenn Ungeimpfte das Risiko einer eigenen Covid-19-Infektion eingehen, entscheiden sie sich – wenn auch unbewusst – in der Masse unter anderem dafür, dass die Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Konsequenzen dieser Entscheidung müssen also auch andere Menschen tragen.
Durch das vermeidbare Blockieren von medizinischem Personal wird anderen Menschen Gesundheitsversorgung verwehrt. In einer pandemischen Situation ist das etwas anderes als der gelegentliche Beinbruch einer Skifahrerin, den die Solidargemeinschaft gut verkraften kann, weil alle mal ein Risiko eingehen wollen und Fehler haben.
Die Regierung hat immer wieder versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird. Auch etliche linke Kommentator*innen halten eine Impfpflicht – aus guten Gründen – für einen zu großen Eingriff in die Selbstbestimmung. Und Querdenker*innen hyperventilieren schon beim leisesten Hauch einer Einschränkung aufgrund des Impfstatus und reden von „Zwangsimpfung“.
Dass alle für sich selbst entscheiden – noch dazu auf Grundlage von Fehlinformation –, funktioniert aber nicht in einer gesamtgesellschaftlichen Notlage wie einer Pandemie. Gerade Linke sollten nicht zulassen, dass sich der „Dann sollen sie halt sterben“-Diskurs durchsetzt. Denn weder sollte man Ungeimpfte mit Verweis auf „selbst schuld“ verrecken lassen – aus grundsätzlicher Solidarität, und weil Desinformation, Mangel an Information, Ängstlichkeit und prekäre Lage ihre Gründe sein können. Noch sollte zugelassen werden, dass deren Verhalten Gesundheit und Leben so vieler anderer Menschen bedroht.
Pandemieeindämmung macht niemandem Spaß
Grundrechte müssen oft gegeneinander abgewogen werden. In der Frage der Impfpflicht wird die körperliche Unversehrtheit der einen (vor dem kleinen Piks) aber nicht angemessen gegen die der anderen abgewogen (Tod, Krankheit, Long Covid und Kollateralschäden). Pandemieeindämmung macht niemandem Spaß, aber es ist bitter nötig. Welche Maßnahmen funktionieren, ist bekannt, und auch, dass sie angesichts der Tücke von Covid-19 allesamt nötig sind.
Die Menschen müssen sich schnell und vor Ort impfen lassen können. Der Grund muss ihnen verständlich in ihrer Sprache erklärt werden, die Angst vor Spritzen muss begleitet werden – auch das führen nämlich manche Ungeimpfte als Beweggrund an. Menschen, die sich impfen lassen, brauchen Geld für Einkommensausfälle bei Impfreaktionen, damit sie aus Angst vor Arbeitsausfällen erst gar nicht vor der Impfung zurückschrecken. Die Abschaffung der kostenlosen Tests sollte rückgängig gemacht werden, denn auch Geimpfte können sich anstecken. Und es braucht einen ehrlichen Umgang damit, dass sowohl impfen als auch testen und alles andere wie Masken tragen nötig ist.
Eine Impfpflicht kategorisch abzulehnen, scheint nicht nur unangemessen angesichts der desaströsen Aussicht auf den Winter, die diesen Eingriff rechtfertigen würde. Auch unabhängig davon wirkt das übertrieben: Impfpflicht heißt nicht Zwangsimpfung, sondern Zugangsbeschränkung, wo andere gefährdet würden. Sie ist nicht nur recht unspektakulär, sondern wurde bereits und wird angewandt: Ohne Masernimpfung können Kinder nicht in die Kita geschickt werden.
Man lässt Menschen auch nicht die Wahl, ob sie lieber mit oder ohne Führerschein Auto fahren wollen, oder ob sie überall rauchen können.
Es wäre schöner, wenn eine Impfpflicht nicht nötig wäre. Aber es kann nicht noch viele Wellen dauern und das Leben und auch die Freiheit von so vielen Menschen kosten in der Hoffnung, dass die Menschen es schon irgendwann einsehen werden.
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