Jan van Aken gegen Aufrüstungspolitik: „Die Position der Linken ändert sich nicht“
Beim Ukraine-Krieg fordert der Linkenchef mehr Diplomatie der EU. Dass der alte Bundestag noch schnell das Grundgesetz ändern soll, hält er für falsch.
taz: Herr van Aken, haben Sie noch eine Hoffnung, dass in der Ukraine nicht das Recht des Stärkeren über das Völkerrecht siegen wird?
Jan van Aken: Das ist schwierig. Es sieht immer düsterer aus. Die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand. Es ist infam, wie Donald Trump ihr die Schuld am Krieg zuschieben will und die Angst vor einem Dritten Weltkrieg schürt, um so das Völkerrecht mit Füßen zu treten. Der Aggressor heißt einzig und allein Russland. Das große Problem ist, dass inzwischen drei Jahre seit Kriegsbeginn vergangen sind und die EU in der Zeit nichts Substantielles für Verhandlungen unternommen hat. Wenn sie es weiter nicht tut, dann sieht es wirklich schlecht aus für die Ukraine und das Völkerrecht.
geboren 1961, ist promovierter Biologe und arbeitete von 2004 bis 2006 als Biowaffeninspekteur für die UN. Seit Oktober 2024 steht er gemeinsam mit Ines Schwerdtner an der Spitze der Linkspartei.
taz: Kann es sein, dass die Linkspartei genauso hilflos auf den Ukraine-Krieg blickt, wie die anderen demokratischen Parteien im Bundestag auch?
Van Aken: „Genauso“ würde ich nicht sagen. Ich finde, wir haben einige gute Vorschläge gemacht, die bis jetzt nicht mal diskutiert werden. Wir alle wissen, dass es keine ernsthaften Verhandlungen mit Russland geben wird, wenn China nicht mit im Boot ist. Seit Mai vergangenen Jahres liegt ein Vorschlag von China und Brasilien auf dem Tisch, der auch von der Schweiz unterstützt wird. Warum wird der nicht aufgegriffen? Ich finde diesen konkreten Vorschlag jetzt nicht ganz so hilflos, wie einfach nur weiter Waffen zu liefern und Daumen zu drücken.
taz: Wenn die USA der Ukraine ihre Unterstützung entziehen, und danach sieht es zurzeit aus, was sollte Putin dazu veranlassen, noch auf irgendwelche Friedensvorschläge von vor über einem Jahr überhaupt einzugehen?
Van Aken: China ist nach wie vor der wichtigste Verbündete Russlands. Deswegen glaube ich immer noch: Wenn Xi Jinping einlädt, kommt Wladimir Putin.
taz: Warum sollte Xi Jinping das tun?
Van Aken: China hat seine Positionen klar gemacht. Erstens: Der Krieg ist völkerrechtswidrig. Zweitens: Das ist euer Krieg in Europa, wenn ihr unsere Hilfe braucht, sagt Bescheid. Also müsste die EU auf China zugehen, das vermisse ich.
taz: Die Linke hat Waffenlieferungen an die Ukraine bislang strikt ausgeschlossen. In einem Vorstandsbeschluss vom Wochenende heißt es nun, es sei ein großer Fehler der EU, die Unterstützung für die Ukraine „ausschließlich“ an militärischer Hilfe festzumachen. Deutet sich da vorsichtig eine Kurskorrektur an?
Van Aken: Nein, die Position hat sich nicht geändert.
taz: Das heißt, auch wenn die USA ihre Waffenlieferungen einstellen, bleiben Sie bei Ihrer prinzipiellen Ablehnung militärischer Unterstützung der Ukraine?
Van Aken: Die Rolle Deutschlands und somit die Position der Linken ändert sich nicht. Denn das Kernproblem für mich ist, dass hier seit drei Jahren über Leopardpanzer oder Taurus gestritten wird, aber nicht über die Frage, wie komme ich zur Diplomatie? Mein Credo ist immer noch, dass es zwischen Waffenlieferungen und gar nichts machen, ganz viel gibt, aber nichts davon ist versucht worden. Deswegen bin ich weiter gegen Waffenlieferungen, weil die anderen Dinge erst versucht werden müssen.
taz: Aber das eine steht doch nicht gegen das andere.
