Hilflose Debatte nach Solingen: Die Frage der Sicherheit

Nach der Tat in Solingen vermitteln politische Forderungen Hilfslosigkeit. Doch nichts hindert die Behörden, islamistische Netzwerke unter Druck zu setzen.

Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wird abgeführt Foto: Uli Deck/dpa

Am Ende gab sich die Polizei martialisch. Barfuß und mit Beinfesseln wurde Issa al H. am Sonntagnachmittag aus dem Helikopter in Karlsruhe geführt, die Augen verdeckt, der Oberkörper von vermummten Spezialkräften nach unten gedrückt. Der 26-jährige Syrer wurde mehr zum Haftrichter des Bundesgerichtshof geschleift, als dass er lief. Die Botschaft: Jetzt wird hart gegen den Terror durchgegriffen.

Stunden zuvor waren die Bilder noch andere. Einen Tag lang konnte die Polizei den Messerangreifer von Solingen nicht fassen, der auf dem Stadtfest drei Menschen erstach und mehrere lebensgefährlich verletzte – trotz Großfahndung. Es waren Stunden der Unsicherheit, das Bild einer hilflosen Polizei. Am Ende stellte sich Issa al H. selbst einer Polizeistreife, seine Kleidung soll noch blutverschmiert gewesen sein.

Inzwischen bekannte sich der IS zu der Tat, nannte den Täter von Solingen „einen Soldaten des Islamischen Staates“, der „aus Rache für die Muslime in Palästina und überall“ gehandelt habe. Ein Video eines Vermummten soll Issa al H. zeigen, der Ende 2022 als Geflüchteter nach Deutschland kam.

Und ab da bleiben vorerst nur Fragen, die unweigerlichen: Warum diese Tat? Hätte sie nicht verhindert werden können? Und: Haben die Sicherheitsbehörden die Lage noch im Griff? Fragen, die auch die rabiaten Bilder aus Karlsruhe nicht überdecken können.

Hilflose politische Forderungen

Es sind aber auch politischen Forderungen, die jetzt im Raum stehen, die Hilfslosigkeit vermitteln: Messer verbieten, Grenzen dichtmachen, nun auch nach Syrien und Afghanistan abschieben. Es bleibt das Problem, dass schnelle, harten Antworten verlangt werden, wo die zentralen Fragen längst noch nicht geklärt sind. Was war das Motiv? Ab wann verfolgte der Täter seinen Plan? Radikalisierte er sich erst hierzulande oder schon zuvor? Hatte er wirklich Kontakt zum IS? Und wenn ja, war er ein Einzeltäter, der sich erst kurz vor der Tat mit der Terrorgruppe in Verbindung setzte? Oder war er Teil eines Netzwerks, wurde gar für das Attentat beauftragt? Wir wissen all dies noch nicht. Aber genau davon hängen die Antworten ab, die jetzt gegeben werden müssen.

Was dagegen klar scheint: Die Sicherheitsbehörden haben es auch in Deutschland wieder mit einem Islamismus zu tun, von dem viele dachten, dass er mit der Niederlage des „Islamischen Staats“ in Syrien und dem Irak 2019 erledigt sei. Nun bekannte sich – erstmals seit dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz – wieder der IS zu einer Tat in Deutschland. Auch die Bundesanwaltschaft wirft Issa al H. auch die Mitgliedschaft bei der Terrortruppe vor.

Die islamistische Gefahr war immer da

Tatsächlich war die Gefahr nie gebannt. Auch zuletzt stachelten der IS und andere Islamisten An­hän­ge­r*in­nen zu Terror auf, es gab Terrorpläne und Taten in anderen europäischen Ländern. Immer noch kursiert islamistische Propaganda auf Social Media Kanälen. Und noch zuletzt zählten die Sicherheitsbehörden in Deutschland 27.200 Islamisten und 470 Gefährder, denen hierzulande schwerste Gewalttaten zugetraut werden. Wollen wir über Solingen reden, sollten wir darüber reden.

Man kann den Sicherheitsbehörden nicht vorwerfen, sie hätten das Problem nicht kommen sehen. Seit dem 7. Oktober, seit dem wieder aufgeflammten Nahostkrieg, warnte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, die Gefahr sei wieder „so hoch wie lange nicht“.

Aber tun die Sicherheitsbehörden auch genug? Offen reden diese über diese Arbeit ja kaum, aber bekannt ist, dass die Behörden nach den 9/11-Anschlägen alles auf die islamistische Gefahr ausrichteten, mit fatalen Folgen für den Blick auf den Rechtsterror. Und dass sie auch nach den islamistischen Angriffen 2016 in Hannover, Ansbach, Würzburg und schließlich auf den Berliner Breitscheidplatz erneut die entsprechenden Abteilungen weiter stärkten. An Personal mangelt es also nicht.

Und auch nicht an Befugnissen: Die Geheimdienste dürfen Kommunikation mitlesen, Treffpunkte überwachen, Spitzel einsetzen. Tatsächlich wurden zuletzt immer wieder Terrorverdächtige festgenommen, in Castrop-Rauxel, Gera, Essen oder Duisburg. 15 Anschläge wollen die Sicherheitsbehörden nach eigener Auskunft in den vergangenen Jahren verhindert haben.

Das Problem der Sicherheitsbehörden bleibt: Sie müssen Terrorwillige überhaupt erst mal auf dem Schirm haben. Und Issa al H. gehörte nicht dazu: Er fiel vorher nicht mit Straftaten auf, nicht mit politischen Aktivitäten. Dann wird es schwierig, sehr schwierig. Viele der zuletzt Radikalisierten taten dies im Stillen, abseits von Szenetreffpunkten, aufgeputscht von Social-Media-Content. Es waren dann oft noch ausländische Geheimdienste, vornehmlich aus den USA, die den Deutschen halfen und entscheidende Hinweise auf Terrorverdächtige gaben. Es ist kein Geheimnis, dass die Befugnisse dort weitergehend sind.

Eine digitale Rasterfahndung? Bitte nicht

Die Frage ist: Sollen nun auch die deutschen Geheimdienste aufgerüstet werden? Wollen wir eine digitale Rasterfahndung? Wollen wir flächendeckende, anlasslose Kontrollen in Fußgängerzonen, wie sie Markus Söder ins Spiel bringt? Heimliche Durchsuchungen von Wohnungen, wie es Nancy Fae­ser zuletzt in einen Gesetzentwurf schrieb? Eine offene Gesellschaft kann das nicht wollen. Der Preis ist: Eine Unsicherheit wird bleiben. Aber eine absolute Sicherheit wird es nie geben, nirgends.

Nichts aber hindert diesen Staat und seine Sicherheitsbehörden daran, weiter sehr präzise die islamistische Terrorgefahr in den Blick zu nehmen – ihre Netzwerke, ihre Anheizer, ihre Trefforte. Nichts, islamistische Propaganda aus Onlinekanälen zu verbannen. Nichts, aufpeitschende Gruppen wie „Generation Islam“ in die Schranken zu weisen und wenn möglich zu verbieten. Und vor allem hindert diesen Staat nichts, auf breiter Front auf Präventionsprojekte zu setzen, um Radikalisierungen schon im Keim zu verhindern. Ja, auch damit wird am Ende keine absolute Sicherheit garantiert. Aber das ist der Weg, den eine Gesellschaft gehen muss, wenn sie ihre Freiheiten nicht preisgeben will.

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Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).

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