Zukunft der Linkspartei: Wer braucht diese Partei?

Der Linkspartei sind ihre sinnstiftenden Erzählungen weggebrochen. Hinzu kommt: Sie weiß nicht, welche Klientel sie eigentlich vertreten will.

Auf einer Wahlveranstaltung hält eine Frau ein Schild hoch auf dem FÜR ALLE, Die Linke steht

Immer weniger Menschen wählen die Linkspartei Foto: Emmanuele Contini/imago-images

Für die Linkspartei ging es bei den vergangenen Wahlen fast immer nur nach unten. Sie ist im Osten, mit Ausnahme Thüringens, zu einer 10-Prozent-Partei geworden. Früher war sie Mehrheitsbeschafferin und ein Machtfaktor, der Ostidentiät verbürgte. Diese Rolle ist ausgespielt. Im Westen spielt sie in den Stadtstaaten eine Rolle, sonst fast nirgends. Das ist die Oberfläche der Krise. Darunter stecken drei ungelöste Fragen, die Kopfschmerzen machen.

Als Frustspeicher für den Osten ist die ressentimentgeladene AfD besser geeignet als die seriöse, oft brave Linkspartei zwischen Schwerin und Zwickau

Der Linkspartei fehlt ein sinnstiftendes Narrativ. Früher gab es zwei selbstverständliche Erzählungen. Die PDS war die Lobbypartei Ost, die Widerstand gegen die Treuhand organisierte. Die Linkspartei war später die Anti-Agenda-2010-Bewegung, die den Verrat der SPD geißelte. Beides sind heute ausgewaschene Muster. Die schrumpfende SPD, die sich zerknirscht von der Agenda-Politik löst, zu attackieren, ist kein abendfüllendes Programm. Und als Frustspeicher Ost ist die ressentimentgeladene AfD besser geeignet als die seriöse, oft brave Linkspartei zwischen Schwerin und Zwickau.

Eher verzweifelt wirkt der Versuch, die Grünen zum Ersatzgegner zu machen. Es ist richtig, den Grünen unter die Nase zu reiben, dass sie ihre sozialen Ziele nie mit der Union erreichen werden. Aber es wirkt unsouverän, am Rand des Abgrunds stehend dem Favoriten, der gerade abhebt, noch ein Häufchen Erde hinterherzuwerfen.

Die Grünen im Chor mit Armin Laschet als Benzinerhöhungspartei zu beschimpfen und gleichzeitig in den klimapolitischen Zielen zu überholen, ist wenig überzeugend. Nun können Parteien auch ohne beflügelnde Erzählung existieren, jedenfalls eine Weile.

Denn Parteien sind immer Apparate, die den Anlass ihrer Gründung überlebt haben. Der SPD wurde schon vor Jahrzehnten bescheinigt, sie habe ihre historische Mission erfolgreich beendet. Die Grünen wurden als Generationenprojekt beerdigt, die FDP als überflüssige Klientelpartei. Insofern ist die akute Erzählschwäche und Sinnkrise der Linkspartei zwar nicht schön. Aber noch nicht lebensbedrohlich – oder nur in Kombination mit anderen Defekten.

Etwa der Frage: Wen vertritt die Linkspartei? Die antirassistischen, woken Ak­ti­vis­tIn­nen in Berlin-Kreuzberg, oder die Krankenpflegerin und den Malocher in der Provinz? Darum tobt ein Kulturkampf, der mit typisch linkem Ernst ausgetragen wird. Linke haben, anders als Konservative, ein intimes Verhältnis zur Wahrheit. Die Linke ist ohne Idee der Menschheitsbefreiung nicht zu denken – leider äußert sich das oft in purer Rechthaberei.

Das Bizarre des Kampfes Normalo gegen Gendersternchen ist nun: Wenn in der Linkspartei eine Fraktion diesen Kampf gewinnt, verliert sie ihn gleichzeitig. Denn wenn die Partei sich nur an Unterprivilegierte wendet und die akademische Jugend aufgibt, geht sie unter. Wenn sie sich vor allem zum Sprachrohr flüchtiger sozialer Bewegungen macht, auch. Black Lives Matter oder Malocher – schon die Frage ist falsch. Übrigens ist die Linkspartei keine Arbeiterpartei. Ihre Mitglieder und WählerInnen sind überdurchschnittlich gut ausgebildet (besser als die der Union) und arbeiten meist als Angestellte.

Partei der Haltelinien

Die dritte Frage: Warum soll man sie wählen? Die Linkspartei ist seit 16 Jahren im Bundestag, aber noch immer unfähig zu sagen, warum sie regieren möchte. Sie spannt „rote Haltelinien“ auf, als wäre Regieren ein tödlicher Abgrund. Die Vernünftigen in der Partei haben nie den Kampf mit den IdeologInnen gewagt. Das rächt sich. Denn auch das Modell „Anti“, die organisatorische Konservierung erkalteten Protestes, hat ein Verfallsdatum. Wer sich, gegen den Willen der eigenen Klientel, jahrzehntelang ziert zu regieren, macht sich überflüssig.

Vielleicht finden sich im Herbst aus Gewohnheit und Anhänglichkeit doch noch genug WählerInnen, um das Schlimmste zu verhindern. Deutsche wählen ja strukturkonservativ. Dass dies die letzte Hoffnung für die Linkspartei ist, die doch sonst vor Veränderungswillen vibriert, ist eine ironische Pointe.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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