Paul Schäfer zu „Friedensbewegung“: „Ohne Dialektik geht es nicht“
Aus dem Wagenknecht-Schwarzer-Bündnis wird keine neue Friedensbewegung, glaubt der Linke Paul Schäfer. Waffen und Diplomatie seien kein Widerspruch.
taz: Herr Schäfer, war die Kundgebung am Samstag der „Startschuss für eine neue starke Friedensbewegung“, wie Sahra Wagenknecht meint?
Paul Schäfer: Nein. Diese Mischung von Links- und Rechtspopulisten, Querdenkern und Schwurblern ist jedenfalls nicht die Friedensbewegung, die ich mir vorstelle. Sie führt Menschen und Gruppierungen zusammen, die nicht unbedingt zusammengehören. Die tragfähige Basis einer neuen Bewegung war da nicht zu erkennen. Allerdings hat das Manifest erheblichen Widerhall gefunden.
Woher rührt diese Resonanz?
Viele haben Angst vor der Eskalation des Krieges. Diese Sorge muss man ernst nehmen. Und es gibt großen Unmut, dass in Medien oft nur über Kriegsszenarien und Waffen geredet wird. Wer Diplomatie anmahnt, wird schnell moralisch niedergemacht. Das stört viele – und das ist verständlich. Manche, die jahrzehntelang Pazifisten waren, sind abrupt zu Militärexperten konvertiert.
In der zerstrittenen Linkspartei hat die Demonstration vom Samstag wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Amira Mohamed Ali, Chefin der Linksfraktion, twitterte begeistert: „Wow! Zehntausende waren heute bei der Friedensdemo dabei. Vielen Dank an alle Teilnehmenden für dieses kraftvolle Signal für Friedensverhandlungen und gegen Waffenlieferungen!“ Die Vize-Parteichefin Katina Schubert sagte der Süddeutschen: „Da war nix wow.“ Vielmehr habe die Demo, zu der Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer aufgerufen hatte, die „Befürchtung bestätigt: Wer einen Aufruf startet, der querfronttauglich ist, erntet Querfront“. Bei der Demo waren auch Teilnehmer aus dem rechten Milieu anwesend. Der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke machte Propaganda in eigener Sache und forderte Wagenknecht zum Eintritt in die AfD auf. Eine Gruppe um Wagenknecht überlegt seit Längerem, ob sie eine neue Partei gründet. Diese Debatte dürfte wieder an Fahrt aufnehmen. (SR)
Alice Schwarzer und Wagenknecht fordern: sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen. Was ist daran falsch?
Angesichts der Eskalationsrisiken scheint es das Vernünftigste zu sein, wenn sich die Akteure des Krieges zusammensetzen und verhandeln. Aber das ist wohlfeil. Denn die Ursache des Krieges und dass die Eskalation von russischer Seite ausgeht, wird dabei einfach überspielt. Das ist inakzeptabel. Eine neue Friedensbewegung kann nur auf der Basis des Völkerrechts und der Empathie mit den Angegriffenen agieren. Davon war bei den Reden am Samstag wenig bis nichts zu spüren. Ich halte eine neue Friedensbewegung für nötig. Aber nicht so.
Also nur Waffenlieferung, keine Verhandlungen?
Solange die russische Seite auf den eroberten Gebieten beharrt, kann es keinen halbwegs gerechten Frieden geben. Deshalb muss Putin erst militärisch klargemacht werden, dass er damit nicht durchkommt. Gleichzeitig teile ich den Zweifel, dass die Ukraine auch mit moderner westlicher Militärtechnik nicht in der Lage sei wird, einen vollständigen militärischen Sieg zu erreichen. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Verhandlungen erst beginnen werden, wenn das russische Regime verstanden hat, dass es seinem Kriegsziel auf dem Schlachtfeld nicht näherkommt. Für diesen Verhandlungsprozess muss man die ukrainische Position stärken. Damit sie möglichst viele ihrer Ziele auf der Basis des Völkerrechts durchsetzen kann.
Bedeutet das keinen Abnutzungskrieg, der endlos weitergeht?
Das ist eine berechtigte Frage, die niemand beantworten kann. Wahrscheinlich wird auch die Ukraine kalkulieren müssen, wann Kompromisse einem völlig verwüsteten Land vorzuziehen sind.
Die westlichen Sanktionen haben die russische Wirtschaft bisher nicht massiv geschädigt. Das Putin-Regime stellt sich auf einen langen Krieg ein und rechnet damit, dass der dekadente Westen in ein paar Jahren keine Lust mehr hat, diesen Krieg weiter zu finanzieren.
Dieses düstere Szenario ist leider wahrscheinlich. In Putins Reden klingt ja diese Mischung an aus Paranoia: „Wir sind das Opfer des Westens“ und Größenwahn: „Wir werden den impotenten, dekadenten Westen on the long run bezwingen.“ Die Idee, mit Sanktionen Russland kriegsuntauglich zu machen, war von vornherein illusionär. Sanktionen wirken nur langfristig. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft hat in Russland offenbar funktioniert. Trotz aller Mängel an Kriegskunst und militärischer Führung verfügt Russland über große Reserven an Soldaten und funktionierende Waffenfabriken. Russland verkauft Erdöl und Erdgas an China und Indien und geht nicht bankrott.
Ist es trotzdem richtig, an den Sanktionen festzuhalten?
Ja, schon um Russland von Hightech-Militärtechnik abzuschneiden. Die Sanktionen sind eine Botschaft an die Bevölkerung und die Elite in Russland. Russland ist schon seit den 90er Jahren auf einen semiperipheren Status zurückgeworfen. Die Sanktionen werden Russland weiter um Jahrzehnte zurückwerfen. Sie stellen also, auch an die Oligarchen, eine Frage: Wollt ihr wirklich eure Chancen für die Zukunft für diesen Krieg verspielen?
Manche EU-Länder liefern noch immer Dual-Use-Güter an Russland, die auch militärisch einsetzbar sind. Ist das Sanktionsregime konsequent genug?
Nein, ist es nicht. Schon die Sanktionen gegen Oligarchen und Firmen waren von Anfang an löchrig. Viele wurden nicht erfasst. Die Sanktionsschraube wurde sehr behutsam angezogen, meist aus Sonderinteressen einzelner Staaten.
Ein Einwand gegen Verhandlungen lautet: Es gibt für Putin keinen Weg mehr zurück zur Diplomatie.
Putin hat sein Schicksal praktisch mit den Annexionen verknüpft und den Konflikt damit extrem eskaliert. Er müsste nun bei einem Friedensschluss „russische Erde“ weggeben. Das ist schwer vorstellbar. Aber die kommenden Kalküle sind offen. Das ist eine Glaskugel. Wir sollten aber darauf achten, Russland Angebote für die Zeit nach dem Krieg zu machen. Die vermisse ich. Wer über eine mögliche Aufhebung von Sanktionen und künftige Kooperationsbeziehungen redet, wird schnell diffamiert. Es ist unklug, sogar die russische Kultur zu verbannen oder das Signal an die russische Gesellschaft zu senden, man wolle Russland ruinieren. Dadurch bringt man sie nicht in Widerspruch zu Putin, was nötig wäre. Das ist politisch extrem töricht, wenn man Verhandlungen und Frieden anstrebt.
China hat jetzt einen Friedensplan vorgelegt. Was bedeutet der?
Dieser Friedensplan ist unkonkret und mit Vorsicht zu genießen. Teile der Nato haben den Plan aber sofort als Show abgelehnt. Das ist nicht weitblickend. Klüger wäre es, diese Initiative aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Punkt eins des chinesischen Plans ist die Anerkennung der territorialen Souveränität. Dieser Punkt wurde in russischen Medien sehr klein geschrieben. Damit aber gibt es einen Anknüpfungspunkt, den man nutzen sollte. China hatte bisher die Position: Wir unterstützen Moskau, der Rest geht uns nicht viel an. Mit dem Friedensplan hat Peking sich nun aus dem Fenster gelehnt. Das ist positiv.
74, ist Verteidigungsexperte. Er war von 2005 bis 2013 für die Linke im Bundestag und ist in der „Progressiven Linken“ aktiv, einem Konterpart zu Wagenknechts Linkskonservatismus.
Putin hat mit dem Einsatz von Nuklearwaffen in der Ukraine gedroht. Wie groß ist die Gefahr, dass er Ernst macht?
China und Indien haben Russland die Konsequenzen eines Einsatzes taktischer Atomwaffen klargemacht: Moskau wäre danach völlig isoliert. Damit haben sie dem Einsatz solcher Waffen einen gewissen Riegel vorgeschoben. Obwohl das atomare Szenario also unwahrscheinlicher geworden ist, sollte man die Bedenken jedoch nicht vom Tisch wischen. Ich bin besorgt über die Sorglosigkeit mancher Politiker. Denn nicht zu unterschätzen ist die Möglichkeit einer Verzweiflungstat, als Waffe der letzten Instanz, wenn der Krieg aus russischer Sicht verlorengeht. Auch deshalb ist die scharfe Rhetorik aus dem Westen, man wolle Moskau in den Staub werfen, hoch problematisch.