Van Aken: Das höre ich immer: Man kann ja das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Aber das Andere geschieht eben nicht. Deshalb steht das gegeneinander, weil mit einem rein militärischen Blick auf diesen Krieg geschaut wird. Und dem verweigere ich mich.
taz: Wenn aber die Flugabwehr in der Ukraine zusammenbricht, sind die Menschen in Kiew oder anderen Großstädten den Raketen und Drohnen Russlands schutzlos ausgesetzt. Dann bleibt von dem Bekenntnis der Linkspartei, ihre „volle Solidarität“ gehöre den Menschen in der Ukraine, wohl bald nur noch eine Trauerminute auf einem Parteitag übrig.
Van Aken: Nein, gar nicht. Bis jetzt gibt es immer noch die Möglichkeit, aktiv was für Verhandlungen zu tun, wo eben nicht auf dem Rücken oder ohne die Ukraine über die Ukraine diskutiert wird, sondern wo China und die EU die Ukraine und Russland zu Verhandlungen einladen. Das ist erstmal was völlig anderes als das, was die USA versuchen. Zweitens braucht es Druck auf Russland, damit die Verhandlungen auch zu einem fairen Ergebnis führen. Das sagen wir seit Monaten: Was ist mit der Schattenflotte? Die Kriegskasse des Kremls wird jeden Tag aufs Neue über diese illegalen Öl-Exporte finanziert, die direkt vor unserer Haustür längs gehen. Und die Bundesregierung tut gar nichts. Da wird immer über Waffen geredet, aber nicht über ein solch richtiges Druckmittel.
taz: Nicht alle in der Linkspartei teilen Ihre Position, beispielsweise Ihr neuer Fraktionskollege Bodo Ramelow spricht sich für eine militärische Hilfe aus. Befürchten Sie da nicht eine Zerreißprobe?
Van Aken: Unterschiedliche Meinungen gehören zu einer demokratischen Partei. Wir kennen uns gut und führen auch diese Debatte respektvoll miteinander. Er kann mit meiner Position des Primats des Zivilen sehr viel anfangen und ich respektiere seine Auffassung. Einig sind wir uns darin, dass der Ukraine konkret geholfen werden muss. Sie ist dringend auf eine finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau, die Versorgung der Millionen Binnenflüchtlinge und zur Bewältigung anderer Kriegsfolgen angewiesen, deshalb braucht es einen Schuldenschnitt für die Ukraine.
taz: Sollte Deutschland die Ukraine mit Satellitenaufklärung unterstützen, wenn die der USA ausfällt?
Van Aken: Interessante Frage. Also mal angenommen, Deutschland hätte Hinweise über russische Truppenansammlungen, dann wäre es doch nicht richtig, dass der Ukraine zu verschweigen. Aber diese Frage muss ich mir noch mal im Detail anschauen.
taz: Für den Fall, es könnte doch noch eine Waffenstillstands- oder gar Friedensvereinbarung zwischen der Ukraine und Russland geben, sollte Deutschland sich dann an einer von der UN mandatierten Friedenstruppe beteiligen?
Van Aken: Das ist eine schwierige Frage, weil es da auch eine historisch emotionale Komponente gibt. Ich wäre mir deshalb nicht sicher, ob Russland es mitmachen würde, dass da wieder deutsche Soldaten kurz vor Stalingrad stehen. Aber generell bin ich für klassische Blauhelmeinsätze, die unbewaffnet und nach einem Friedensabkommen stattfinden, à la Zypern und oder Korea.
taz: Das ist eine Veränderung der bisherigen Position der Linkspartei.
Van Aken: Ich würde eher von einer Präzisierung oder Klarstellung sprechen. Wir haben bislang überhaupt keine Position zu klassischen Blauhelmeinsätzen. Aber ich finde, das müssen wir jetzt diskutieren.
taz: In der Linkspartei gibt allerdings da Gegenstimmen, denen das schon zu weit geht.
