Jungpolitiker*innen über Zukunft: Was können wir uns noch leisten?
Renten, Schuldenbremse, Klima – wie gerecht geht es zwischen den Generationen zu? Jungpolitiker*innen von SPD, CDU und Grünen im Streitgespräch.
Pünktlich und beinahe gleichzeitig treffen alle drei bei der taz ein: Svenja Appuhn von der Grünen Jugend ist mit dem Rad gekommen, Juso-Chef Philipp Türmer zu Fuß und Johannes Winkel von der Jungen Union per Bahn aus Düsseldorf. Gemeinsam wollen sie über das Thema Generationengerechtigkeit diskutieren.
Philipp Türmer
28, ist seit November 2023 Vorsitzender der Jungsozialisten, kurz Jusos. Er ist im hessischen Offenbach aufgewachsen, der Vater Beamter im Finanzministerium, die Mutter Oberstaatsanwältin – „meine Ausgangslage war gut“, sagt er. Türmer hat in Frankfurt am Main Wirtschaftswissenschaften und Jura studiert. Derzeit sitzt er an seiner juristischen Doktorarbeit.
wochentaz: Frau Appuhn, Herr Winkel, Herr Türmer, was ist für Sie Generationengerechtigkeit?
Svenja Appuhn: Dass die verschiedenen Generationen miteinander ein gutes Leben haben und alle gemeinsam dafür sorgen, dass auch die nächsten Generationen noch gut auf diesem Planeten leben können.
Johannes Winkel: Dass die heutigen Probleme nicht wichtiger sind als die Probleme der Zukunft. Das heißt auch, dass die Politik heutige Probleme nicht mit dem Geld von morgen lösen sollte.
Philipp Türmer: Dass das Aufstiegsversprechen, das für unsere Eltern galt, auch für unsere Generation wieder ausnahmslos gilt.
Svenja Appuhn
26, ist seit Oktober 2023 eine der beiden Sprecherinnen der Grünen Jugend. Appuhn ist in einem Vorort von Frankfurt am Main aufgewachsen und hat in Hannover Medizin studiert, das zweite Staatsexamen hat sie gerade beendet. Zu ihrer Familie betont sie: Beide Elternteile hätten Teilzeit gearbeitet, um gleichberechtigt für die Töchter da zu sein.
Was heißt das ganz konkret für Sie?
Appuhn: Ich möchte, dass meine Großeltern, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, von ihrer Rente leben können. Und ich möchte nicht, wenn ich 80 bin, in einer Welt leben, die von Extremwetterereignissen und Kriegen um Ressourcen geprägt ist. Ich stelle mir ehrlich die Frage: Möchte ich in diese kaputte Welt hinein Kinder bekommen?
Winkel: Diese Gesellschaft hat mir ermöglicht, alles zu machen, was ich möchte. Ich habe durch viele Anstrengungen und vielleicht auch ein bisschen Glück etwas erreicht, und zwar unabhängig von meinem Elternhaus. Man muss natürlich schauen, dass es so bleibt.
Johannes Winkel
32, ist seit November 2022 Vorsitzender der Jungen Union. Er stammt aus einem, wie er selbst sagt, christlich-sozialen Elternhaus in Kreuztal (Nordrhein-Westfalen); dass die CDU gegen den Mindestlohn war, hielt den Katholiken zunächst vom Parteieintritt ab. Winkel ist Volljurist und arbeitet Teilzeit in einem Industrieunternehmen.
Türmer: Für meine Eltern ist das sozialdemokratische Versprechen des Aufstiegs durch Bildung wahr geworden, deshalb war meine Ausgangslage gut. Aber viele, mit denen ich zur Schule gegangen bin, hatten diese Privilegien nicht. Und unser Bildungssystem gleicht das nicht aus. Deutschland ist eines der Länder mit den schlechtesten Aufstiegschancen.
Dann lassen Sie uns über Geld und Chancen, über Klima und darüber reden, wie auch die nächste Generation noch ein gutes Leben haben kann. Ihr wichtigster politischer Kampf?
