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Protest gegen Alice WeidelWas der AfD wirklich nützt

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Das Zentrum für Politische Schönheit stört das ARD-Interview mit Alice Weidel. Das helfe der AfD, sagen Kritiker. Und lenken so vom wahren Problem ab.

Guckt gern böse: Alice Weidel (AfD) beim ARD-Sommerinterview, 20. Juli 2025 Foto: Liesa Johannssen/reuters

E s wäre ein weiteres Sommerinterview auf dem Weg zur Normalisierung einer extrem rechten Partei geworden, aber es kam anders. Wie sonst auch kniff Alice Weidel die Augen zusammen und haute ihren üblichen Bull­shit raus, um die Paranoia ihrer Anhänger zu befeuern und bei jedem Problem nach zwei Sätzen wieder bei den vermeintlich bösen Ausländern zu landen.

Diesmal aber konnte man ihr nicht folgen: Denn im Hintergrund sang ausdauernd ein weihnachtlich klingender Chor „Scheiß AfD“ – laut, feierlich und in Dauerschleife. Weidels rechtsextreme Hetze wurde konterkariert durch den vom Band abgespielten Stör-Chor mit Ohrwurmpotenzial – statt Normalisierung gab es antifaschistische Kommunikationsguerilla. Der Zwischenruf kam vom Zentrum für Politische Schönheit und ihrem Protestmobil, das von der gegenüberliegenden Spreeseite das Interview im Regierungsviertel beschallte.

Natürlich handelt es sich dabei um eine legitime Protestaktion – gegen eine extrem rechte Partei, aber auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, die seit Jahren trotz der fortschreitenden Radikalisierung der AfD ihr weiter eine Plattform bieten, als wäre das normal. Selbst der Verfassungsschutz hat mittlerweile erkannt, dass die AfD rechtsextrem ist – eine gesellschaftliche Entnormalisierung der Partei findet trotzdem nicht statt.

Zugleich gibt es nach der Aktion empörte Stimmen, die kommentieren, die Protestaktion helfe der AfD, weil sie sich so mal wieder in ihrer Opferrolle suhlen kann. Das ist Quatsch – zum einen suhlt sich die AfD ohnehin in ihrer Opferrolle, weil das zur DNA rechtsextremer Parteien und Bewegungen weltweit gehört. Zum anderen wählt doch kein Mensch nun die AfD, weil ein paar Ak­ti­vis­t*in­nen mit einer „Scheiß AfD“-Kakofonie ein ARD-Interview gecrasht haben – ebenso wenig, wie Weidel entzaubert worden wäre, wenn das Gespräch störungsfrei geblieben wäre.

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Denn nicht Gegenproteste helfen der AfD, sondern Konservative, die das Verfassungsgericht beschädigen. Es sind christsoziale Innenminister, die in vorauseilendem Autoritarismus mit islamistischen Taliban verhandeln, um AfD-Positionen und ihren Abschottungswahn umzusetzen. Die Union hat noch immer nicht begriffen, dass rechter Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten willfährig genau die Polarisierung vorantreibt, von der die AfD träumt. Und dass die Union mit ihrem Rechtsschwenk der rechtsextremen Hetze ihr Gütesiegel verleiht.

Wie soll die wehrhafte Demokratie aussehen?

Der rechtsdrehende Kulturstaatsminister Wolfram Weimer will die „Korridore des Sagbaren“ noch mehr weiten, sagt er. Bis wohin eigentlich? Hat eine Gesellschaft, in der Jugendliche edgy „Ausländer raus!“ auf Kirmestechno grölen, nicht genug verbale Beinfreiheit? Darf eine Oppositionsführerin Weidel nicht schon genug verzapfen, wenn sie angesichts von Einbürgerungen im Bundestag von der „Transformation des Staatsvolkes“ spricht und für diesen völkischen Bullshit nicht mal einen Ordnungsruf bekommt? Was gibt es da noch zu weiten?

Und warum gilt das dann nicht gleichermaßen für politische Meinungen links von Julia Klöckner? Was dürfen Linke, ach was, Liberale eigentlich noch sagen? Dürfen sie nicht mehr über Legalisierung von Abtreibungen sprechen, ohne dass die Union gleich den Schmutz des milliardärsfinanzierten Schmierportals Nius übernimmt, um Ver­fas­sungs­rich­te­rin­nen zu verhindern? Dürfen sie noch über die Prüfung des Verbots einer rechtsextremen Partei reden? Darf man noch gegen einen Auftritt einer Rechtsextremistin protestieren? Und wenn jetzt schon harmlose Protestaktionen gegen die AfD skandalisiert werden, wie soll dann diese wehrhafte Demokratie aussehen?

Der Erkenntniswert des Interviews wäre auch ohne Störer gering geblieben: Die proklamierte Mäßigung der Partei ist nicht ernst gemeint (wusste man vorher), der rechtsextreme Kampfbegriff und Dogwhistle „Remigration“ ist fester Teil der AfD-DNA (bekannt), ebenso wie die ewige Opferrolle (gähn).

