Alice Schwarzers 80. Geburtstag: Die Expertin, die wir nicht brauchen

Alice Schwarzer hat im Kampf für Frauenrechte viel einstecken müssen. Das entschuldigt nicht, dass sie beim Thema Transrechte Polemik verbreitet.

Alice Schwarzer hebt die Hand

Alice Schwarzer bei Maischberger Foto: Melanie Grande/WDR

Alice Schwarzer kann machen, was sie will, ich werde immer Respekt vor ihr haben. Alleine, dass sie sich jahrzehntelang in der Öffentlichkeit als Blitzableiterin für frauenfeindliche Projektionen hergegeben hat, ist erstaunlich. Das heißt jedoch nicht, dass ich Schwarzers Beiträge zum Thema Transrechte hilfreich finde.

Am Dienstag saß Schwarzer bei Maischberger – denn sie wird 80 und daher dieser Tage medial gefeiert. Kurz vor Schluss hob sie an zu einem Rant gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Ampel. Dieses soll es trans Menschen erleichtern, den amtlichen Geschlechtseintrag zu ändern. Schwarzer sieht es kritisch. Das soll sie bitte. Aber sie sollte sich argumentativ schon auch Mühe geben.

Schwarzer glaubt, dass Menschen mit einem tatsächlichen Bedarf an Geschlechtsangleichung eine „extreme Minderheit“ seien. Sie befürchtet, dass viele der Menschen, die in den letzten Jahren die Begriffe „trans“ oder „nonbinär“ für sich angenommen haben, bloß mit den gesellschaftlichen Erwartungen an ihr Geschlecht haderten – nicht aber mit ihrem Körper. „Im gesamten Westen“, so Schwarzer im Ersten, gebe es eine „Welle von Zehntausenden Jugendlichen – vor allem Mädchen“, die sagten, sie seien trans. „Sind sie trans?“, fragte Schwarzer und äußerte den Verdacht, dass diese Mädchen „sich unwohl fühlen nicht im Körper, sondern in der Geschlechtsrolle“. Sie hebt ab auf eine vorgestellte junge cis-weibliche Person, die ihre Genderheimat im Trans­spektrum sucht, während sie eigentlich als cis Frau glücklicher wäre.

Diese mögliche Genderbiografie neben anderen im Blick zu haben ist selbstverständlich nötig. Schwarzer jedoch holte nicht mal Luft, um diese Sorge sogleich mit Pauschalkritik am Selbstbestimmungsgesetz zu verknüpfen. Mit dem Gesetz könnten „schon 14-Jährige zum Standesamt gehen und sagen: Und übrigens – heute bin ich ein Mann.“

Ungenauigkeiten einer TV-Expertin

Faktencheck: Erstens behandelt das Selbstbestimmungsgesetz keine körperlichen Transitionen, sondern nur den amtlichen Geschlechts­eintrag. Zu tun, als führe das eine unweigerlich zum andern, wird der Sache nicht gerecht. Zweitens unterschlägt sie, dass „die 14-Jährigen“ laut Gesetzentwurf nur mit Zustimmung der Eltern ihren Geschlechtseintrag ändern können. Von einer TV-Expertin für Geschlechterverhältnisse erwarte ich Genauigkeit.

Schwarzer verließ sich argumentativ auf das Performen von Autorität („Ich habe mich schon für Transsexuelle eingesetzt, als noch niemand wusste, was das ist“) und aufs Diskreditieren ihrer Kri­ti­ke­r*in­nen (die seien „hetero“ und außerdem „ideologisch“).

Schwarzer kann gerne gegen das Gesetz in seiner jetzigen Form sein. Aber diese Debatte hat genug Polemik. Sie braucht Ideen, wie Teen­age­r*in­nen – auch cis Mädchen – eine offene geschlechtliche Entwicklung ermöglicht werden kann. Sie braucht Expert*innen, die ein Interesse an der Sache haben – in all ihrer Komplexität. Alice Schwarzer ist das leider nicht.

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