Stadtplanerin über Wohnprojekte: „Meistens geht's um Kosten“

Zusammen wohnen, aber wie? Baugemeinschaft, Genossenschaft oder Miethäusersyndikat? Stadtplanerin Ulrike Pelz erklärt die Vor- und Nachteile.

Ein Balkon und Blauer Himmel auf dem Areal rund um die SpreeWG1

„Wir brauchen in ganz Deutschland viel mehr geförderten Wohnraum“, sagt Ulrike Pelz Foto: Jens Gyarmaty

taz am wochenende: Frau Pelz, der Wohnungsmarkt wird immer teurer. Sind Wohnprojekte in Kollektiveigentum ein Ausweg aus der Spirale?

Ulrike Pelz: Für einige schon. Die Förderung von Baugemeinschaften ist Ländersache, aber in einigen Bundesländern ermöglicht die Förderung es auch Menschen mit wenig Geld, selbst Wohnraum zu bauen. Die Mieten für die Wohnungen, die dabei entstehen, werden bis zu dreißig Jahre lang subventioniert. So wird günstiger Mietwohnungsraum über eine sehr lange Zeit erhalten.

Welche Trägerformen für Wohnen im Kollektiveigentum gibt es?

Die individuellste Form ist die Kleingenossenschaft. Das heißt, die Baugruppe gründet eine Genossenschaft, und alle Mitglieder wohnen später in ihrem Haus. Die Mitglieder entscheiden, wer einzieht, wie das Haus aussieht, wie sie zusammen wohnen wollen. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Gruppe unter das Dach einer großen Genossenschaft schlüpft. Die ist dann die Bauherrin und kann das meiste entscheiden. Der Vorteil ist, dass die Dachgenossenschaft den für Bauprojekte nötigen Eigenanteil aufbringt und die neue Gruppe nicht so viel Geld besitzen muss. Ein weiteres Modell ist das Mietshäusersyndikat.

Und was ist das?

Die Idee kommt aus Freiburg. Die einzelnen Hausprojekte sind autonom und können grundsätzlich alles selbst bestimmen, aber das Syndikat hat in der Haus-GmbH eine Sperrminorität, um das Kollektiveigentum zu erhalten.

Was ist mit Optionen, bei denen man nicht selbst bauen muss?

Dafür bräuchte man eine geeignete Immobilie, aber vielerorts gibt es das nicht mehr. Attraktiv für größere Gruppen, die gemeinschaftlich wohnen wollen, wäre ja zum Beispiel eine Fabrik­etage oder ein großer Altbau. Solche Orte sind zum Beispiel in Hamburg seit Jahren vermietet, verkauft oder abgerissen.

Aber für einen Neubau braucht man immer Kapital. Sind solche Wohnformen nur was für Gutverdiener*innen?

Das würde ich nicht sagen. Man kann sich die Genossenschaftsanteile bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau leihen und über die Miete abbezahlen. Da die Grundmiete ja subventioniert ist, ist es über die Jahre gerechnet immer noch ein guter Mietpreis im Vergleich zum normalen Wohnungsmarkt. Und um die Förderung zu bekommen, müssen die meisten Mie­te­r*in­nen ohnehin geringe Einkommen haben.

Allerdings braucht man viel Zeit, um einen Neubau zu planen. Das muss man sich schon leisten können.

Das stimmt, aber in der Realität ist es immer so, dass sich nicht alle gleich stark engagieren. Ein Teil der Gruppe macht viel. Die anderen werden mitgezogen. Allerdings muss man sich viel miteinander auseinandersetzen, wenn das Fundament des Wohnens die Gemeinschaft ist. Das will nicht jeder.

Gibt es ein Erfolgsrezept für das Wohnen in großen Gemeinschaften?

Nein, es kommt immer auf die Gruppe an. Wichtig ist, dass sich die Gruppen früh Regeln auferlegen, wie sie miteinander umgehen und diskutieren. Je mehr sie sich daran halten, desto besser ist es für die Zukunft. Hilfreich ist es auch, regelmäßig Supervision zu machen. Natürlich gibt es immer wieder Differenzen, auch schon bevor man zusammenwohnt.

Welchen Konflikten begegnen Sie?

Ulrike Pelz, Jahrgang 1968, hat eine Lehre als Landschaftsgärtnerin gemacht und dann Landschaftsarchitektur und Stadtplanung studiert. Bei „Stattbau Hamburg“ berät sie Baugemeinschaften und gemeinwohlorientierte Träger beim Wohnungsbau. „Stattbau“ entstand 1985 aus Mitgliedern von Mieterinitiativen und der Gründungszene der GAL und fungierte als Vermittlerin zwischen Be­set­ze­r*in­nen und dem Hamburger Senat.

Meistens geht es um Kosten. Die Mitglieder einer Baugemeinschaft sind ja finanziell unterschiedlich situiert. Es gibt viele, die wenig Geld haben und ein paar, die mehr haben. Sich zu einigen, in welcher Qualität ein Haus geplant werden kann und wie teuer die Ausstattung sein soll, ist immer ein Streitfaktor. Ein weiterer Punkt ist die Frage: Wie viel Gemeinschaftsfläche wollen wir haben und dafür auf einen Teil des privaten Raums verzichten?

Bei Eigentümerbaugemeinschaften kann jeder selbst entscheiden, weil ja jeder seinen Teil selbst finanziert. Läuft das konfliktfreier?

Eigentümergemeinschaften haben das Problem, dass hier neben dem Wohnen auch immer eine Vermögensanlage umgesetzt wird. Die finanzielle Belastung des Einzelnen ist sehr hoch. Das kann die Gruppe stark belasten.

Ist gemeinschaftliches Wohnen nach wie vor gefragt?

Ja, immer mehr. Die Menschen wollen zunehmend der Vereinzelung aus dem Weg gehen, und es gibt im Alltag viele Notwendigkeiten, sich zu unterstützen, sei es bei der Kinderbetreuung oder als Hilfe für alte Menschen. Mehrgenerationenprojekte sind sinnvoll, da entstehen viele Synergien. In der Coronazeit gab es viele Wohnprojekte, die gut funktioniert haben, weil es einfacher ist, sich zu helfen, wenn man sich kennt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Zeichnet sich ein Trend zu kleinen Wohneinheiten in der Gemeinschaft ab – im Gegensatz zu großen WGs?

In Hamburg werden WGs von bis zu sechs Personen in Baugemeinschaften gefördert. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sie nicht so langfristig beständig sind, dass Gruppen das WG-Konzept nach einer Weile nicht mehr wollen. Es ist gut, Wohnungen gleich so zu strukturieren, dass man sie bei Bedarf in kleinere Formen zurückbauen kann.

Warum sind WGs nicht so langlebig?

Die Einkommensbeschränkung im sozialen Wohnungsbau kann ein Problem sein. Wer neu einzieht, darf ein gewisses Einkommen nicht überschreiten. Das ist nicht sehr hoch, auch So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen können darüber liegen. Aber man sucht sich seine Mit­be­woh­ne­r*in­nen ungern nach ihrem Einkommen aus. Manchmal ist es auch einfach die Lebensphase, die nach dem WG-Leben eine andere Wohnform erfordert.

Seit wann gibt es Baugemeinschaften?

Die Baugemeinschaftsszene ist in den Achtzigern entstanden. Einige Gruppen gingen aus Besetzungen hervor, andere haben etwa ein leer stehendes Gebäude entdeckt und gesagt: „Kommt, lasst uns hier zusammen was aufbauen.“ Die Stadtverwaltungen haben ja auch ein Interesse daran, dass Menschen ihr Wohnen selbst organisieren.

Woran müsste sich eine integrative und gemeinschaftsorientierte Stadtplanung ausrichten?

Wir brauchen in ganz Deutschland viel mehr geförderten Wohnraum. Darüber hinaus ist es wichtig, dass es viele verschiedene Wohnformen gibt. Nur Singlehaushalte und Familienwohnungen zu fördern, reicht nicht. Es wäre gut, flexibler zu bauen, zum Beispiel Cluster, wo sich kleine Wohneinheiten um große Gemeinschaftsflächen gruppieren, oder Wohnungen, die man später in kleinere Einheiten zurückbauen kann. Angesichts der hohen Baupreise würde es auch helfen, wenn es nicht zu viele Auflagen gibt, sodass man günstiger bauen kann. Umweltstandards sind natürlich wichtig, aber vielleicht ist nicht jede Auflage nötig und sinnvoll.

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