CDU-Länderchefs gegen Bundestagsfraktion: Sexuelle Identität entzweit Union
Die Union brachte queere Menschen gegen sich auf. Nun stellen sich die CDU-Länderchefs beim Schutz der sexuellen Identität gegen die Bundestagsfraktion.

Brisant: Dass das Thema auf die Tagesordnung geraten ist, liegt an Berlins Regierungschef Kai Wegner (CDU) und seinem schwarz-roten Senat. Dessen Antrag haben sich Mecklenburg-Vorpommern unter Manuela Schwesig (SPD) sowie Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen angeschlossen, die von den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst geführt werden.
Die Union hatte im Bund zuletzt ein anderes Bild vermittelt: Bundestagspräsidentin Julia Klöckner empörte die queere Community mit dem Verbot, anlässlich des Berliner CSDs die Pride-Flagge auf dem Reichstagsgebäude zu hissen. Kanzler Friedrich Merz irritierte mit der Aussage, der Bundestag sei „kein Zirkuszelt“.
Sönke Siegmann, LSU-Vorstand
Was die drei CDU-Länderchefs nun durchsetzen möchten, wird von den Parteifreund*innen im Bundestag mehrheitlich abgelehnt. Für eine Grundgesetzänderung sehe ihre Fraktion „keine Notwendigkeit“, so die rechtspolitische Sprecherin Susanne Hierl (CSU) – „denn der allgemeine Gleichheitssatz garantiert schon heute in seiner bewährten Formulierung einen wirksamen Schutz gegen Diskriminierung.“ Sexuelle Identität sei „ein viel zu diffuser Begriff“, die Aufnahme würde „keine substanzielle Schutzverbesserung“ bewirken.
Akzeptanz sinkt
Zwietracht in CDU/CSU? Sönke Siegmann winkt ab. Er ist Bundesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) und sagt: „Es gibt in der Union juristische und politische Auslegungen, die in Bezug auf Artikel 3 andere Ansichten vertreten. Das ist legitim, wir sind eine Volkspartei.“ Die LSU tritt seit Jahren für die Änderung ein. „Es ist doch so: Die CDU ist traditionell nicht die queerpolitische Partei“, sagt Siegmann, der in Gesprächen mit Abgeordneten um Zustimmung wirbt: „Wir müssen also intern vermitteln, dass die Erweiterung vielen Menschen einen Extraschutz bietet.“
In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Der Antrag möchte nach „Geschlechtes“ nun „der sexuellen Identität“ einfügen. Der Begriff besagt, „dass es sich bei der Sexualität um einen Bestandteil des Selbstverständnisses einer Person handelt, der nicht nur durch die sexuelle Beziehung zu einer anderen Person bestimmt ist.“ So definiert es die Antidiskriminierungsstelle.
In der Begründung verweist Berlin auch auf die zuletzt geringer gewordene Akzeptanz gegenüber nicht-heteronormativen Lebensweisen und plädiert dafür, die „Schutzwirkung der verfassungsmäßigen Grundrechte dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte“ zu entziehen. Wer dies als „Symbolpolitik“ bezeichne, verkenne „Bedeutsamkeit und Auswirkungen der Verfassung“.
„Am Ende des Tages ist die Verfassung mit dem Diskriminierungsschutz das Instrument, das uns wirklich schützt“, meint Siegmann. „Andere Gesetze kann man leicht ändern, das Grundgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit.“ Queere Menschen seien zudem „bis heute die einzige von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe, die nicht auf diese Weise geschützt ist“.
Unklar ist, ob der Antrag Erfolg haben wird. Er liegt in den Ausschüssen der Länderkammer und wird voraussichtlich im September abgestimmt. Wegner geht davon aus, „dass wir im Bundesrat für diese Initiative wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen“. Zunächst reicht die absolute Mehrheit, um das Vorhaben in den Bundestag zu bringen. Die übrigen Länder halten sich auf taz-Anfrage bedeckt: Es laufe die interne Abstimmung, man wolle den Beratungen nicht vorgreifen. Einzig das Sozialministerium des SPD-regierten Saarlandes lässt sich zur Sache ein: Das Vorhaben sei „ausdrücklich zu begrüßen“, erklärt eine Sprecherin.
Auch die Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), signalisiert gegenüber der taz Zustimmung: Die Initiative ermögliche, „in den nächsten Wochen und Monaten viele Gespräche in Bundestag und Bundesrat zu führen, um für die notwendige Zweidrittelmehrheit zu werben“, sagt Koch. Sie sei den „unionsgeführten Ländern außerordentlich dankbar.“
Nach der Abstimmung müsse „man weitersehen“, so Wegner. „Denn für eine Verfassungsänderung im Bundestag ist dann eine Zweidrittelmehrheit erforderlich“. Ob er sein Vorgehen im Vorfeld mit der Unionsfraktion oder anderen Fraktionen abgestimmt hat, will die Senatskanzlei nicht beantworten. Sollten SPD, Grüne, Linke und SSW dafür votieren, bräuchte es 150 der 208 Unionsabgeordneten – eine fragliche Aussicht. LSU-Chef Siegmann hofft dennoch, dass er mit seinen Argumenten durchdringt: „Ich bleibe vorsichtig optimistisch.“
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