Van Aken: Stillstand ist kein guter Berater. Diese Debatte müssen wir in der Partei führen. Dass es dabei auch kontrovers zugehen kann, halte ich nicht für problematisch. Jene, die solche inhaltlichen Auseinandersetzungen verhindern wollten, sind nicht mehr Teil der Partei. Das ist schon mal ganz gut. Wenn ich dafür aus Kreisen der Kremlpartei BSW jetzt als „Kriegstreiber“ bezeichnet werde, schert mich das nicht, weil es blanker Unsinn ist. Klassische Blauhelme heißt, dass nach einer Friedensverhandlung beide Seiten zustimmen und die UN-Truppen neutral und ohne Kampfauftrag unterwegs sind. Da geht es nicht um Soldaten in einem Krieg, sondern in einem Frieden.
taz: Sehen Sie angesichts der aggressiv auftretenden USA und eines feindlich gesinnten Russlands die Notwendigkeit, anders über die Verteidigungsfähigkeit Europas nachzudenken?
Van Aken: Ja, das ist so. Wir sollten Sicherheit europäisch denken. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass die EU versucht, jetzt zur vierten Weltmacht neben China, USA und und Russland zu werden und entsprechend Militär aufbaut, das global eingesetzt werden kann. Das hielte ich für falsch. Aber ich halte eine Konzentrierung auf die EU- und die Landesverteidigung für erforderlich. Dafür würden auch die finanziellen Mittel erstmal ausreichen. Kaufkraftbereinigt stehen 430 Milliarden Dollar an jährlichen Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden Dollar Russlands gegenüber. Dass das Geld effektiver eingesetzt werden kann, steht außer Frage. Rüstungsprojekte, die nichts mit Landesverteidigung zu tun haben, sollten eingestellt werden. Es müsste also um einen Umbau der Bundeswehr gehen, nicht um mehr Geld für Aufrüstung.
taz: Union und SPD planen für die kommende Woche eine Sondersitzung des alten Bundestags, auf dem das Grundgesetz geändert werden werden soll: Verteidigungsausgaben von über einem Prozent des BIP sollen von der Schuldenbremse ausgenommen werden, außerdem soll es ein „Sondervermögen“ für die Infrastruktur geben. Die Linkspartei ist dagegen. Warum?
Van Aken: Das ist eine politische Bankrotterklärung und ein äußerst bedenklicher Vorgang. Sie wollen eine Grundgesetzänderung im Schnellverfahren durchpeitschen, ohne echte Debatte, ohne Berücksichtigung des neu gewählten Bundestages. Auch wenn sich die weltpolitische Lage geändert hat, ist die von Union und SPD bemühte Dringlichkeit vorgeschoben. Es geht ihnen nur darum, die neuen Verhältnisse im Bundestag zu umgehen. Wir prüfen noch, ob eine solche Abstimmung im gerade abgewählten alten Bundestag überhaupt verfassungskonform ist. Davon unbenommen lehnen wir einen ewigen Blankoscheck für unbegrenzte Rüstungsausgaben ab.
taz: Heißt das, Sie würden auch aus Prinzip gegen das „Sondervermögen“ für die Infrastruktur stimmen?
Van Aken: Nein. Ich würde aus Prinzip für die Abschaffung der Schuldenbremse stimmen. Die CDU will aus ideologischer Verblendung aber an diesem Wahnsinn festhalten. Das finde ich falsch. Natürlich sind wir für massive Investitionen in die Infrastruktur, sogar für mehr als die 500 Milliarden. Aber diese Hilfskonstruktion mit dem alten Bundestag ist doch abenteuerlich. Wie wir abstimmen werden, wird vom Ergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung abhängen und ob die einzelnen Grundgesetzänderungen im Paket oder getrennt abgestimmt werden. Ansonsten ist unsere Botschaft ist klar: Wenn es darum geht, die Schuldenbremse aufzuheben, sind wir mit dabei. Das wäre der richtige Weg.
taz: Aber nur wenn Friedrich Merz vorher mit der Linken spricht, oder?
Van Aken: Nein, das ist keine Bedingung, aber das würde sich so gehören. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU ist doch echt Kindergartenniveau. Von der Linken etwas wollen und gleichzeitig nicht mit der Linken reden zu wollen, ist unsouverän. Doch wir entscheiden das inhaltlich: Wenn die Schuldenbremse wegkommt, dann freuen wir uns.
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