Neuer offener Brief zu Russlands Krieg: Gutes Zureden reicht nicht
Intellektuelle versuchen erneut, die Debatte um Russlands Krieg gegen die Ukraine zu bereichern. Impulse sind nötig. Doch der Brief liefert sie nicht.
J uli Zeh, Harald Welzer und Co hatten eigentlich Gelegenheit, ihre Argumente zu schärfen. Nachdem 26 Intellektuelle und anderweitig Prominente im April einen offenen Brief in der Emma veröffentlicht hatten, nachdem sie den Bundeskanzler darin aufforderten, den Krieg in der Ukraine durch die Einstellung deutscher Waffenlieferungen zu beenden, absolvierten sie einen Marathon von Interviews und Talkshow-Auftritten.
Die Fragen waren überwiegend kritisch, die Leerstellen in der Argumentation wurden offenbar: Die Briefschreiber*innen forderten einen „Kompromiss, den beiden Seiten akzeptieren können“ – konnten selbst aber nicht mal ansatzweise benennen, wie so ein Kompromiss oder zumindest der Weg dorthin denn aussehen könnten.
Genau zwei Monate später veröffentlichten Zeh, Welzer und 19 andere Autor*innen jetzt den nächsten Text – in etwas anderer Zusammensetzung, in der Zeit statt in der Emma und offensichtlich mit mehr Mühe redigiert. Der Appell („Waffenstillstand jetzt!“) beschränkt sich nicht auf reines Recycling, wie es in Social-Media-Reaktionen gewohnt hämisch heißt. Ein paar neue Gedanken sind in den neun Wochen zwischen beiden Veröffentlichungen durchaus dazugekommen. Da wäre zum Beispiel die Forderung, der Westen müsse Bereitschaft zeigen, „die Bedingungen einer Waffenruhe sowie die Ergebnisse von Friedensverhandlungen international abzusichern“.
Der Satz bleibt im Ungefähren stehen, konsequent zu Ende gedacht könnte er aber auf westliche Truppen als Sicherheitsgarantie für die Ukraine hinauslaufen; so wie es offenbar die G7 gerade erst in Elmau besprochen haben (Genaueres dazu wollte Olaf Scholz öffentlich bekanntlich nicht sagen, obgleich er es hätte können). Damit robben sich die Autor*innen endlich an eine der zentralen Fragen heran, die ein überzeugender Vorschlag zu einer Verhandlungslösung beantworten müsste. Neben Territorialfragen geht es schließlich darum, wie die Ukraine langfristig ihre Souveränität und Verteidigungsfähigkeit bewahren könnte.
Weniger Aufmerksamkeit für realistischeres Gutachten
Vor der Frage, wie ein Kompromiss abgesichert wird, steht aber immer noch die Frage, wie man ihn erreicht, und da überzeugt auch der neue Appell nicht. „Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben“, schreiben die Autor*innen zwar, setzen aber rein auf eine „diplomatische Großoffensive“, um stattdessen zu einer Verhandlungslösung zu kommen – als ob gutes Zureden plötzlich reichen würde, um eine Verhaltensänderung des Kreml zu erwirken.
Realistischer denken da die Autor*innen des vergangene Woche veröffentlichten Friedensgutachtens 2022. Die großen deutschen Institute der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen sich darin ebenfalls mit der Frage, wie der Krieg enden könnte. Ausufernden Waffenlieferungen gegenüber sind auch sie kritisch. Auf eine „militärische Niederlage Russlands“ setzen sie nicht, eine Verhandlungslösung fordern sie ebenfalls.
Allerdings heißt es in dem Gutachten auch: „Zu substantiellen Verhandlungen wird Putin erst dann bereit sein, wenn er einsieht, dass er durch Diplomatie mehr erreichen kann als durch Krieg.“ Daher müsse der Westen die Kosten des Krieges für Russland weiter hochtreiben, auch durch weitere Sanktionen und Waffen.
Eine ähnliche Aufmerksamkeit wie die wiederholten offenen Briefe erhielt das Friedensgutachten nicht. Schade eigentlich: Die Diskussion darüber, wie der Krieg enden könnte und was das strategische Ziel der westlichen Unterstützung ist, könnte ja tatsächlich neue Impulse vertragen. Das neue Stückwerk in der Zeit hat dazu aber wenig beizutragen. Vielleicht klappt es ja in zwei Monaten besser. Dann folgt sicherlich der nächste Versuch.
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