Deutschlands Migrationspolitik: Einmal mit Profis

Die Regierung verschärft ihre Asylpolitik immer weiter und die Zustimmung für die AfD steigt. Leute, das ist doch keine gute Strategie.

Eine Demonstrantin mit Schild Keine Abschiebung ist legal während einer Demonstration gegen Abschiebungen anlässlich der Innenministerkonferenz IMK in Potsdam, 20. Juni 2024.

Demonstration gegen Abschiebungen im Juni 2024 in Potsdam Foto: Martin Müller/imago

Lange dachte ich, Politik sei ein Geschäft von Profis. Dass ich also Überzeugungen eines Politikers nicht teilen muss, um anzuerkennen: Diese Forderung verfolgt eine politische Strategie und ist handwerklich gut, auch wenn ich nicht die Zielgruppe bin. So wie ich bei einer Schlagzeile in der Bild-Zeitung mitunter auch nicht sofort denke, dass sie moralisch verwerflich ist, sondern: Das ist eine gute Schlagzeile.

Doch meine Überzeugung, es mit Profis zu tun zu haben, schwindet. Nehmen wir etwa an, man habe kein moralisches Problem mit härterer Migrationspolitik. Sollte man nicht trotzdem ins Grübeln kommen und bei der nächsten Sitzung des Parteivorstands sagen: Leute, das ist keine gute Strategie?

In der Migrationspolitik gibt es nur eine Richtung, man kennt sie von der Band Scooter: schneller, härter, Ampel. Bezahlkarten, gemeinsames europäisches Asylsystem, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, Asylverfahren in Drittstaaten. Das Ergebnis: schlechte Wahlergebnisse, gute für die AfD, Geburtshilfe für das BSW, das strengere Migrationspolitik will. Man kann auch noch in andere Länder schauen, nach Großbritannien etwa, wo voraussichtlich ein Ministerpräsident abgewählt wird, der seinen Bürgern versprochen hat, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern.

Wenn meine Kinder beim Toben mit dem Kopf gegen die Wand rennen, schreien sie. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sie den Fehler ein weiteres Mal machen. Nennt sich Lernen durch Versuch und Irrtum. Die Ampel dagegen reagiert mit der brillanten Analyse, dass es jetzt schneller und härter gehen muss. Das ist entweder strategisch doof. Oder die Regierung handelt aus Überzeugung. Ersteres wäre erschreckend, letzteres gruselig.

Nun plant die Regierung, dass abgeschoben werden soll, wer Terror verherrlicht. Und das, so das erklärte Ziel, auch ohne Verurteilung. Dabei ist es nicht immer einfach, Terrorverherrlichung von freier Meinungsäußerung zu unterscheiden. Wenn zum Beispiel ein Hamburger Bürgermeister behauptet, bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in seiner Stadt habe es „keine Polizeigewalt gegeben“, ist das dann noch eine unwahre Meinungsäußerung oder schon Verharmlosung von Gewalt? Wie gut, dass Olaf Scholz einen deutschen Pass hat!

Wenige Monate nach dem großen Aufstand gegen rechts, summt die Regierung das Sylt-Lied – man muss nur hinhören. Im Februar freute man sich, dass Scholz und sogar ein paar Unioner zu den Demokratiedemos kamen. Am Wochenende sind Proteste gegen den AfD-Parteitag geplant. Dort kann ich auf Vertreter demokratischer Parteien, die ausführen wollen, wovon drinnen geträumt wird, verzichten.

Die Bild bezeichnete die Migrationspolitik in dieser Woche übrigens als „ABSCHIEBE-BLA-BLA“, was eine handwerklich gute Zeile ist. Denn sie fasst kurz und knapp zusammen: All die Ankündigungen sind rechtlich schwer umsetzbar, und wenn, dann Symbolpolitik.

Wie wohltuend es wäre, würde sich Olaf Scholz hinstellen und sagen: Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft und liegt mitten in Europa. Es wird sich nicht ändern, dass viele Menschen zu uns kommen wollen. Wer Ihnen etwas anderes verspricht, der lügt. Auch Abschiebungen werden furchtbare Taten von Einzeltätern nicht verhindern.

Wir können dankbar sein, dass immer noch viele Menschen kommen wollen, wir brauchen sie dringend. Denn nur über Fachkräftezuwanderung kommen nicht genug, dafür ist unsere Sprache zu blöd, unsere Verwaltung zu langsam und viele Mitbürger leider zu rassistisch. Damit das Zusammenleben besser gelingt, brauchen wir dringend massive Investitionen in Integration, Schulen, Wohnraum.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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