Türmer: Wir haben eine grundlegende Gerechtigkeitsfrage, die in dieser Gesellschaft immer drängender wird. Wir haben eine neue Adelsschicht, die Superreichen, deren Wohlstand vererbt und nicht erarbeitet wird, und der sich immer mehr vermehrt. Diesen Trend müssen wir umkehren!
Winkel: Wenn du dir die reichsten Menschen anschaust, dann sind das Chefs von Unternehmen, die es doch vor 20, 30, 40 Jahren noch gar nicht gab. Tesla, Meta, Apple sind aus einer Innovation heraus entstanden und nicht über sechs Generationen vererbt worden. Die Bedingungen, durch eigene Arbeit und eigene Anstrengung sozial aufzusteigen, waren noch nie so gut wie jetzt. Wir kämpfen dafür, dass das so bleibt.
Appuhn: Dann sprich doch mal mit migrantischen Jugendlichen in Neukölln. Von denen haben viele nie eine Chance aufzusteigen, weil in Schulen Lehrkräfte fehlen, weil sie keine Nachhilfe bekommen, weil sie aufgrund ihres Namens diskriminiert werden. Für mich ist die Frage aber größer: Wollen wir in einer Welt leben, die systematisch Gewinner und Verlierer produziert? Es ist doch nicht gerecht, wenn wenige Personen mehrere Milliarden Euro besitzen, während gleichzeitig jedes fünfte Kind in Armut lebt. Diese Frage ist übrigens auch ganz eng mit Klimaschutz verbunden. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung ist für mehr Emissionen verantwortlich als die ärmeren zwei Drittel.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Winkel: Natürlich existiert in unserer Gesellschaft Ungleichheit. Und das wird sich auch niemals ändern.
Appuhn: Wenn die CDU regiert, wahrscheinlich nicht.
Winkel: Unsere Gesellschaft ist ungleich, weil Menschen ungleiche Talente, Vorstellungen, Ziele haben. Das ist auch gut so.
Appuhn: Diese immense Ungleichheit ist nicht naturgegeben, sondern eine politische Entscheidung. Dagegen kann man was tun. Das macht unsere Gesellschaft resilienter gegen Krisen und sogar glücklicher.
Deutschland gibt vergleichsweise wenig Geld für die öffentliche Infrastruktur aus. Dafür ist die Staatsverschuldung relativ niedrig, auch weil es die Schuldenbremse im Grundgesetz gibt. Was ist für Sie wichtiger: Gute Schulen, gutes Klima oder solide Finanzen?
Winkel: Das ist kein Widerspruch. Es ist total einfach zu sagen, wir verschulden uns. Aber wir geben schon dieses Jahr fast 40 Milliarden Euro für Zinszahlungen aus! Ich bin hinsichtlich der Schuldenbremse nicht ideologisch. Wenn der Staat kein Geld für die Daseinsvorsorge hat, wird er Schulden aufnehmen. Aber bevor wir das tun, müssen wir erst wieder lernen, Prioritäten zu setzen.
Appuhn: Ich habe kein Problem damit, darüber zu reden, welche Ausgaben im Haushalt unnötig sind. Die vielen Milliarden Euro für neue Autobahnen etwa können wir uns klimatechnisch gar nicht leisten.
Winkel: Wir brauchen mehr Autobahnen, nicht weniger.
Appuhn: Da werden wir nicht einig werden. Aber Sparen allein wird das Problem nicht lösen. Jetzt wäre der Zeitpunkt zu investieren. Ich erläutere es mal am Beispiel einer Straße, denn Straßen magst du ja gern, Johannes. Solange ein Schlagloch noch klein ist, kann ich es mit ein bisschen Teer reparieren. Wenn ich aber noch zehn Jahre warte, muss ich irgendwann die ganze Straße austauschen. Ein anderes Beispiel: Für den Neubau der Uniklinik, an der ich studiere, gab es jahrelang keine Finanzierungszusagen. Jetzt muss doch neu gebaut werden und zusätzlich muss noch fast eine Milliarde in den Erhalt des Bestandsgebäudes gesteckt werden.
Türmer: Ich bin auch der festen Überzeugung, dass die Schuldenbremse die angezogene Handbremse für die Entwicklung dieses Landes ist. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gibt unser Staat wenig Geld aus. Um Industrieland zu bleiben, müssten wir jetzt aber weit überdurchschnittlich in die klimaneutrale Transformation investieren. Ein Beispiel: Das Deutsche Institut für Urbanistik geht von 372 Milliarden aus, die bis 2030 nötig sind für eine nachhaltige Verkehrswende in den Kommunen. Da kommen wir mit Priorisierung niemals hin.
Winkel: Die angezogene Handbremse für die deutsche Wirtschaft ist die Bürokratie. Ich gebe euch völlig recht, wir brauchen viel mehr Investitionen in Deutschland. Zuerst sollte man sich aber fragen, warum wir einen Kapitalabfluss von 120 Milliarden im Jahr haben. Bevor man öffentliche Investitionen forciert, sollte man bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen setzen.
Derzeit werden Schulen und Straßen öffentlich finanziert. Der Investitionsstau allein bei den Schulen beträgt 50 Milliarden. Das soll alles aus den regulären Haushalten finanziert werden?
Winkel: Ja, na klar. Wir müssen einfach mal Kassensturz machen.
Wo wollen Sie sparen, Herr Winkel?
Winkel: Einer der größten Posten ist sicherlich Migration. Der Staat gibt ungefähr 50 Milliarden Euro im Jahr für Migration aus. Das ist ein Riesenproblem. Und die Rente mit 63 kostet auch fast 50 Milliarden Euro pro Jahr. Mitten im demografischen Wandel leisten wir uns ein Frühverrentungsprogramm, das ist Wahnsinn.
Türmer: Das Beste, was wir machen können, ist, mehr zu investieren in die Integration von Migrant*innen, egal auf welchem Wege sie hergekommen sind, weil wir in allen Bereichen Arbeitskräfte brauchen. Und der Sozialstaat ist kein nice to have, wie Herr Winkel glaubt, bei dem man kürzt, wenn es mal wirtschaftlich nicht so läuft, sondern der Kitt unserer Demokratie. Da kommen wir nicht zusammen.
Winkel: Herr Winkel, soweit ist es also schon. (Gelächter) Ich bin deiner Meinung, der Sozialstaat ist der Kitt der Gesellschaft. Aber du musst auch diejenigen respektieren, die ihn finanzieren.
Wie sieht es denn mit den Einnahmen aus? Die Erbschaftssteuer zum Beispiel. Superreiche zahlen mit zwei bis drei Prozent viel weniger als normale Erben. Würden Sie die reformieren, Herr Winkel? Erben hat ja nichts mit Leistung zu tun, sondern ist Glücksache.
Winkel: Alles, was vererbt wird, ist schon mal versteuert und durch Leistung erarbeitet worden. Trotzdem muss man darüber diskutieren, dass man Erbschaften angemessen besteuert. Wichtig ist, dass man in Unternehmen gebundenes Vermögen nicht zu stark belastet. Denn das kommt nicht nur den Erben zugute, sondern auch den Leuten, die darin arbeiten. Für vernünftige Vorschläge zur Besteuerung von Erbschaften muss die Union natürlich offen sein.
Appuhn: Das freut mich. Aber ein großer Teil der Ungleichheit in Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass große Betriebsvermögen in der Hand sehr Weniger sind. Und da gibt es Möglichkeiten der Besteuerung, die nicht dazu führen, dass Unternehmen geschlossen werden müssen: Steuern können gestundet werden, der Staat kann als Teilhaber einsteigen oder das Unternehmen kann in Verantwortungseigentum umgewandelt werden.
Winkel: Das sehe ich ganz anders. Du brauchst die unternehmerische Freiheit und Verantwortung. Da ist der Staat kein guter Ratgeber.
Türmer: Tatsächlich sind Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen in Deutschland ganz stark privilegiert. Einkommen aus Arbeit wird bis zu 45 Prozent besteuert, und die Sozialabgaben kommen noch drauf. Wenn sich der reichste Deutsche, der Logistikunternehmer Michael Kühne, Milliarden an Dividenden auszahlen lässt, dann zahlt er eine pauschale Abgeltungssteuer von 25 Prozent und keine Sozialbeiträge. Deutschland ist hinsichtlich der Vermögensverteilung eines der ungleichsten Länder in Europa. Wir haben eine enorme Akkumulation von unmoralischem Reichtum. Eine Reform der Erbschaftssteuer ist richtig.
Klima ist ein anderes großes Thema im Zusammenhang mit Generationengerechtigkeit. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, so steht es im Klimaschutzgesetz, das die Große Koalition verabschiedet hat – wir nehmen an, da gehen Sie alle mit.
Türmer: Gehst du da mit, Johannes?
Winkel: Ich finde es albern, wenn Politik Jahreszahlen in Gesetze pinselt und glaubt, damit ein Problem gelöst zu haben …
Appuhn: Stimmt, ein Budgetansatz wäre besser gewesen. Dann wäre auch aufgefallen, dass das, was im Klimaschutzgesetz steht, nicht ausreicht, wenn wir auf den 1,5-Grad-Pfad wollen.
Türmer: Es geht es ja nicht um irgendwelche Jahreszahlen. Es geht um die Pariser Klimaziele, der größte Erfolg in der internationalen Klimapolitik. Ich finde, wir sollten uns an internationale Verträge halten.
Auf welche Weise lassen sich diese Ziele erreichen?
Winkel: Der Grundfehler ist, Klimaschutz in nationalen Grenzen zu denken. Dass unser CO2-Ausstoß zurückgegangen ist, was Robert Habeck und die Grünen gerade so feiern, ist logisch, wenn die energieintensive Industrie einbricht. Ist es besser, wenn diese Unternehmen in anderen Ländern produzieren, wo dann viel mehr CO2 ausgestoßen wird? Die aktuelle Klimaschutzpolitik ist schädlich.
Türmer: Dieses Klimaschutzziel, zu dem du dich nicht bekennen magst, ist direktes Ergebnis der internationalen Klimapolitik, die du einforderst. Du versuchst zu verdecken, dass ihr eigentlich gar keine Klimapolitik machen wollt.
Winkel: Das ist fast bösartig, vielleicht sind wir doch beim Sie hinterher. (Gelächter) Das Klimaziel von Paris ist ja gut, wäre nur schön, wenn es auch international verbindlich wäre. Eure „Deutsches Vorbild“-Debatte ist einfach irre! Wenn wir hier in Deutschland und Europa politisch verbieten, CO2 zu emittieren, führt das doch nicht dazu, dass das globale Angebot an fossiler Energie geringer wird.
Appuhn: Das ist doch Quatsch! Der Anstieg der globalen Emissionen verlangsamt sich, weil viele Länder Regeln erlassen haben. Ich erwarte, dass Deutschland, eines der Länder, die historisch gesehen für die meisten Emissionen verantwortlich sind, Tempo macht. Immer nur „Aber China“ zu sagen, reicht halt nicht.
Winkel: Wir müssen das Angebot und nicht die Nachfrage an fossilen Energien reduzieren. Und dazu müssen nicht-fossile Energien günstiger werden als fossile Energien.
Türmer: Der Schlüssel ist der massive Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, das stimmt. Nur hat die Union genau das jahrzehntelang behindert. Und wir müssen massiv die Netze ausbauen, und zwar mit Oberleitungen, weil das viel günstiger ist und schneller geht. Aber dagegen stellen sich die CDU-geführten Regierungen auch immer.
Herr Winkel, wie könnte es aus Ihrer Sicht gehen?
