Alltäglicher Judenhass: Die Mär vom fremden Juden
Der antisemitische Angriff auf Sänger Gil Ofarim zeigt: Ausgrenzung ist kein jüdisches Problem, sondern das der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft.
![Demonstration gegegn Antisemitismus mit Transparent. Demonstration gegegn Antisemitismus mit Transparent.](https://taz.de/picture/5149749/14/antisemitismus-deutschland-deutsche-juden-1.jpeg)
S ie werden beleidigt, bespuckt und blöde angemacht. Man tuschelt über sie, reißt blöde Sprüche: Die antisemitischen Vorfälle, denen Juden in Deutschland im Alltag ausgesetzt sind, ohne dass dies jemals in einer Strafanzeige mündet und in die Kriminalstatistik einfließt, sind mannigfaltig, alltäglich und bedrückend. Bedrückend sollten sie aber nicht nur für die Betroffenen sein, sondern mindestens ebenso für die Mehrheitsgesellschaft, die diesem Treiben mehr oder weniger interessiert zuschaut.
Ein jüdischer Künstler hat in Leipzig nun einen dieser Ausbrüche von Judenhass öffentlich gemacht. Ein Hotelmitarbeiter wollte ihn, den durch ein Kette mit Davidstern sichtbaren vorgeblich Fremden, nicht einchecken lassen – jedenfalls nicht mit sichtbarer Kette. Das ist purer Judenhass. Die Angelegenheit wird durch die Reaktion auf diesen widerlichen Vorfall nicht besser, fiel doch den Hotelbetreibern nichts Besseres ein, als eine Flagge Israels als Zeichen der Solidarität mit dem Abgewiesenen aufzuhängen. Und wieder wird der Jude als Fremder gebrandmarkt, immerhin im positiven Sinne, aber trotzdem bedeutet dies: Er gehört nicht zu uns.
Juden sind Deutsche, keine Ausländer, übrigens auch keine deutschen Mitbürger. Es sind keine Touristen und keine Migranten. Einfach nur deutsche Staatsbürger. Sie zählen genauso zu Staat und Gesellschaft wie deutsche Katholiken, Protestanten oder Atheisten.
Es ist diese simple Tatsache, die Antisemiten seit dem 19. Jahrhundert nicht anerkennen wollen und aus der sie ihre Zurückweisung des Jüdischen als angebliche Volksfremde konstruieren, die die postulierte nationale Identität bedrohen. Das war schon im Kaiserreich so und setzte sich in der Weimarer Republik fort. Die Nazis konnten darauf ihre Vernichtungspolitik aufbauen, und noch Konrad Adenauer sprach von einer „Judenfrage“. Bis zum heutigen Tag spukt diese Mär in den Köpfen vieler herum.
Es ist aber eine Frage, die an die deutsche Mehrheitsgesellschaft gerichtet ist. Denn nicht Juden sind das Problem, sondern die Antisemiten und die Mehrheitsgesellschaft, die sie duldet und teils nicht einmal erkennt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig