Nach Parteiaustritten der Grünen Jugend: Gegen die Verzweiflung

Dass der Vorstand der Grünen Jugend eine neue Bewegung gründen will, ist der richtige Schritt. Und eine neue linke Partei unsere einzige Hoffnung.

Eine junge Frau schläft auf dem Tisch neben ihrem Laptop

Im Traum erscheint die Hoffnung auf eine bessere, linke Politik Foto: Weihrauch/picture alliance/dpa

Stellen Sie sich vor, am Sonntag wäre Bundestagswahl, wen würden Sie wählen? Hätte ich früher noch eine Antwort auf diese Frage gehabt, möchte ich mich heute in meinem Bett verkriechen und mir die Decke über den Kopf ziehen. Denn schon seit Langem treibt mich das Gefühl um, dass es für mich als linke Person keine Partei mehr auf dem Wahlzettel gibt.

Dabei sind meine Anforderungen nicht besonders hoch. Ich möchte lediglich eine Partei, die Gerechtigkeit und Solidarität in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt: bei der Asyl- und Migrationspolitik genauso wie beim Thema Wohnen und Klimaschutz sowie bei der Auslands- und Geschlechterpolitik. Einfach eine antifaschistische und feministische Partei, die sich nicht von rechten Debatten und Parteien vor sich hertreiben lässt. Dass Wählen immer auch bedeutet, Kompromisse einzugehen, ist mir klar. Doch selbst mit Bauchschmerzen wüsste ich nicht, wo ich mein Kreuz bei der nächsten Wahl setzen soll.

Deswegen hat mich die Ankündigung des Vorstands der Grünen Jugend, nicht erneut zur Wahl anzutreten und geschlossen aus der Partei auszutreten, mit Hoffnung erfüllt. Denn sie haben die Schnauze voll, dass die Grünen nicht bereit sind, sich mit den „Reichen und Mächtigen anzulegen“ sowie die soziale Frage und damit die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen. Anstatt dass die Jugendorganisation immer weiter mit der Mutterpartei auseinanderdriftet, wollen die Ausgetretenen eine neue linke Jugendorganisation gründen. Mit dem Ziel, dass es bald eine starke, linke Partei in Deutschland geben könne.

Nicht nur von Parteikolleg_innen gibt es Kritik an diesem Schritt. Spalterisch sei ihr Rückzug, sie sollten doch lieber innerhalb der Grünen für eine neue Politik kämpfen. Doch die Entscheidung von Svenja Appuhn, Katharina Stolla und den acht restlichen Vorstandsmitgliedern lässt sich nicht nur auf individueller Ebene gut nachvollziehen.

Nachts von Merz träumen

Die Forderungen und politischen Vorstellungen der Jugendorganisation sind schon seit Längerem nicht mehr mit einer Partei zusammenzubringen, die nachts heimlich davon träumt, mit Friedrich Merz (CDU) zu koalieren. Doch auch politisch leuchtet der Schritt ein. Denn die Lücke im Parteiensystem, also das Fehlen einer linken klimabewussten Partei, wird vielen tagtäglich schmerzlich bewusst.

In Gesprächen mit Freund_innen, Familie und Kolleg_innen merke ich, dass viele eine tiefe Verzweiflung spüren. Sie fragen sich: Wo ist die Partei, die dafür kämpft, dass wir uns unsere Mieten leisten und von unserem Lohn leben können? Die Menschen nicht an den europäischen Außengrenzen ertrinken lässt und sie hier vor Ort nicht einfach den Rassist_innen überlässt? Die echten Klimaschutz voranbringen möchte – und das nicht auf dem Nacken derer, die sich ohnehin kaum noch etwas leisten können?

Ob die Verzweifelten genügend Menschen sind, um eine neue Partei über die Fünfprozenthürde zu hieven, weiß ich nicht. Doch das sollte auch nicht die erste Frage sein. Denn das Fehlen einer echten linken Partei, die laut und stark ist, ist so eklatant, dass es nicht zu versuchen, keine Option mehr ist. Auch deswegen, weil die fehlende Wahlmöglichkeit ein Aspekt ist, der vor allem jüngere Wähler_innen, die Angst vor der Zukunft haben oder frustriert von der Politik sind, in die Arme der Rechten, Rechtsextremen und Populist_innen treibt.

So ein Wahlverhalten ist in keiner Weise zu entschuldigen. Sie alle haben sich als Wahlberechtigte dazu entschieden, ihr Kreuz bei Parteien mit menschenverachtenden Politiken zu setzen. Doch auch sie haben ein besseres Wahlangebot verdient. Und vor allem ist es nur fair, allen, die dem Rechtsruck etwas entgegensetzen wollen, eine echte Alternative zu bieten.

Die einzige Hoffnung

Ob es „Zeit für was Neues 2024“, wie sich das neue Projekt vom zurückgetretenen Vorstand der Grünen Jugend bislang nennt, zeitnah gelingen wird, eine starke linke Partei aufzubauen, ist fraglich. Neue politische Kräfte im deutschen Parteiensystem zu etablieren, ist zweifelsohne schwierig.

Doch in einer Parteienwelt, in der sich aktuell alles um Personaldiskussionen und einen Überbietungswettbewerb der Abschiebepläne dreht, ist eine neue linke Partei unsere einzige Hoffnung.

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Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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