Protest gegen Alice Weidel: Was der AfD wirklich nützt
Das Zentrum für Politische Schönheit stört das ARD-Interview mit Alice Weidel. Das helfe der AfD, sagen Kritiker. Und lenken so vom wahren Problem ab.

E s wäre ein weiteres Sommerinterview auf dem Weg zur Normalisierung einer extrem rechten Partei geworden, aber es kam anders. Wie sonst auch kniff Alice Weidel die Augen zusammen und haute ihren üblichen Bullshit raus, um die Paranoia ihrer Anhänger zu befeuern und bei jedem Problem nach zwei Sätzen wieder bei den vermeintlich bösen Ausländern zu landen.
Diesmal aber konnte man ihr nicht folgen: Denn im Hintergrund sang ausdauernd ein weihnachtlich klingender Chor „Scheiß AfD“ – laut, feierlich und in Dauerschleife. Weidels rechtsextreme Hetze wurde konterkariert durch den vom Band abgespielten Stör-Chor mit Ohrwurmpotenzial – statt Normalisierung gab es antifaschistische Kommunikationsguerilla. Der Zwischenruf kam vom Zentrum für Politische Schönheit und ihrem Protestmobil, das von der gegenüberliegenden Spreeseite das Interview im Regierungsviertel beschallte.
Natürlich handelt es sich dabei um eine legitime Protestaktion – gegen eine extrem rechte Partei, aber auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, die seit Jahren trotz der fortschreitenden Radikalisierung der AfD ihr weiter eine Plattform bieten, als wäre das normal. Selbst der Verfassungsschutz hat mittlerweile erkannt, dass die AfD rechtsextrem ist – eine gesellschaftliche Entnormalisierung der Partei findet trotzdem nicht statt.
Zugleich gibt es nach der Aktion empörte Stimmen, die kommentieren, die Protestaktion helfe der AfD, weil sie sich so mal wieder in ihrer Opferrolle suhlen kann. Das ist Quatsch – zum einen suhlt sich die AfD ohnehin in ihrer Opferrolle, weil das zur DNA rechtsextremer Parteien und Bewegungen weltweit gehört. Zum anderen wählt doch kein Mensch nun die AfD, weil ein paar Aktivist*innen mit einer „Scheiß AfD“-Kakofonie ein ARD-Interview gecrasht haben – ebenso wenig, wie Weidel entzaubert worden wäre, wenn das Gespräch störungsfrei geblieben wäre.

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Denn nicht Gegenproteste helfen der AfD, sondern Konservative, die das Verfassungsgericht beschädigen. Es sind christsoziale Innenminister, die in vorauseilendem Autoritarismus mit islamistischen Taliban verhandeln, um AfD-Positionen und ihren Abschottungswahn umzusetzen. Die Union hat noch immer nicht begriffen, dass rechter Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten willfährig genau die Polarisierung vorantreibt, von der die AfD träumt. Und dass die Union mit ihrem Rechtsschwenk der rechtsextremen Hetze ihr Gütesiegel verleiht.
Wie soll die wehrhafte Demokratie aussehen?
Der rechtsdrehende Kulturstaatsminister Wolfram Weimer will die „Korridore des Sagbaren“ noch mehr weiten, sagt er. Bis wohin eigentlich? Hat eine Gesellschaft, in der Jugendliche edgy „Ausländer raus!“ auf Kirmestechno grölen, nicht genug verbale Beinfreiheit? Darf eine Oppositionsführerin Weidel nicht schon genug verzapfen, wenn sie angesichts von Einbürgerungen im Bundestag von der „Transformation des Staatsvolkes“ spricht und für diesen völkischen Bullshit nicht mal einen Ordnungsruf bekommt? Was gibt es da noch zu weiten?
Und warum gilt das dann nicht gleichermaßen für politische Meinungen links von Julia Klöckner? Was dürfen Linke, ach was, Liberale eigentlich noch sagen? Dürfen sie nicht mehr über Legalisierung von Abtreibungen sprechen, ohne dass die Union gleich den Schmutz des milliardärsfinanzierten Schmierportals Nius übernimmt, um Verfassungsrichterinnen zu verhindern? Dürfen sie noch über die Prüfung des Verbots einer rechtsextremen Partei reden? Darf man noch gegen einen Auftritt einer Rechtsextremistin protestieren? Und wenn jetzt schon harmlose Protestaktionen gegen die AfD skandalisiert werden, wie soll dann diese wehrhafte Demokratie aussehen?
Der Erkenntniswert des Interviews wäre auch ohne Störer gering geblieben: Die proklamierte Mäßigung der Partei ist nicht ernst gemeint (wusste man vorher), der rechtsextreme Kampfbegriff und Dogwhistle „Remigration“ ist fester Teil der AfD-DNA (bekannt), ebenso wie die ewige Opferrolle (gähn).
Das Einzige, was man noch nicht wusste: Alice Weidel kann keine drei Dinge benennen, die sie an Deutschland gut findet. Auch das kein Wunder: Sie lebt in der Schweiz und weiß nicht mal, wie viele Einwohner ihr Wahlkreis hat. Das wiederum weiß man aus einem gut recherchierten Beitrag im ZDF, bei dem Weidel nach ein paar Fragen empört das Interview abbrach – kritischer Journalismus, der dank Kontext und Einordnung viel besser funktioniert als jedes seichte Interview im Sommer-Ambiente.
Bleibt am Ende die Frage: Warum ist es eigentlich Teil des Programmauftrags, einer gesichert rechtsextremen Partei in Herrschaftskulisse ein Podium zu bieten, als wäre das normal? Nichts daran ist normal. Und daran hat das Zentrum für Politische Schönheit mal wieder erinnert. Zu Recht.
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