Das Einzige, was man noch nicht wusste: Alice Weidel kann keine drei Dinge benennen, die sie an Deutschland gut findet. Auch das kein Wunder: Sie lebt in der Schweiz und weiß nicht mal, wie viele Einwohner ihr Wahlkreis hat. Das wiederum weiß man aus einem gut recherchierten Beitrag im ZDF, bei dem Weidel nach ein paar Fragen empört das Interview abbrach – kritischer Journalismus, der dank Kontext und Einordnung viel besser funktioniert als jedes seichte Interview im Sommer-Ambiente.

Bleibt am Ende die Frage: Warum ist es eigentlich Teil des Programmauftrags, einer gesichert rechtsextremen Partei in Herrschaftskulisse ein Podium zu bieten, als wäre das normal? Nichts daran ist normal. Und daran hat das Zentrum für Politische Schönheit mal wieder erinnert. Zu Recht.

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Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
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11 Kommentare

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  • Das die AfD sich so oder so in der Opferrolle suhlt ist richtig - und trotzdem halte ich es für falsch, sie niederzubrüllen.



    Demokratie lebt von Debatte. Wenn wir uns der gleichen Mittel wie die AfD oder ihrer Anhänger bedienen, wo sind wir dann noch besser als sie?



    Ich behaupte nicht, dass man die AfD mit Diskurs zurück auf demokratischen Boden holen kann. Und ich behaupte auch nicht, dass wir ihre überzeugten Wähler mit Worten noch erreichen können. Dennoch haben wir in meinen Augen eine Verpflichtung, nämlich die Fackel der Demokratie hochzuhalten.



    Nicht um der AfD Willen, sondern um den Willen der Demokratie, um den Willen des Miteinander, um den Willen der demokratischen Kultur.



    Mit gutem Beispiel voran, mit Würde voran, mit unerschütterlicher Ausdauer und Hingabe voran.



    Demokratie lebt von Werten. Wir müssen diese Werte verteidigen und leben.



    Haltung statt Niveaulosigkeit.

    • @Saskia Brehn:

      Ich finde den Protest einen legitimen Ausdruck einer Haltung. Und da die Debatte von der Union verweigert wird und sich der AfD sogar noch angedient wird, ist eine öffentlicher Protest umso wichtiger.

  • Nicht-AfD-Wähler würden wegen Weidel dieses Sommerinterview gar nicht einschalten.



    AfD-Wähler sehen sich das nicht an, weil sie die Systemmedien eh nicht gucken.

    Wozu wird dann Rundfunkgebühr für diesen Müll verschwendet?

  • Sich im Vorfeld darüber Gedanken zu machen, ob eine Aktion den Faschisten nützt oder schadet, ist doch eh für die Katz. Die AfD wird es sich sowieso am Ende so zurecht lügen, dass sie in den Augen ihrer Anhänger als Opfer dasteht. Leider springen auch viele Medien auf diesen Zug auf bzw. gehen der AfD auf den Leim.

  • Auf den Punkt gebracht, DANKE!

  • Wenn sie es denn bloß tatsächlich gecrasht hätten…

  • Je mehr man Alice? Weidel zuhört und sie in ihrem Alltag beobachtet, umso klarer wird, dass alles, wirklich alles Manipulation ist und ein Spiel mit den Gefühlen ihrer Zuhörer. Das ist ihre wahre Macht, die sie augenscheinlich ungeheuer genießt. Keines ihrer Worte hat daneben irgendein spezifisches Gewicht oder entspringt wirklich hundertprozentig ihrer Überzeugung. Deshalb ist auch ein Faktencheck etwas schwierig. Es ist, wie wenn man einem Schauspieler seine hundert Rollen vorwirft und meint er solle doch nur den Kommissar spielen. Die richtige Frage wäre eher: Warum sind Sie Schauspielerin geworden und was empfinden Sie, wenn Sie auf der Bühne stehen? Lachen Sie zuhause über Ihr Publikum oder macht es Ihnen Angst?

    • @hedele:

      Uneingeschränkte Zustimmung! Auch ich hege schon lange diesen Verdacht, wie Du ihn äußerst.

      Schaut man sich vor allem die Mimik an, so kann man sehr deutlich erkennen, dass an AW nichts Echtes dran ist. Ich bin fester Überzeugung, dass sie - um in Deinem Bild zu bleiben - von der Bühne abtreten muss, sobald sie ihre Rolle (massenhaftes Eintreiben von Stimmen) zu Ende gespielt hat. Danach treten andere Personen auf den Plan, und einer davon wird Kanzler. Möglicherweise ist ihr dieser Übergangszustand bewusst, weshalb sie auch ihren Wohnsitz in der Schweiz belässt.

  • Vielen Dank für den Kommentar!

  • Meine volle Zustimmung!

  • Wenn eines Tages die AfD an der Macht ist, werden wir uns verwundert die Augen reiben und feststellen, wie harmlos diese "Störaktion" doch eigentlich war und wie sehr Politik und Medien überreagiert haben.

    Im Übrigen ist die Einzige, die beim ARD-Sommerinterview gestört hat: Alice Weidel.