Kommentar Wagenknecht und Lafontaine: Rechte Fantasien auf links gedreht
Die einen in der Partei versuchen die Debatte um Flucht und Migration zu versachlichen. Lafontaine dagegen spielt wieder die populistische Karte aus.
D ie innerparteiliche Debatte der Linken um Migrations- und Asylpolitik nimmt kein Ende. Erneut stellen sich die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht und der Vorsitzende der saarländischen Landtagsfraktion, Oskar Lafontaine, öffentlich gegen die bisherige Parteilinie einer Politik offener Grenzen und besonders geförderter Integration von nach Deutschland Zuwandernden.
Vor allem Lafontaine spielt wieder die populistische Karte aus und scheut nicht davor zurück, aus der Luft gegriffene Zahlen einzustreuen. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) äußert er: „Da eine Gesellschaft ebenso wie jeder einzelne Mensch nur in begrenztem Umfang helfen kann, kommt auch die Linke an einer Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nicht vorbei. Bleiberecht und 1050 Euro für alle, die zu uns kommen, sind wirklichkeitsfremd.“
Dass es ihm und auch Wagenknecht mit ihren Beiträgen wohl nicht um eine konstruktive Ausarbeitung der Parteiposition geht, um eine Diskussion praktischer Implementierung erster Schritte hin zur Verwirklichung einer politischen Vision, liegt auf der Hand. Schließlich gibt es seit Anfang des Jahres ein Arbeitspapier mehrerer Landtagsfraktionen, in dem mögliche Anforderungen an ein linkes Einwanderungsgesetz dargestellt werden. Wagenknecht wischt das Konzept in einem Interview mit der Welt einfach als „unseriös“ vom Tisch.
Sicherlich hat dieses Papier Leerstellen und stellt zum Teil wenig realistische Forderungen auf. Die AutorInnen laden aber unmissverständlich zum Gespräch darüber ein, wie die Utopie einer humanistischen und solidarischen Gesellschaft ein Fundament bekommen kann. Warum nun Wagenknecht ihren Plan, Waffenexporte in Krisengebiete und die Ausplünderung ärmerer Länder einzustellen, überhaupt als konkurrierende Idee und nicht als notwendigen Teil eine nachhaltigen Migrationspolitik darstellt, bleibt unklar.
„Bewegung“ statt demokratische Debatte
Weshalb ihre Forderungen nun „seriöser“, weniger „wirklichkeitsfremd“ oder in einem irgendwie überschaubareren Zeitrahmen umsetzbar sein sollen als die in dem Fraktionspapier vorgeschlagene Eingliederung von AsylbewerberInnen, Flüchtlingen und ArbeitsmigrantInnen in das deutsche Sozialsystem, erläutert Wagenknecht ebenfalls nicht.
Es bemühen sich also FunktionsträgerInnen und BasisvertreterInnen der Linken auf der einen Seite, die von rassistischen Ressentiments und nationalistischer Hysterie vergiftete Debatte um Flucht und Migration zu versachlichen und damit überhaupt öffentlichen Raum für möglicherweise drängendere Fragen zu schaffen, wie zum Beispiel eine sozialere Politik für ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen.
Auf der anderen Seite glauben unter anderem Lafontaine und Wagenknecht offenbar weiterhin – bar jeder Evidenz –, dass sie rechte Abschottungsfantasien gewissermaßen auf links drehen und damit ein signifikantes WählerInnenpotentiel erreichen könnten.
Lafontaine belässt es nicht dabei, den inhaltlich-propagandistischen Dissens deutlich zu machen, er denkt anscheinend schon an den nächsten Schritt, folgt die Partei nicht seinem Konzept eines „linken“ Populismus. So sagt er in dem RND-Interview auch: „Wir brauchen eine neue Sammlungsbewegung der politischen Linken. In Frankreich kann man beobachten, wie neue politische Bewegungen wie „La France insoumise“ und „La République en marche“ versuchen, das erstarrte Parteiensystem zu überwinden.“
Ego ist kein linkes Programm
Dass nun ausgerechnet auf einzelne Führungspersonen zugeschnittene politische Strukturen wie Macrons und Melenchons Wahlvereine Vorbild für eine neue Linke sein sollen, ergänzt passgenau den Unwillen, sich mit so lästigem Kleinkram wie der Debatte um konkrete Lösungsvorschläge, zum Beispiel in der Migrationspolitik, beschäftigen zu müssen.
Überlebensgroße Hologramme uneingeschränkter Führungspersonen die bejubelte Marktplatzreden halten, haben gewiss viel mehr Sexappeal als langwierige Arbeitsgruppen in einer engagierten Mitgliederpartei. Das Ego einzelner Personen aber kann nicht zum Programm einer Linken, ob nun alt oder neu, taugen.
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