Winkel: Günstige, CO2-neutrale Energie werden wir vor allem dann bekommen, wenn wir die nächste Generation der Kernkraft kriegen. Es braucht zudem mehr Geld in die Forschung für Kernfusion …
Appuhn: Wenn du vor dem Feuer fliehst, kannst du dich doch nicht auf ein Pferd setzen, das im Bestfall in Jahrzehnten rennen kann.
Winkel: Natürlich müssen wir viel intensiver forschen. Und das zweite Thema sind Spaltungsreaktoren der vierten Generation. Dass wir als Ingenieursnation über solche Sachen gar nicht mehr technologieoffen nachdenken, macht mich traurig.
Appuhn: Apropos Generationengerechtigkeit: Es dauert 40.000 Generationen, bis Atommüll nicht mehr strahlt.
Winkel: Aber es gibt jetzt schon Technologien – die leider in Ruanda und nicht bei uns erprobt werden –, die den Atommüll wiederverwerten und dessen Halbwertszeit drastisch reduzieren können.
Türmer: Selbst wenn wir den Müll und die Gefährlichkeit von Atomkraft ausblenden: Kernkraftwerke sind zutiefst unwirtschaftlich. Das zeigen alle internationalen Beispiele. Für den Bau des AKW in Hinkley Point in England waren Kosten in Höhe von 18 Milliarden Pfund eingeplant, jetzt drohen bis zu 35 Milliarden. Dafür könnte man 12.700 Windkraftwerke bauen, die ungefähr das Vierfache der Leistung dieses Kernkraftwerks hätten.
Appuhn: Vielleicht mal weg von Science-Fiction und zurück zur Wissenschaft. Es besteht ein großer Konsens, dass der Weg zur Klimaneutralität über den Ausbau der Erneuerbaren läuft. Die Frage ist, wie bezahlen wir das und begeistern die Leute auch noch dafür? Im Moment werden die Kosten über den CO2-Preis auf alle verteilt, der soziale Ausgleich fehlt. Viele Beschäftigte machen sich Sorgen, dass sie aufgrund der Industrietransformation ihren Job verlieren.
Winkel: Erneuerbare Energien brauchen grundlastfähige Reserven. Dass diese nicht klimaneutral mitgedacht wurden, ist der Grund, warum ihr mit der Energiewende scheitert.
Apphun: Ihr? Ich bin nicht Robert Habeck. Abgesehen davon: Der Ausbau der Erneuerbaren läuft; es muss halt noch schneller gehen und der soziale Ausgleich beim Klimaschutz endlich deutlich besser werden.
Neues Thema: In den 2030ern werden die Leute im Rentenalter die größte Wählergruppe sein, Politik wird noch mehr als jetzt von ihnen bestimmt werden. Ist das ein Problem für die Demokratie?
Winkel: Ja, ganz klar. Das demografische Problem unserer Gesellschaft wird jetzt schon zum demokratischen Problem für die junge Generation. Wenn ich in meiner Partei für eine grundlegende Rentenreform appelliere, sagen mir Leute: Da hast du Recht, aber gerade ist es ganz schlecht, weil bald Wahlen sind. So kann man keine Politik machen, wenn man Dinge nicht anpackt, weil es einer großen Wählergruppe nicht gefallen könnte.
Appuhn: Meine Großeltern machen sich sehr viel Sorgen um die Zukunft unserer Generation. Ich weiß noch, wie ich meinen Opa gefragt habe, wie er Fridays for Future findet. Seine Antwort: Großartig.
Aber kann man darauf setzen?
Appuhn: Ich glaube schon. Wenn man die Spaltungslinie nicht zwischen den Generationen, sondern zwischen arm und reich sieht, findet man eine verbindende Generationenpolitik. Ich finde es gefährlich, wenn man die Generationen gegeneinander ausspielt, so als wären die Alten schuld an unserer Situation.
Sind sie das nicht, zum Teil zumindest?
Türmer: Punkt eins: Der demografische Wandel ist nicht gottgegeben, sondern von der Politik gemacht, weil man sich geweigert hat, einen konsequenten Schritt in Richtung Einwanderungsland zu gehen. Punkt zwei: Ich bin ebenfalls der Überzeugung, dass die Trennlinien in der Gesellschaft nicht zwischen alt und jung, sondern zwischen arm und reich verlaufen.
Winkel: Die Debatte in der Rente ist systemlogisch eine zwischen alt und jung.
Türmer: Nein.
Winkel: Doch, weil wir ein Umlagesystem haben. Die Frage der Lastenverteilung ist immer eine der Generationen, weil die Jungen die Alten finanzieren.
Türmer: Der Generationenvertrag bedeutet doch vor allen Dingen, dass diejenigen, die jetzt einzahlen, sich darauf verlassen können, dass sie später auf dem gleichen Niveau abgesichert werden wie diejenigen, für die sie jetzt die Rente zahlen. Und deshalb ist es richtig, dass wir jetzt das Rentenniveau festschreiben.
Winkel: Aber das lässt sich langfristig gar nicht bezahlen. Wir geben momentan 370 Milliarden Euro jährlich an Rentenzahlungen aus, und das steigt wegen der Babyboomer in 20 Jahren auf über 800 Milliarden Euro im Jahr. Das wird nicht finanzierbar sein!
Türmer: Ihr wollt die Leute für das gleiche Geld länger arbeiten lassen oder ihnen gleich die Rente kürzen. Alternativ sollen die Leute mehr in die private Altersvorsorge investieren. Und das ist der eigentliche Konflikt: Will man Einkommen aus Arbeit – und damit die gesetzliche Rente – oder Kapitaleinkommen stärken? Wir sind dafür, dass die Löhne steigen, dann steigt auch die gesetzliche Rente und ist zukunftssicher.
Appuhn: Fest steht: Es werden weniger Menschen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen als leistungsberechtigt sind. Abgeordnete, Selbstständige, Beamte sind allerdings bislang von der gesetzlichen Rente ausgenommen, das sind alles eher gutverdienende Berufsgruppen. Die sollten einzahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze könnte man anheben. Je mehr man verdient, desto weniger muss man aktuell anteilig in die gesetzliche Rente zahlen, das ist ungerecht. Und beim Rentenniveau könnte man differenzieren: Bei geringen Einkommen darf es sicher nicht sinken.
Können wir uns in 25 Jahren noch den gleichen Lebensstil leisten wie heute? Oder gibt es Dinge, auf die wir verzichten müssen?
Appuhn: Privatjets, Superyachten, Luxusvillen.
Winkel: Die Herausforderung wird sein, den Lebensstandard mindestens zu halten, wenn nicht auszuweiten. Verzichtsdebatten bringen uns nicht weiter und überzeugen international auch niemanden. Alle Schwellenländer streben ja das Niveau an, auf dem wir jetzt sind.
Türmer: Den Lebensstandard der Superreichen werden wir so nicht bewahren können und umverteilen müssen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Lebensstandard der restlichen Bevölkerung möglichst steigt.
Dann wagen wir doch mal einen kurzen Ausblick ins Jahr 2050, also eine Generation weiter. Wird es 2050 noch Inlandsflüge geben?
Türmer: Nein, braucht auch keiner.
Winkel: Klar, viel mehr als heute.
Appuhn: Um Gottes Willen!
Fahren wir noch in den Skiurlaub?
Appuhn: Ich fürchte, dafür fehlt dann in vielen Skigebieten der Schnee.
Türmer: Dann bleiben vielleicht nur Indoorhallen. Aber ich hoffe, dass unsere Klimapolitik so erfolgreich ist, dass es auch in Zukunft noch Schnee in den Alpen gibt.
Winkel: Skiurlaub ist mir persönlich zu teuer.
Und wird es in den Kantinen einen Fleischtag geben?
Appuhn: Ja, warum nicht? Ich glaube sowieso, dass die Alternativen bis dahin so gut sind, dass es niemandem mehr auffällt.
Türmer: Solange es eine Dönerbude in Reichweite gibt.
Winkel: Da geh ich mit, Philipp.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen