Forderung nach Helmpflicht: Lieber sichere Radwege
Dass die Verkehrssenatorin die Verantwortung auf die Radler abwälzen will, anstatt sichere Infrastruktur zu schaffen, ist das Problem. Nicht ihr Doktortitel.
W ie viel Mobilitätswende kann man von einer CDU-Politikerin und ehemaligen Bau-Lobbyistin erwarten? Nicht allzu viel, das hat Verkehrssenatorin Manja Schreiner mit ihrem desaströsen Planungsstopp für Radwege schon eindrucksvoll bewiesen. Dass es Schreiner trotz aller Beteuerungen „pragmatische Verkehrspolitik für alle“ nur um die Aufrechterhaltung der Dominanz des Autos geht, zeigte sie auch wieder mit ihrer jüngsten Forderung nach einer Helmpflicht für Radfahrer:innen.
„Die Helmpflicht wäre ein sinnvoller Beitrag für mehr Verkehrssicherheit“, sagte Schreiner am Dienstag der Deutschen Pressegentur. Damit bekräftigte sie die Forderung ihres brandenburgischen Partei- und Amtskollegen Guido Beermann (CDU), der die Idee einen Tag zuvor in einem Interview mit der MAZ aufbrachte.
Das Aufwärmen der Helmpflichtdebatte, die seit Jahrzehnten immer mal wieder geführt wird, ist so perfide wie durchschaubar. Nach außen hin gibt sich Schreiner besorgt über die Verkehrssicherheit von Radfahrer:innen. Auf den ersten Blick wirkt die Forderung auch vernünftig: Immerhin verringert ein Helm die Wahrscheinlichkeit von schweren Kopfverletzungen beträchtlich.
Doch wie Beispiele aus Kanada und Australien zeigen, führt eine Helmpflicht vor allem dazu, dass weniger Menschen radfahren, weil sie keine Lust haben, Helm zu tragen oder sie sich keinen leisten können – das ist alles schon seit Jahren bekannt und auch in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen nachzulesen.
Besser Infrastruktur statt Helmpflicht
Glücklicherweise ist die Einführung einer Helmpflicht für Berlin allein nicht ohne weiteres möglich. Wenn, dann müsste schon eine bundesweite Regelung her.
Was bleibt, ist ein diskursives Ablenkungsmanöver. Beinahe zynisch ist es, dass Schreiner als Verkehrssenatorin die Verantwortung beim Thema Sicherheit auf das Individuum auslagern will. Denn ein Hauptgrund, warum viele Berliner:innen derzeit noch aufs Fahrrad verzichten, ist, dass sie sich inmitten der Flut von Blechpanzern nicht sicher fühlen. Die Lösung sind keine Helme, sondern sichere Infrastruktur.
Derzeit kann nur auf den wenigen in den vergangenen Jahren fertiggestellten geschützen Radwegen der gesetzlich vorgeschriebene Mindestabstand von 1,5 Metern auch tatsächlich eingehalten werden. Auf allen anderen Wegen donnern weiterhin tonnenschwere Lastwagen mit Haaresbreite an einem vorbei. Da kommt auch mit Helm nur wenig Sicherheits-Feeling auf.
Was den Radwegausbau angeht, haben sich einige der schlimmsten Befürchtungen mittlerweile bewahrheitet. So werden in Neukölln rund 600.000 Euro Bundesfördermittel für einen geschützten Radweg auf der Sonnenallee verfallen, wie der Tagesspiegel am Mittwoch berichtete. Bei einer derart rückwärtsgewandten Politik sind die Plagiate, die in Manja Schreiners Doktorarbeit gefunden wurden, noch das geringste Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung