Silvester-Ausschreitungen: Knaller mit politischem Zündstoff
Nach Angriffen auf Feuerwehr und Polizei mehren sich Forderungen nach einem Verkaufsverbot von Feuerwerk. Doch Innenministerin Faeser lehnt das ab.
Die Grünen in Berlin, die dortige Gewerkschaft der Polizei (GdP) und Umweltverbände hatten dies im Vorfeld des Jahreswechsels erneut gefordert. Sie verwiesen auf Erfahrungen aus den Pandemiejahren, als der Bund ein solches Verbot erlassen hatte, unter anderem um eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. In der Folge kam es zu deutlich weniger Verletzungen durch Feuerwerkskörper und auch zu weniger Einsätzen der Feuerwehr.
Am Samstag verlief der Silvesterabend jedoch wie vor der Pandemie, vielerorts sogar schlimmer. Nach Angaben von Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kam es zu Dutzenden Angriffen auf Rettungs- und Einsatzkräfte, 15 Beschäftigte der Feuerwehr und 18 der Polizei seien verletzt worden. Ein Feuerwehrmann und ein Polizist kamen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus.
Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse sprach sich Innensenatorin Spranger für eine deutliche Beschränkung privater Feuerwerke und eine Anpassung des bundesweiten Sprengstoffgesetzes aus. „Ich appelliere an die Bundesländer, Initiativen aus Berlin im Bundesrat zu unterstützen, um das Sprengstoffgesetz dahingehend anzupassen, dass jedes Bundesland weitgehende Beschränkungsmöglichkeiten erhält bis hin zum Verbot des privaten Einsatzes von Pyrotechnik“, sagte sie der taz.
Schreckschusspistolen ins Gesicht gehalten
Berlins Feuerwehr teilte mit, man sei von der Masse und Intensität der Angriffe auf die Einsatzkräfte überrascht worden. Kolleg*innen seien Schreckschusspistolen ins Gesicht gehalten worden, auch habe es gezielten Beschuss mit Pyrotechnik während der Löscharbeiten gegeben, sogar zu Plünderung von Einsatzfahrzeugen durch vermummte Personen sei es gekommen. Auch in anderen Städten habe es Angriffe auf Fahrzeuge und Personen gegeben, etwa in Hamburg, wo ein 51-jähriger Beamter aus einer Gruppe heraus einen Schlag auf den Kopf bekam und verletzt ins Krankenhaus gebracht wurde.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lehnt derweil ein generelles Böllerverbot ab. „Das bestehende Recht bietet bereits umfassende Möglichkeiten, um das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände zu verbieten oder auch zu begrenzen“, sagte eine Sprecherin am Montag.
Silvester Milliarden Menschen in aller Welt haben das Jahr 2023 begrüßt. Vom Inselstaat Kiribati bis nach Hawaii lagen sich Tausende Menschen in den Armen, um einander Glück zu wünschen. Es kam jedoch auch zu Krawallen und Böllerunfällen.
In Belgien wurden die Neujahrsfeierlichkeiten von Ausschreitungen überschattet. Allein in der Hauptstadtregion Brüssel nahm die Polizei in der Silvesternacht rund 160 Personen fest, wie die belgische Nachrichtenagentur berichtete. In Antwerpen gab es demnach ebenfalls mehrere Dutzend Festnahmen.
In Österreich kam in der Silvesternacht ein 18-Jähriger bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers ums Leben. Der Mann hatte in St. Johann am Steinfelde rund 100 Kilometer südwestlich von Wien nach Polizeiangaben mit einer sogenannten Kugelbombe hantiert, die zu früh zündete.
In den Niederlanden kam ein 23 Jahre alter Mann beim traditionellen Karbidschießen ums Leben. Der Mann sei nach dem Unfall bei Eindhoven am Samstagnachmittag in eine Klinik geflogen worden, wo er an seinen schweren Verletzungen starb, berichtete die Nachrichtenagentur ANP.
In London sahen mehr als 100.000 Menschen das gigantische Feuerwerk am Riesenrad London Eye, nachdem Big Ben um Mitternacht mit zwölfmaligem Glockenschlag das neue Jahr eingeläutet hatte. In Gedenken an die im September gestorbene Queen wurde das Profil von Elizabeth II. mit Drohnen am Nachthimmel über der britischen Hauptstadt abgebildet. (dpa)
So sei im Umfeld von etwa Kirchen, Krankenhäusern und Altenheimen das Böllern gesetzlich grundsätzlich untersagt, zudem könnten Länder und Kommunen so genannte Böllerverbotszonen einrichten. In Hamburg wie in Berlin wird nun als Konsequenz aus den Vorfällen überlegt, bereits bestehende Verbotszonen auszuweiten.
Laut Faeser zeige das Ausmaß der Gewalt darüber hinaus eine Verrohung, die konsequentes Handeln erfordere. Die Innenministerin verwies darauf, dass die Strafvorschriften zum Schutz von Polizei- und Rettungskräften in den letzten Jahren erheblich verschärft worden seien, es könnten „empfindliche Freiheitsstrafen“ verhängt werden.
Nach Angaben des BMI gibt es noch keinen bundesweiten Überblick zu den Übergriffen und den Tatverdächtigen in der Silvesternacht. Die Sprecherin verwies auf ein Lagebild zu Angriffen auf Polizeivollzugsbeamt*innen im Jahr 2021. Bei den darin knapp 40.000 erfassten Gewalttaten seien von den Tatverdächtigen 84 Prozent männlich, 70 Prozent Deutsche und älter als 25 Jahre alt gewesen.
Auch Politiker*innen von Union und FDP wandten sich gegen ein allgemeines Böllerverbot. Das Verhalten von Kriminellen dürfe nicht bedeuten, „dass auch die vielen friedlich Feiernden einem generellen Feuerwerksverbot unterliegen sollten“, sagte Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, der Rheinischen Post.
Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes dagegen hält ein Böllerverbot zu Silvester für angemessen, um Rettungskräfte vor Gewalt zu schützen. „Dafür können die Kommunen Feuerwerke organisieren“, sagte Feltes dem epd. Zwar würden dann wahrscheinlich immer noch illegal Böller gezündet. Aber wenn die Polizei wisse, es sei verboten, habe sie bessere Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
Auch die Deutsche Umwelthilfe forderte erneut ein absolutes Böllerverbot. Geschäftsführer Jürgen Resch verwies unter anderem auf die Verletzten und die Umweltbelastung durch Feuerwerk.
In Berlin wies Franziska Giffey derweil darauf hin, dass Berlins Innensenatorin im Januar den Vorsitz der Innenministerkonferenz übernehme und zugesagt habe, das Thema dort anzusprechen. „Die Innenminister aller Bundesländer müssen sich darüber beraten, wie man künftig mit dieser Situation umgeht“, so Giffey.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen