Merz' Äußerung zum „Stadtbild“: Saubere Städte, schmutzige Sprache
Bundeskanzler Friedrich Merz redet von Problemen im „Stadtbild“ und fordert im selben Atemzug mehr Abschiebungen. Die Union testet einen neuen Kampfbegriff.

N iemand kann leugnen, dass sich das Stadtbild in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts stark verändert hat – insbesondere im Osten. Viele Innenstädte wurden dort mit Fördergeldern saniert, marode Bauten aus der DDR-Zeit abgerissen, und wo früher ein „Konsum“ war, zogen Kettenfilialen ein.
Zugleich leidet der Osten unter Abwanderung und Deindustrialisierung. Viele der schmuck sanierten Dorfkerne und Innenstädte in Brandenburg oder Sachsen sind heute menschenleer und nur noch Kulisse für Ausflügler und Touristen – oder Treffpunkt für junge, oft männliche Geflüchtete, die sich dort einfinden, um der Enge ihrer Wohnheime zu entfliehen.
Ohne die Fluchtmigration insbesondere nach 2015 wären manche ostdeutschen Orte komplett ausgestorben, und ohne ausländische Arbeitskräfte würde die Hotellerie und Gastronomie dort zusammenbrechen. Dadurch hat sich das Stadtbild gewandelt. Gerade ältere Menschen im Osten Deutschlands empfinden diesen Wandel oft als Verlust einer vertrauten Umgebung. Sie plagen Phantomschmerzen.
Vor diesem Hintergrund muss man die beiläufige Bemerkung von Friedrich Merz einordnen, die er am Rande einer Pressekonferenz in Brandenburg fallen ließ. Bei der von der Union propagierten „Migrationswende“ sei man schon „sehr weit“ gekommen, sagte der Kanzler in Potsdam. Die Zahl der Asylanträge etwa sei stark zurückgegangen. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen“, fügte Merz hinzu.
Damit verknüpfte er in einem Satz das Thema Flucht und Migration mit der Rede von einem angeblich problematischen „Stadtbild“ – und indirekt damit auch mit dem Thema Kriminalität, denn abgeschoben werden sollen ja in erster Linie straffällig gewordene Asylbewerber:innen.
Söder und Merz unisono
Erst vor wenigen Wochen hatte Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, in einem Interview davon gesprochen, das Stadtbild müsse sich „wieder verändern“, und das ebenfalls in einen Zusammenhang mit Migration gebracht: Es brauche einfach „mehr Rückführungen“. Dass Merz und Söder fast wortgleich diese Formulierung wählen, deutet darauf hin, dass die Konservativen einen neuen Kampfbegriff gefunden haben, den sie nun testen.
Die Rede vom „Stadtbild“ ist ein klassisches „Dogwhistle“: eine populistische Aussage, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden werden kann – ähnlich wie bei einer Hundepfeife, deren Töne aufgrund ihrer hohen Frequenz nur Hunde wahrnehmen.
In der vermeintlich harmlosen Rede vom „Stadtbild“ können sich besorgte Bürgerinnen und Bürger wiederfinden, die sich an Leerstand, Graffiti an den Wänden oder Müll auf der Straße stören und wollen, dass ihr Dorf wieder schöner wird. Indem Merz und Söder das Aussehen von Innenstädten jedoch mit der Ankündigung verknüpfen, mehr abzuschieben, sprechen sie aber auch knallharte Neonazis an, die von „national befreiten Zonen“ träumen und jeden vermeintlichen „Ausländer“ aus dem Land werfen möchten – egal, wohin.
Merz und Söder machen sich damit einen Kampfbegriff der AfD zu eigen, mit dem diese Erfolg hatte. In Gelsenkirchen warb die Alternative für Deutschland beim Kommunalwahlkampf „für eine saubere Heimat mit einem gepflegten Stadtbild“. Die albanischstämmige AfD-Landtagsabgeordnete Enxhi Seli-Zacharias forderte dort, arabische Ladenschilder aus der Innenstadt zu verbannen.
Die Vagheit ist Programm
Man mag es als Ironie empfinden, dass manche Parteifreunde sie selbst in bestimmten ostdeutschen Orten womöglich als „störend“ empfinden könnten. Aber die Vagheit des Begriffs „Stadtbild“ lässt solche Widersprüche zu. Die „Störung“ des Stadtbilds durch andere Menschen liegt daher ganz im Auge des Betrachters. Man sieht einem Menschen ja nicht an, ob er hier studiert oder arbeitet oder ob er kriminell ist, und ob er hier geboren wurde oder erst gestern als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist.
Zu den Widersprüchen gehört auch, dass die Döner-Bude in vielen kleinen ostdeutschen Orten mittlerweile der einzige soziale Treffpunkt ist. Dort nehmen auch Anhänger der AfD und selbst beinharte Neonazis gerne gelegentlich einen Imbiss zu sich.
Einem ominösen Stadtbild zuliebe diese Orte zu schließen – so weit würde selbst die AfD nicht gehen.
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