Wenn Schwarzer und Wagenknecht keine brauchbare neue Friedensbewegung sind – wo soll die herkommen?
Die Antwort darauf fällt schwer. Eine progressive Linke wird neu darüber nachdenken müssen.
Wie müssen sich die progressive Linke und die Friedensbewegung positionieren?
Der Ausgangspunkt muss die Solidarität mit der Ukraine und die Bekämpfung des russischen Angriffskrieges sein. Das schließt aus meiner Sicht ein, der Ukraine nötige Waffen zu liefern. Mir hat zum Beispiel nicht eingeleuchtet, warum Deutschland nicht früher Raketenabwehrsysteme an Kiew geliefert hat. Aber es sollte Distanz zu Scharfmachern wie Hofreiter und Strack-Zimmermann gewahrt werden. Die Friedensbewegung muss klarmachen, dass es rote Linien bei Waffenlieferungen an Kiew gibt – bei Raketen mit großer Reichweite, die russisches Gebiet treffen können, und bei Waffen, die wie Streumunition völkerrechtlich geahndet sind, sowieso.
Das klingt kompliziert …
Eine Friedensbewegung muss eben beides tun – sowohl für Diplomatie werben als auch für konsequente Sanktionen. Trotz der nötigen Waffenlieferung an die Ukraine bleibt es richtig, grundsätzlich eine restriktive Rüstungsexportpolitik zu fordern. Auch muss eine Politik kritisiert werden, die jetzt so tut, als sei das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung im Zuge einer neuen globalen Konfrontation vom Tisch. Das finde ich fatal. Wir brauchen globale Kooperation, keine Blockbildung des Westens gegen China. Nur damit bekommen wir die atomare Gefahr und die Klimakatastrophe in den Griff. Einerseits handfeste Unterstützung der Ukraine – andererseits mehr Kooperation im Rahmen der UNO. Die Friedensbewegung muss lernen, mit diesem Widerspruch umzugehen. Ohne Dialektik geht es nicht.
Warum fällt es der Linkspartei so schwer, einen Umgang mit diesem Krieg zu finden?
Es stimmt, dass sich die Linke schwertut, sich dazu zu positionieren. Das liegt zum einen daran, dass sie aus der noblen pazifistischen Tradition kommt, die sie sich bis heute auf ihre Fahnen geschrieben hat – was gut ist. Aber es gibt konkrete Konfliktlagen, wo eine rein pazifistische Position keine unmittelbare Antwort geben kann. Mit diesem Dilemma muss man als Pazifist umgehen und Abwägungen vornehmen. Auch Nichthandeln kann schuldig machen. Und expansiver Gewalt muss man in Grenzsituationen wirksam entgegentreten – um Schlimmeres zu verhüten. Darüber muss weiter diskutiert werden. Aber es gibt in der Linken auch negative Traditionen: Da ist die Verklärung Russlands, die in einem nostalgischen Verhältnis zur Sowjetunion und der Oktoberrevolution begründet ist. Zum anderen besteht bei einigen die ideologische Fixierung auf den alten wie falschen geopolitischen Leitgedanken, dass der Feind meines Feindes mein Freund sei. Eine Art altertümlicher Antiimperialismus, bei dem die Menschen und ihre Grundrechte auf der Strecke bleiben.
Wie spalterisch ist der Ukrainekrieg für die Linkspartei?
Die Ausgangslage ist schwierig. Es gibt bei manchen die fatale Hoffnung auf eine neue populistische und nationalkonservative Plattform als Rettungsanker, mit der sich die „Massen“ erreichen ließen. Das ist das Modell Wagenknecht. Aber erstens glaube ich nicht an diesen Rettungsanker, und zweitens würde mir eine solche Partei, die auch Teile der AfD aufsaugt, Angst machen. Auf jeden Fall wäre sie nicht meine. Aber in den letzten Jahren sind viele jüngere Mitglieder in die Partei gekommen, sie sind auch im Parteivorstand gut vertreten. Für die ist es gar keine Frage, den russischen Angriffskrieg unmissverständlich abzulehnen und solidarisch mit der Ukraine zu sein. Und sie stehen für eine progressive Linke. Das macht mir Mut.
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