Ergebnis der Sondierungen: Auf dem Rücken der Schwächsten
Auf den ersten Blick konnte die SPD einiges durchsetzen, wie 15 Euro Mindestlohn. Doch das täuscht und der Preis ist hoch: Solidarität muss dran glauben.
Für die, wie Parteichef Lars Klingbeil sie nennt, „hart arbeitende Mitte“, konnten er und die anderen acht sozialdemokratischen Verhandler:innen zwar Punkte herausholen. Der wohl wichtigste: Aufträge der öffentlichen Hand sollen nur noch an Firmen vergeben werden, die nach Tarif zahlen. Dafür soll ein Bundestariftreuegesetz sorgen. Ein Vorhaben, das in der Ampel an der FDP gescheitert war. Gerade im Osten Deutschlands, wo 56 Prozent der Arbeitnehmer:innen ohne Tarifvertrag arbeiten, dürfte sich das günstig auf die gesamte Lohnentwicklung auswirken.
Einen nur symbolischen Erfolg hat die SPD beim Mindestlohn von 15 Euro errungen, einer Kernforderung im Wahlkampf. Laut Sondierungspapier sei ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar. Doch tatsächlich will die Politik die Festlegung wie bisher der Mindestlohnkommission überlassen. Für den Fall, dass die Arbeitgeberseite wie 2023 nur eine Minimalerhöhung gegen das Arbeitnehmerlager durchdrückt, ist kein politisches Handeln beschrieben. Im Gegenteil: „An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest“, heißt es. Also bitte keine Einmischung.
Der Druck auf die Beschäftigten soll dagegen erhöht werden. Die tägliche Höchstarbeit soll durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden. Start frei für den 16-Stunden-Tag! Dafür sollen Überstunden aber steuerfrei sein. Beide Vorschläge kommen aus der Union, Gewerkschaftsvertreter:innen hatten beides heftig kritisiert. „Verrückte Ideen wie steuerfreie Überstunden laden gerade dazu ein, entweder Vollzeitarbeit zu verdrängen oder die geschlechterungleiche Verteilung von Arbeit noch weiter anzukurbeln“, meinte die DGB-Vorsitzende und ehemalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi dazu schon vor knapp einem Jahr.
Die Rente ist sicher – aber welche?
Immerhin haben sich die Sondierer:innen darauf geeinigt, das Rentenniveau zu sichern, was der SPD im Wahlkampf sehr, sehr wichtig war. Allerdings findet sich die Untergrenze von 48 Prozent als Zahl nicht im Sondierungsergebnis. Auch fehlt der Verweis, dass es sich um das gesetzliche Rentenniveau handelt. Da wird in den Koalitionsverhandlungen wohl noch viel um Formulierungen gefeilscht.
Vielleicht können die Arbeitnehmer:innen ja schon bald mehr für die private Rente ansparen – diese soll reformiert werden. Denn Union und SPD bekennen sich dazu, „die breite Mittelschicht durch eine Einkommensteuerreform (zu) entlasten und die Pendlerpauschale (zu) erhöhen“. Gegenfinanzierung? Fehlanzeige. Dass Topverdienende und Millionenerb:innen sich stärker beteiligen sollen, wie es die SPD wollte, ist laut Sondierungspapier nicht geplant.
Immobilienhaie können aufatmen, die weitgehend wirkungslose Mietpreisbremse wird nicht verschärft, sondern soll nur zwei Jahre verlängert werden.
Aus Bürgergeld wird Hartz IV
Ihre überschaubaren Erfolge haben die Sozialdemokrat:innen teuer erkauft. Und Dinge preisgegeben, die sie in der Vergangenheit unter Schmerzen erarbeitet haben und die fachlich eigentlich unstrittig sind. So soll das Bürgergeld praktisch zu Hartz IV rückabgewickelt und der „Vermittlungsvorrang“ wieder eingeführt werden. Das würde bedeuten, dass Leistungsempfänger:innen in jeden miesen Job vermittelt werden können, egal, ob sie gerade eine Aus- oder Fortbildung machen. Nachhaltig ist das sicher nicht, aber man kann Menschen so gehörig unter Druck setzen.
Wer „zumutbare Arbeit“ wiederholt verweigert, dem soll das Geld komplett gestrichen werden. Ob das rechtlich überhaupt durchsetzbar ist, ist zweifelhaft. Zudem sind die sogenannten Totalverweigerer unter allen Bürgergeldempfänger:innen mit 0,4 Prozent eine Splittergruppe. Aber das Signal an alle Leistungsempfänger:innen ist deutlich: Die faulen Langzeitarbeitslosen sollen endlich ihre Hängematten verlassen und arbeiten. Populismus wirkt.
Die Solidarität mit den vulnerabelsten Gruppen der Gesellschaft hat die SPD auch beim Thema Migration aufgegeben. Nicht nur, dass die Union jetzt behaupten darf, künftig gebe es Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze – „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn“ freilich, was vermuten lässt, dass es eben nicht so einfach geht. Auch der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll bis auf Weiteres ausgesetzt werden. Das heißt, Menschen, die nachweisbar vor Krieg und Gewalt geflüchtet sind und als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland leben, sollen künftig auf unbestimmte Zeit von ihren Familien abgeschnitten werden. Das ist weder human noch integrationsfördernd.
Solidarität mit afghanischen Frauen passé
Etwas unter dem Radar, aber genauso beschämend ist, dass die Sozialdemokraten einwilligten, dass freiwillige Aufnahmeprogramme, etwa für Menschen, die in Afghanistan verfolgt sind, beendet werden. Ein Land, in dem Mädchen und Frauen weder weiterführende Schulen noch Hochschulen besuchen dürfen, wo sie jederzeit zwangsverheiratet werden können und sich in der Öffentlichkeit nicht mehr zu Wort melden dürfen.
Verschleppt wurden die freiwilligen Aufnahmen von der sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser ohnehin schon, es kamen kaum noch Menschen nach Deutschland. In dem Flugzeug, das vor einer Woche mit 132 Afghan:innen landete, saßen laut Bundesinnenministerium 74 Frauen und 58 Männer. 57 von ihnen waren minderjährig, davon sieben Kinder unter zwei Jahren. Ausgerechnet am Internationalen Frauentag hat die SPD nun den Weg dafür frei gemacht, dass eine Flucht nach Deutschland für Mädchen und ihre Familien künftig nicht mehr möglich sein soll.
So wenig Rückgrat muss man sich als Sozialdemokrat:in vermutlich hart erarbeiten. Die Union kann dagegen mit breiter Brust in die Koalitionsverhandlungen gehen. Einige ihrer populistischen Wahlversprechen werden wahrscheinlich bald umgesetzt.
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