Debatte um Wohnungsknappheit: Zynische Vorschläge
Die Immo-Lobby will Quadratmeterobergrenzen für Mieter, zerstört hat sie den Markt selbst. Doch wohnen ist jetzt schon beengt.
M aren Kern, Chefin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, hat Chuzpe. Die Lösung, die der Lobbyistin der Wohnungswirtschaft für die in Großstädten akute Wohnungsnot eingefallen ist, lautet zugespitzt: Der mietende Pöbel soll halt den Gürtel ein bisschen enger schnallen. Kern forderte in einem Zeit-Interview ernsthaft eine Begrenzung der Quadratmeterzahl pro Person – mutmaßlich gemütlich aus einem Einfamilienhaus mit großem Garten und hohem Zaun heraus. Zynischer geht’s kaum.
Denn Maren Kern ist als Berlins Oberlobbyistin der Immo-Wirtschaft natürlich vollkommen klar, dass private Wohnungsfirmen und die in ihrem Verband organisierten Aktienunternehmen in erster Linie dafür verantwortlich sind, dass der Wohnungsmarkt kaputt ist. Selbst wer sich verkleinern will, kann in Berlin wegen explodierter Mietpreise kaum aus seiner Wohnung ausziehen, weil man dann halt einfach mal das Doppelte für weniger Wohnraum zahlt. Ganz zu schweigen davon, wie eine solche Forderung wohl bei den 8,5 Millionen Menschen ankommt, die unter überbelegten Wohnverhältnissen leiden. Und man darf zu Recht fragen, wer denn eigentlich die Omi aus der 50-Quadratmeter-Wohnung zwangsräumen wird, wenn der Opi gestorben ist. Macht das Maren Kern dann persönlich?
Das Einzige, was sich angesichts dieses abstrusen Vorstoßes wohl seriös fordern lässt, ist eine Obergrenze für zynische Vorschläge – und dass kommunale Wohnungsunternehmen schnellstens aus diesem Verband austreten sollten.
Und als wäre das noch nicht genug Unsinn für eine Woche Wohnungspolitik, kommt auch noch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert um die Ecke und haut wohnungssuchenden Mieter*innen ohne viel Kohle noch mal ordentlich in die Fresse. Oder wie sonst ist es zu verstehen, wenn Kühnert zwar im Tagesspiegel-Podcast Krokodilstränen über die schwierige Wohnungssuche in Berlin vergießt und dafür quasi noch mit einer Wohnungsgratisanzeige im Spiegel belohnt wird?
Wenigstens kann der bestens vernetzte Kühnert, der mit einem monatlichen Abgeordnetensalär von mehr als 10.000 Euro angeblich binnen eines Jahres keine Wohnung gefunden hat, seine erfolglose Suche populistisch ausschlachten. Anderen bleibt nur Angst vor Mieterhöhungen, Rausschmiss oder Wohnungslosigkeit.
Kaputte Wohnungsmärkte und hohe Mietpreise
Hinzu kommt, dass die SPD als Kanzlerpartei nicht zuletzt selbst etwas gegen kaputte Wohnungsmärkte und hohe Mietpreise tun könnte. Und selbstverständlich könnte die SPD mit Franziska Giffey in Berlin den erfolgreichen Volksentscheid für die Vergesellschaftung von privaten Wohnungskonzernen umsetzen. Stattdessen gibt es weiterhin keine wirksamen Preisregulierungen und eine langwierige Enteignungskommission, deren von der SPD entsandte Mitglieder schwer nach Sabotage aussehen. Dann muss man sich auch nicht über Eierwürfe wundern.
Die Konsequenz des wohnungspolitischen Stillstands ist sozialer Druck auf alle, die deutlich weniger als Maren Kern, Kevin Kühnert und Franziska Giffey verdienen. Dazu werden und wurden wirksame Mietpreisregulierungen von CDU, FDP und Immobilienlobby weggeklagt oder bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Selbst die Reform des kommunalen Vorkaufsrechts, das bei aller Liebe ein sehr komplexes und nur punktuell wirksames sowie letztes Mittel der Gegenwehr gegen den Ausverkauf der Städte ist, steht dank der FDP wieder zur Debatte. Ganz zu schweigen von mal im Wahlkampf versprochenen regionalen Mietenstopps.
Natürlich aber braucht es angesichts eines kaputten Wohnungsmarkts wie in Berlin, dessen Währung auf der einen Seite Rendite und auf der anderen Seite menschliche Verzweiflung ist, gute Vorschläge für Lösungen. Die Wohnungswirtschaft hat mit dem jüngsten Vorstoß wieder einmal gezeigt, dass sie nichts dazu beitragen will. Lösungen kann man offenbar nicht mit ihr umsetzen, sondern nur gegen sie: Wohnungstauschportale, die Mieterhöhungen ausschließen und Fluktuation am Wohnungsmarkt wiederbeleben könnten, wären so eine Idee.
Oder funktionierende Preisregulierungen und Vergesellschaftung. Und warum eigentlich soll nur ein Viertel des geplanten Neubaus sozialgerecht sein? Warum entstehen derzeit an der Spree so viele für SPD-Generalsekretäre taugliche Penthouses, aber keine günstigen Wohnungen? Und warum werden ein paar Meter weiter Obdachlose vertrieben, um Hotels mit Aquarium zu bauen? Aber wer weiß, vielleicht brauchen wir auch einfach eine Obergrenze. Dann aber bitte für Eigentumswohnungen pro Person.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt