Klimaaktivismus und Rechtsbruch: Legitime Gesetzesverstöße
Der Letzten Generation wird vorgeworfen, ihre Straßenblockaden in Berlin seien Straftaten. Dabei sind sie es, die gegen Rechtsbruch demonstrieren.
Auch aus der Regierung waren die Töne zuletzt rauer geworden. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) warfen den Aktivist:innen vor, Straftaten zu begehen, und forderten schnellere Verfahren und höhere Strafen. Spranger redete sogar von Erpressung und erklärte, „mit den gesamten uns zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln“ gegen die Letzte Generation vorzugehen. Angeheizt wurde diese Rhetorik unter anderem durch Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP, der kritisierte, in Berlin würden als „en vogue“ angesehene Straftaten nicht konsequent verfolgt, und das Land als „Wohlfühlbiotop für Straßenblockierer“ bezeichnete.
Das alles zeigt: Wird die Law-and-Order-Fraktion mit zivilem Ungehorsam konfrontiert, weiß sie nach wie vor nichts anderes zu tun, als mit schärferer staatlicher Repression zu reagieren. Stets wird dabei bekräftigt, dass Klimaprotest ja grundsätzlich gerechtfertigt sei, dies aber nichts daran ändere, dass Straftaten begangen würden – und diese müssten schließlich bestraft werden. Nach dieser Auffassung kann es grundsätzlich keinen moralisch gerechtfertigten Rechtsbruch geben, weil das Recht für wichtiger als die Gerechtigkeit gehalten wird. Es ist die Geisteshaltung der engstirnigen Staatsdiener:innen und der ewigen Mitläufer:innen.
Verfechter:innen des zivilen Ungehorsams haben sich stets gegen solche Auffassungen aufgelehnt. Der Anti-Sklaverei-Aktivist Henry David Thoreau kritisierte 1848, dass „die Mehrzahl der Menschen dem Staat nicht als Menschen, sondern als Maschinen“ dienten. Für den Fall, dass das Befolgen von Gesetzen einen selbst in Unrecht verstricke, empfahl Thoreau: „Brich das Gesetz. Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine aufzuhalten.“ Dass es kein Recht auf blinden Gehorsam gibt, verdeutlicht auch der Satz Hannah Arendts: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“
Selbst für einen liberalen Theoretiker wie John Rawls, dem wohl kaum Radikalität vorgeworfen werden kann, konnte der gezielte und öffentliche Gesetzesbruch ein legitimes Mittel darstellen, um auf ein verdrängtes Thema hinzuweisen. Es ist deshalb Unsinn, den Aktivisten der Letzten Generation vorzuwerfen, sie seien Straftäter – denn ohne den Regelbruch wäre ziviler Ungehorsam einfach nur Gehorsam. Statt über Gesetzesbrüche sollte darüber debattiert werden, ob der Ungehorsam der Letzten Generation gerechtfertigt ist. Diese Debatte wird aber kaum geführt.
Warum nicht? Ein Grund ist wohl, dass wir in einer „Verdrängungsgesellschaft“ leben, wie der Klimaaktivist Tadzio Müller sagt. Wir wollen nicht hören, dass die Vereinten Nationen ein „globales Kollapsszenario“ für realistisch halten. Wir ignorieren bestmöglich, dass das das Erdklima auf unumkehrbare Kipppunkte zurast – und dass inmitten dieser Krise die FDP in der Nordsee nach Öl bohren und die Ampel Flüssiggasterminals bauen will. Erst recht versuchen wir zu ignorieren, dass dies alles dem Interesse weniger Konzerne entspricht.
Es ist dieses „Wissen, aber nicht wahrhaben wollen“, das die Letzte Generation durchbrechen will. Ihre Blockaden sind der Versuch, Autofahrer:innen zu einer Konfrontation mit der Klimakrise zu zwingen. Das nervt natürlich. Es soll nerven. Denn es ist Sinn und Zweck von zivilem Ungehorsam, die Scheinnormalität zu stören und die versteckten Spannungen einer Gesellschaft an die Oberfläche zu bringen, wo sie nicht mehr ignoriert werden können. Ziviler Ungehorsam soll „eine solche Krise schaffen und eine so kreative Spannung aufbauen, dass eine Gemeinschaft gezwungen ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“, schrieb Martin Luther King.
Im Universum des zivilen Ungehorsams agiert die Letzte Generation sogar ziemlich moderat. Ihre Aktionen finden öffentlich statt, die Aktivist:innen kündigen sie mit Klarnamen und Videoaufnahmen von sich an, sie widersetzen sich nicht ihrer Verhaftung und akzeptieren alle Strafen, die gegen sie verhängt werden. Dass sie gegen den Rechtsstaat seien, wie die Polizeigewerkschaft insinuiert, stimmt also nicht. Im Gegenteil: Ihre Kritik richtet sich gegen den Bruch der Bundesregierung mit dem Pariser Klimaabkommen. Das staatliche Versagen in der Klimakrise sieht die Letzte Generation als Verfassungsbruch, auf den sie mit dem Mittel des Rechtsbruchs hinweist.
Mit Rawls lässt sich sagen: Die Aktivist:innen betreiben eine Form des zivilen Ungehorsams, die letztlich auf eine Stärkung des Staates aus ist. Dass die Letzte Generation Autofahrer:innen blockiert, zeigt ja, dass die Aktivist:innen immer noch glauben, dass diese in Klimafragen etwas zu melden haben. In Bezug auf ihren klimaschädlichen Lebensstil stimmt das ja auch. Politisch ist es aber fragwürdig, weil kapitalistische Staaten sich zumeist auch dann nicht gegen fossile Profitinteressen stellen, wenn es dafür demokratische Mehrheiten gibt.
Der staatskonforme zivile Ungehorsam der Letzten Generation ist nicht selbstverständlich. Mit Gruppen wie Ende Gelände stehen längst radikalere Ansätze im Raum, die zivilen Ungehorsam mit dem Ziel einer Revolution des politischen und wirtschaftlichen Systems betreiben. Das sollten Giffey, Spranger und die GdP bedenken, wenn sie die Aktivist:innen der Letzten Generation diskreditieren. Denn reden sie nicht mit ihnen, werden sie sich mit Gruppen auseinandersetzen müssen, die Klimaschutz nur noch gegen staatliche Institutionen durchzusetzen versuchen.
Giffey und Co. könnte dann nur noch entgegnet werden, was Thoreau einem Steuereintreiber sagte, der ihm Geld für einen Krieg im Interesse der sklavenhaltenden Großgrundbesitzer abknöpfen wollte: „Wenn du wirklich etwas tun willst, dann gib dein Amt auf.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid